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Interview

Bärbel Bas findet Debatten über die Gen Z "bescheuert"

ARCHIV - 05.07.2023, Berlin: Bärbel Bas (SPD), Bundestagspräsidentin, steht zu Beginn eines Interviews für ein Foto vor dem Plenum des Bundestags. Bas hat Bund, Länder und Kommunen dazu aufgerufen, mi ...
Bärbel Bas organisiert und leitet die Sitzungen der Abgeordneten im Bundestag. Bild: dpa / Kay Nietfeld
Interview

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: "Die Debatten über die Gen Z finde ich bescheuert"

21.02.2025, 16:3821.02.2025, 16:38
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Für Bärbel Bas (SPD) ist es als Präsidentin des Deutschen Bundestages immer dann ein guter Tag, "wenn die Sitzungen reibungslos ablaufen und das Parlament geordnet seiner Arbeit nachkommt", sagt sie im Gespräch mit watson.

In letzter Zeit hatte sie nicht viele gute Arbeitstage.

Immer wieder hat sie kritisiert, wie sich die Debattenkultur verschlechtert hat. Darüber spricht sie in unserem Interview ebenso wie über die Gen Z – und ihre Schwäche für Lothar Matthäus.

watson: Als Bundestagspräsidentin sind Sie wie die Klassensprecherin des Parlaments. Finden Sie den Vergleich passend?

Das ist hier wirklich manchmal wie in der Schule.

Wer ist dann der Klassenstreber?

Eine Partei zumindest nicht. Wir führen eine Statistik zu Ordnungsrufen – und die Fraktion der AfD hat die meisten. Auch wenn sich andere Parteien leider anstecken lassen.

Wer schwänzt am meisten?

Das ist in den Protokollen der Abstimmungen einsehbar: Die Gruppe BSW ist leider oft nicht anwesend bei Abstimmungen.

Sahra Wagenknecht soll öfter in Talkshows als im Parlament sein. Nervt Sie das?

Talkshow-Auftritte als solche sind nicht zu kritisieren. Wenn man jedoch im Plenum ist, sich an der Debatte aktiv beteiligt, aber dann nicht bis zu den Abstimmungen bleibt, zeigt das aus meiner Sicht ein seltsames Verständnis der eigenen Arbeit als Abgeordnete. Nicht zuletzt ist es respektlos allen Kolleginnen und Kollegen gegenüber, die bis zum Schluss bleiben.

Sie haben zuletzt immer wieder kritisiert, dass die Debattenkultur sich verschärft hat.

Die allermeisten Abgeordneten verhalten sich korrekt und machen sehr gute Arbeit. Aber der Ton ist härter geworden. Man setzt sich nicht mehr in erster Linie inhaltlich heftig auseinander, sondern greift immer öfter zu persönlichen Diffamierungen und Beleidigungen. Die Ordnungsrufe haben in dieser Legislaturperiode massiv zugenommen, auf allen Seiten. Das ist eine Entwicklung, die man seit 2017 beobachten kann.

Woran liegt das?

Dass der Ton rauer geworden ist, beobachten wir in der Gesellschaft schon länger an vielen Stellen. Ich meine das Verhalten gegenüber früheren Autoritäten wie Lehrerinnen und Lehrern, der Polizei oder Rettungskräften, genauso wie den kompromisslosen, beleidigenden und aggressiven Grundton in den sozialen Medien. In der Pandemie spitzte sich die Situation weiter zu, es gab zu viele Ausgrenzungen und zu viele Meinungen standen sich unversöhnlich gegenüber. Diese Entwicklungen sind am Parlament nicht spurlos vorbeigegangen. Die Debatten werden seit 2017 eindeutig aggressiver geführt und darauf mussten wir mit mehr Ordnungsmaßnahmen reagieren.

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Die einzige Geldstrafe, die Bas verhängt hat, ging an ihren SPD-Kollegen Michael Schrodi (Bild). Bild: dpa / Michael Kappeler

Werden wir es nach der Wahl überhaupt zu einer Koalition bringen?

In der letzten Sitzungswoche wurde die Tür nach Rechtsaußen geöffnet. Dadurch ist Vertrauen unter den demokratischen Parteien der Mitte ein Stück weit verloren gegangen. Dennoch: Allen ist nach meinem Eindruck klar, dass wir nach dem 23. Februar wieder zusammenkommen müssen. Ob wir allerdings schnell ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sehen, da habe ich gewisse Zweifel. Wünschenswert ist es angesichts der politischen Lage bei uns im Land, aber auch international.

"Ich bin als Politikerin kein Freiwild."

Noch ein Aspekt, wenn es um eine aggressive Stimmung geht, sind Angriffe auf Politiker:innen, die mehr werden. Fast 5000 Straftaten gab es 2024. Haben Sie das schon erlebt?

Es gab Schmierereien in der Nähe meines Wahlkreisbüros in Duisburg. Sonst habe ich keine Angriffe erlebt. Aber es gibt viele, oft junge Kolleginnen und Kollegen, die aufhören – mit der Begründung, dass sie es auch zum Schutz ihrer Familie nicht mehr als Abgeordnete arbeiten wollen. Sie ziehen sich zurück, weil sie tagtäglich Hass und Angriffe erleben. Ricarda Lang etwa wurde aufgrund ihrer Figur permanent beleidigt. Karamba Diaby kandidiert nicht mehr, weil sogar seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angefeindet wurden. Es gibt Bedrohungen auf örtlicher Ebene, Angriffe auf Ehrenamtliche im Wahlkampf, körperliche Attacken. Das hat zugenommen – und das ist demokratiegefährdend und brandgefährlich. Das muss aufhören und gehört streng bestraft.

209. Bundestagssitzung und Debatte in Berlin Aktuell, 11.02.2021, Berlin, Dr. Karamba Diaby im Portrait bei seiner Rede zum Thema Aktuelle Stunde Neutralit
Karamba Diaby ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages.Bild: imago images / Political-Moments

Was für Anfeindungen erleben Sie auf Social Media?

Auf Social Media sind die meisten Menschen anonym unterwegs und geben alles von sich: wie ich aussehe, was ich gerade anhabe, wie die Haare sitzen, Vergewaltigungsphantasien. Das ist bei Frauen generell besonders schlimm. Ich persönlich kann die Anfeindungen auf Social Media größtenteils wegschieben. Schlimmer ist, dass es nicht auf Social Media bleibt, sondern raus auf die Straße getragen wird und aus Worten Taten werden können.

Gehen Sie dagegen vor?

Ich zeige alles an. Die Leute müssen merken, was sie da machen: Wenn ich im analogen Leben attackiert werde, zeige ich das auch an. Genauso mache ich das mit Social Media. Auch wenn es viel Kraft und Zeit kostet und meistens nichts dabei rumkommt. Aber ich bin als Politikerin kein Freiwild.

Haben wir genug junge Menschen im Parlament?

Den Bevölkerungsanteil junger Menschen spiegeln wir im Parlament nicht wider. Aber wir sind in dieser Legislaturperiode schon besser geworden mit mehr als 15 Prozent der unter 35-Jährigen. Man merkt: Sie bringen frischen Wind rein. Gut so. Andere Generation, andere Themen.

"Bei einer Sitzung nicht dabei zu sein, weil die Work-Life-Balance vorgeht – das geht hier nicht."

Welche zum Beispiel?

Der Klimawandel spielt eine ganz große Rolle. Auch Studium, Ausbildung, Wohnungssuche sind Themen, die mich mit 56 Jahren nicht mehr so betreffen.

Haben jüngere Menschen im Parlament auch so einen schlechten Ruf wie in der Arbeitswelt?

Bei einer Sitzung nicht dabei zu sein, weil die Work-Life-Balance vorgeht – das geht hier nicht. Ich muss aber sagen, dass ich diese grundsätzlichen Debatten über die Gen Z einfach bescheuert finde: 80-Stunden-Wochen sind für niemanden gesund. Wir profitieren alle davon, wenn wir etwas kürzertreten. Da geht es gar nicht um Faulheit. Die Plenarsitzungen im Deutschen Bundestag müssen ganz sicher nicht von 9 Uhr morgens bis 3 Uhr nachts gehen. Es reicht doch auch bis 22 Uhr. Daher ist es gut, wenn sich durch die jungen Abgeordneten etwas ändert. Auch wenn Politik mit Familie mehr vereinbar wird. Es gibt immer mehr Abgeordnete, die ihre Kinder mit in den Bundestag bringen.

Sie haben mal gesagt, das Amt wurde ihnen nicht in die Wiege gelegt.

Ich habe einen Hauptschulabschluss und nie studiert. Mein Vater war Busfahrer. Ich wäre nie im Leben draufgekommen, dass mich als Arbeiterkind mit fünf Geschwistern mal jemand fragt, ob ich die zweite Frau im Staat werden möchte. Das war wirklich nicht vorhersehbar. Wenn man meine Vorgängerinnen und Vorgänger sieht, haben die andere Biografien.

Haben sie gezögert, das Amt anzunehmen?

Nein, überhaupt nicht. Das ist ja oft ein Problem von Frauen, dass sie sich manches nicht zutrauen. Deswegen hatte ich mir mit einer Freundin 2021 nach der Bundestagswahl geschworen: Ich sage ja – ganz egal, welches Amt mir angeboten wird.

Haben Sie selbst erlebt, dass Frauen es schwieriger haben, in hohe Positionen reinzukommen?

Das ist schon so. Wenn wir nicht Quoten hätten in der SPD und es keine öffentliche Diskussion gegeben hätte nach der Wahl 2021, dann wäre ich heute nicht hier.

Wie meinen Sie das?

Alle anderen Verfassungsorgane waren damals männlich besetzt. Wenn ein Mann auch Bundestagspräsident geworden wäre, hätte es in dieser Riege keine einzige Frau gegeben. Den Job habe ich deshalb vor allem den engagierten Frauen zu verdanken, die gesagt haben: Das geht so nicht.

Sind Sie zufrieden mit der Politik, die die Ampel für Frauen umgesetzt hat?

Die Ampel hat schon moderne Verbesserungen im gesellschaftspolitischen Bereich auf den Weg gebracht. Das Selbstbestimmungsgesetz, beispielsweise. Oder die Neufassung von §219a im Strafgesetzbuch. Ärztinnen und Ärzte können jetzt umfassend über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen haben wir aber leider nicht mehr geschafft. Und schade finde ich auch, dass uns eine paritätische Lösung für das Parlament nicht mehr gelungen ist. Es steht zu befürchten, dass der Frauenanteil, der seit 20 Jahren auf 36,5 Prozent hängt, jetzt noch weiter nach unten geht.

Was würde das bedeuten?

Wenn weniger Frauen im Parlament sind, werden auch Themen für Frauen weniger Berücksichtigung finden.

Auf Ihrer Website schreiben Sie von Ihren Hobbys: Fußball und Motorrad fahren. Wie oft sorgen Sie als Frau damit heute noch für Aufsehen?

In meinem Wahlkreis in Duisburg wissen ganz viele, dass ich selbst mal gespielt habe, übrigens zusammen mit Martina Voss-Tecklenburg. Und ich bin oft im Stadion bei meinem MSV. Das ist nichts Besonderes mehr. Aber wenn ich mit meiner Harley um die Ecke komme, ist das immer noch ungewohnt. Das sorgt schon für Aufsehen.

Gehen Sie zu Biker-Treffen?

Ja. Und da vermutet wirklich keiner, dass da die Bundestagspräsidentin vom Motorrad steigt. Man merkt richtig, wie die Leute gucken und sich fragen: Ist sie das?

Noch was Überraschendes: Sie mögen Lothar Matthäus.

Vor allem mag ich die manchmal unfreiwillig komischen Sprüche von Lothar Matthäus. Die sind wirklich legendär.

Welcher drückt Ihre Stimmung gerade besser aus: „I hope we have a little bit lucky“ oder sind wir doch schon bei „Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.“

Wir sind eher schon beim zweiten. Trotz der vielen beunruhigenden Nachrichten sollten wir aber Ruhe bewahren und mit Selbstvertrauen in die Zukunft schauen. Ein guter Anfang wäre eine hohe Wahlbeteiligung bei der kommenden Bundestagswahl am Sonntag. Jede einzelne Stimme ist wichtig.

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