Politik
Interview

SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf gibt Fehler in Migrationsdebatte zu

Der SPD-Vorstand spricht zu den Medien in Berlin, 12.05.2025.
Ende Juni soll Tim Klüssendorf zum neuen SPD-Generalsekretär gewählt werden.Bild: Photothek/ SPD / Juliane Sonntag
Interview

Tim Klüssendorf, wie viel Spaß macht es, sich mit der CDU zu streiten?

Ihn hatten die meisten nicht auf dem Schirm: Mit 33 Jahren ist Tim Klüssendorf designierter SPD-Generalsekretär. Dabei beginnt 2025 erst seine zweite Legislatur im Bundestag. Im Interview mit watson spricht er über einen Schlüsselmoment mit einem Sky-Abo und Meinungsverschiedenheiten mit der Union.
23.05.2025, 14:5723.05.2025, 14:57
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watson: Herr Klüssendorf, welches Getränk haben Sie aufgemacht, als Sie erfahren haben, dass Sie SPD-Generalsekretär werden?

Tim Klüssendorf: Ich glaube, ich habe einfach nur Wasser getrunken. Das war der Abend vor der offiziellen Verkündung.

Haben Sie mit niemandem angestoßen?

Das ist ein Moment, in dem man eher angespannt ist: Weil einem noch bewusster wird, welche Herausforderungen jetzt auf einen zukommen. Plötzlich bin ich derjenige, der für die Erneuerung der gesamten SPD verantwortlich sein wird. Ich wollte auf den nächsten Tag gut vorbereitet sein. Da bin ich strikt, dann trinke ich auf gar keinen Fall.

"Beim Fußball ging es viel darum, wer die Markenfußballschuhe hatte. Das ging bei uns nicht, weil wir aufs Geld gucken mussten."

Sie kommen aus einer Handwerkerfamilie. Wie sind Sie aufgewachsen?

Mein Papa war früher selbstständig als Handwerksmeister. Ich habe bei ihm erlebt, welche Schwierigkeiten das mit sich bringen kann. Meine Eltern konnten mir eine sehr gute Kindheit ermöglichen, aber nur unter massivem Einsatz ihrer eigenen Freizeit.

War das prägend für Ihre politische Laufbahn?

Mit dem Thema Gerechtigkeit bin ich sehr früh in meiner Fußballmannschaft in Berührung gekommen. Da ging es viel darum, wer die Markenfußballschuhe oder das neueste Trikot hatte. Das ging bei uns nicht, weil wir immer aufs Geld gucken mussten. Als ich mir mit meinem ersten Job selbst ein Sky-Abo leisten konnte, war das für mich ein unglaublich stolzer Moment. Da dachte ich: Jetzt habe ich es geschafft. Das ist eigentlich nichts Weltbewegendes, aber für mich war es sehr prägend.

Für junge Leute ist Social Media ein großer Punkt. Wir haben uns Ihre Profile angeschaut: Da geht noch mehr, oder?

Auf jeden Fall, das haben wir uns fest vorgenommen und ist zentraler Bestandteil unserer Arbeit.

Gilt das für die gesamte Partei? Bisher tritt die AfD auf Social Media noch sehr viel stärker auf als die anderen Parteien.

Das ist auch eine Frage der Algorithmen. Wir haben uns schließlich auch weiterentwickelt, machen genauso gute Videos. Aber wenn ein AfD-Politiker das macht, gucken das auf einmal zwei Millionen Menschen. Neben unseren eigenen Hausaufgaben muss man auch das kritisch hinterfragen und gleiche Bedingungen herstellen, womöglich auch durch faire Regulierung.

Der jungen Generation ist ihre Work-Life-Balance wichtig, Friedrich Merz aber möchte, dass Deutschland mehr arbeitet. Was denkt die SPD dazu?

Ich werde bestimmt nicht einer Pflegekraft sagen, dass sie zu wenig arbeitet. Darum geht es auch nicht. Friedrich Merz bezieht sich auf die Arbeitsstunden pro Kopf in Deutschland. Da ist für mich die Frauenerwerbsquote ein großes Thema. Die ist bei uns in Deutschland deutlich niedriger als in anderen Ländern. Es ist doch merkwürdig, dass von den Erwerbstätigen nur elf Prozent der Männer in Teilzeit arbeiten, aber 50 Prozent der Frauen. Viele Frauen würden bei einer besseren Kinderbetreuung gerne mehr arbeiten. Dazu müssen wir endlich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Wie bekommt man Männer dazu, mehr Care-Arbeit zu übernehmen?

Im Koalitionsvertrag haben wir Anreize für mehr Partnerschaftlichkeit vereinbart. Dafür wollen wir das Elterngeld weiterentwickeln, beispielsweise durch eine veränderte Anzahl und Aufteilung der Bezugsmonate.

Weiteres wichtiges Thema für junge Menschen: Rente. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, um die Altersvorsorge für junge Menschen gerechter zu gestalten?

Die große Gefahr ist die demografische Schieflage, wenn die Boomer-Generation in Rente geht. Eine Antwort darauf kann sein, die Zahl der Einzahlenden zu vergrößern. Da gibt es zurzeit mehrere Bevölkerungsgruppen, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Deswegen hat Bärbel Bas den Gedanken eingebracht, dass auch Beamtinnen und Beamte mit einbezogen werden. Für Abgeordnete sollte das unbedingt auch gelten, finde ich.

Dass Bärbel Bas diesen Vorschlag gemacht hat, obwohl das nicht im Koalitionsvertrag stand, war nicht problematisch?

Es muss erlaubt sein, dass eine Partei sich Gedanken über die Zukunft macht. Bärbel Bas hat nicht gesagt, dass sie morgen ein Gesetz dazu einbringt.

Ein Thema für junge Menschen haben wir noch: Migration. Wie groß sind Ihre Bauchschmerzen angesichts der Grenzkontrollen?

Beim Thema Migration ärgert mich, dass wir darüber als ein gesellschaftliches Problem reden und nicht als eine Chance für unser Land. Hier müssen wir auch unsere eigene Rolle in der Vergangenheit kritisch hinterfragen. In den allermeisten Fällen profitieren wir als Gesellschaft von Migration: ökonomisch, kulturell, in jeder Facette des Lebens. Dieses Thema ist viel positiver, als es wahrgenommen wird. Und die große Schwierigkeit wird natürlich jetzt sein, den Koalitionsvertrag zu erfüllen und gleichzeitig diese positive Migrationsgeschichte zu erzählen.

"Es bringt nichts, immer nur zu sagen, die anderen sind blöd und haben keine Ahnung."

Wie viel Spaß macht es Ihnen, sich mit der CDU zu streiten?

Die Zusammenarbeit hat ja gerade erst begonnen.

Selbst in der kurzen Zeit gab es Situationen, die nicht harmonisch wirkten. Zum Beispiel bei der Kanzlerwahl, die erst im zweiten Anlauf klappte.

Wir sind noch in der Startphase. Aber wenn man sich anschaut, wie wir uns im Wahlkampf gegenüberstanden und was wir uns da alles um die Ohren gehauen haben, finde ich, dass wir uns schon ganz gut zusammengerauft haben.

Wie schwer fällt Ihnen das persönlich?

Wir sind natürlich weit auseinander in vielen Positionen. Deswegen wird es immer wieder darauf ankommen, einen gemeinsamen Weg zu finden. Streitereien kosten sehr viel Vertrauen, das ist meine Lehre aus der Ampel-Regierung. Für uns ist es wichtig, das SPD-Profil zu schärfen, aber nicht auf Kosten der Union. Wir müssen eigene Inhalte präsentieren und positiv dafür werben. Es bringt nichts, immer nur zu sagen, die anderen sind blöd und haben keine Ahnung.

Wie läuft es bisher mit der Neuaufstellung der SPD? Zuletzt waren viele unzufrieden, wie Lars Klingbeil als Alleinherrscher auftrat.

Das ist vor allem von außen interpretiert worden. Das stimmt natürlich nicht. Wir haben viele starke Persönlichkeiten, die gemeinsam Verantwortung für die SPD tragen. Bärbel Bas ist beispielsweise eine ganz starke Politikerin, die auf Augenhöhe mit ihm diese Partei führen wird.

Haben Sie die “Inside-CDU”-Doku gesehen, Herr Klüssendorf?

Also, sorry: Natürlich!

Eine Szene hat für besonders viel Belustigung gesorgt.

Mir wurde der Ausschnitt diverse Male zugeschickt – mit der Frage, die Sie jetzt bestimmt auch stellen wollen …

Bekommt die SPD mit Ihnen auch endlich eine Motivations-Disco?

Das war natürlich ein Highlight. Aber ich habe mich im Haus umgehört – und ich habe niemanden getroffen, der das auch will! Mit einer SPD-Disco verschonen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daher lieber.

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