Während die Grünen in Deutschland vor lauter Umfragehoch gar nicht wissen, wohin mit ihrem Glück, sieht es auf europäischer Ebene für grüne Parteien deutlich bescheidener aus. Vielleicht auch deshalb kommt die Europäische Grüne Partei (EGP) am Wochenende in Berlin zusammen. Einfach mal ein bisschen Höhenluft schnuppern. Eigentlich aber wollen sie darüber abstimmen, welche Doppelspitze sie in den Wahlkampf schicken. Denn: Im Frühjahr 2019 steht die 19. Direktwahl zum Europäischen Parlament an. Grund genug, um der europapolitischen Sprecherin der Grünen, Jamila Schäfer, mal ein paar Fragen zu stellen.
watson: Die Grünen in Deutschland sind gerade im Aufwind, in Europa spielen sie im Grunde kaum eine Rolle. Wie
erklären Sie diese Diskrepanz?
Jamila Schäfer: Es ist richtig, dass wir als deutsche Grüne gerade sehr
starken Zulauf haben. Das liegt daran, dass wir als gestaltende Kraft
wahrgenommen werden gegenüber einer Stillstandspolitik der Großen Koalition.
Wir stehen für eine Politik, die sich den Problemen stellt, sie analysiert und
dann auch klare Antworten geben will – ohne sich der AfD anzubiedern. Das
honorieren die Leute. Die Lage der grünen Parteien in Europa ist
unterschiedlich. Aber wir gewinnen auch woanders dazu: In Luxemburg oder
Finnland beispielsweise, bei den Kommunalwahlen in den Niederlanden und in
Belgien, lagen Grüne teilweise bei über 20 Prozent.
In osteuropäischen Ländern oder in Italien sieht das
allerdings anders aus. Sind die Grünen eine westeuropäische Wohlstandspartei?
Nein. Selbst in Osteuropa greifen viele gesellschaftliche
Initiativen grüne Themen auf. Was die Einkommensverhältnisse der Wähler
betrifft, liegen wir im Durchschnitt. Die wirkliche Besservierdienerpartei ist,
wenn man sich die Einkommensdurchschnitte in Deutschland anguckt, auf jeden
Fall die FDP. In Hessen zum Beispiel haben uns mehr Arbeitslose gewählt als CDU
oder SPD. Das hat uns selber überrascht.
Wie sehr frustriert es Sie persönlich, dass Europathemen in der
Wahrnehmung so wenig präsent ist?
Ich beobachte, dass Europathemen gerade wieder zunehmen.
In der Berichterstattung, aber auch in der Bevölkerung. Ich habe beim Wahlkampf
für die Grünen in Bayern an ganz vielen Türen geklingelt. Oft gingen die ersten
Fragen um Europa: Wie geht’s eigentlich weiter in Europa? Was macht eigentlich
die CSU da mit Viktor Orban?
Da haben Sie aber an eher untypische Türen geklingelt…
Ich habe mich tatsächlich in einem eher konservativen
Stadtviertel mit hoher CSU-Stammwählerschaft bewegt. Das waren Fragen, die die
Leute berührt haben. Es war ein entscheidendes Motivierungsthema bei denen, die
uns letztlich gewählt haben. Wir müssen uns darum bemühen, dass europäische
Politik noch verständlicher und greifbarer wird. Deutlich machen, wofür wir die
europäische Eben brauchen: außenpolitisch, bei der Energieversorgung, beim
Klimawandel oder in der Asylfrage. Dort gibt es keine nationalen Lösungen. Der
Klimawandel wurde in diesem Sommer leider schon sehr sichtbar. Auch deswegen
haben die Menschen uns gewählt.
Ich zucke immer, wenn grüne Politiker den heißen Sommer
in einen direkten Zusammenhang mit dem Aufstieg der Partei bringen. Denn: Was machen
Sie, wenn der nächste Sommer nicht so heiß wird? Und: Ist das nicht auch ein
Spiel mit Ängsten?
Nein. Wir sind die Partei, die sich nicht einfach billig
an die Angst heranwanzt und sagt, es ist alles ganz schlimm, wir wissen jetzt
aber auch nicht die Lösung. Sondern wir sagen, es gibt ein Problem, aber wir
wollen das zuversichtlich anpacken. Deswegen brauchen wir einen Plan für einen
sozialverträglichen Kohleausstieg und müssen in ganz Europa vorangehen.
In einem Satz: Warum ist es wichtig, im nächsten Jahr zu
wählen?
Nur wer wählt, kann aktiv mitentscheiden, ob Europa
wieder zurückfällt in den Nationalismus und damit in die Handlungsunfähigkeit
oder, ob wir gemeinsam kämpfen für ein ökologisches, demokratisches und
soziales Europa.