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Interview

SPD-Chefin Saskia Esken warnt vor "Versündigung" bei Schuldenbremse

30.11.2024, Berlin: Saskia Esken, SPD-Bundesvorsitzende, spricht bei der sogenannten "Wahlsiegkonferenz" der SPD. Mit der Konferenz startet die SPD in den Wahlkampf zu den vorgezogenen Bunde ...
Co-Parteichefin Saskia Esken bricht eine Lanze für ihre Partei.Bild: dpa / Michael Kappeler
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Saskia Esken warnt: "Versündigen uns an kommenden Generationen"

30.01.2025, 08:0031.01.2025, 09:52
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Die SPD hinkt mal wieder den eigenen Ansprüchen hinterher. Das alte Spiel wiederholt sich auch kurz vor der Bundestagswahl 2025. Stand jetzt könnten die Sozialdemokrat:innen ihr schlechtestes Wahlergebnis der Historie einfahren.

Dagegen wehrt sich nicht nur der immer-selbstbewusste Noch-Kanzler Olaf Scholz, sondern auch der Rest der SPD – inklusive Saskia Esken, die als Parteichefin trotz ihrer linken Ausrichtung den Kanzler-Kurs vehement verteidigt.

Doch was ist nach drei Jahren Ampel-Chaos und einem Rechtsruck von der unter Esken einst auf Links gedrehten Partei übrig? Und wohin geht es nach der – wahrscheinlich wenig erfolgreichen – Wahl für die SPD weiter?

Mit watson hat Esken über gute Politik für junge Menschen, die echte "Versündigung" bei der Schuldenbremse und richtungsweisende Wochen für die SPD gesprochen.

watson: Frau Esken, können Sie es angesichts der SPD-Bilanz der vergangenen Jahre verstehen, wenn junge Leute stattdessen lieber zu anderen Parteien, etwa der AfD, gehen?

Saskia Esken: Die weltweiten Krisen und Konflikte haben gerade bei jungen Menschen Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind. Ich kann verstehen, wenn junge Menschen verunsichert sind. Die AfD ist eine Partei, die Menschen ausgrenzt, Hass schürt und den Zusammenhalt in unserem Land zerstört. Sie hat jungen Menschen nichts zu bieten, was ihnen Sicherheit und Zuversicht bieten könnte. Es ist unsere Aufgabe, mit verantwortungsvoller Politik für die Menschen und insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene dafür zu sorgen, dass sie gute Perspektiven haben und dass die AfD keine Alternative für sie ist.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf, um junge Menschen wieder mehr für die SPD zu begeistern – und womöglich gar von der AfD wegzubekommen?

Junge Menschen, die jetzt ins Wahlalter kommen, haben während der Coronapandemie eine große Vereinsamung erlebt. Und dann kam Putins Krieg gegen die Ukraine dazu. Mittlerweile fragen mich 14-Jährige voller Sorge, ob die Wehrpflicht kommen wird – das geht mir ans Herz. Wir müssen vor allem mit Bildungspolitik daran arbeiten, dass alle jungen Menschen sich in unserer Gesellschaft gut angenommen und aufgehoben fühlen. Dass sie alle ihre Potenziale und Perspektiven entwickeln können. Mit dem Startchancenprogramm haben wir etwa dafür gesorgt, speziell Brennpunktschulen auch mit Bundesmitteln zu unterstützen.

"Linke gibt's in der SPD, Rechte gibt's keine."

Also setzen Sie vor allem auf unaufgeregte Politik, um junge Wähler:innen zurückzugewinnen?

Es geht nicht um unaufgeregte Politik, sondern um wirksame, die den Menschen zur Seite steht. Wenn mir zum Beispiel Menschen erzählen, mit einem Aufweichen der Schuldenbremse würden wir uns an den kommenden Generationen "versündigen", möchte ich antworten: Wir versündigen uns an der Gegenwart und an der Zukunft, wenn in Deutschland Brücken einstürzen und in den Schulen der Putz von der Decke bröckelt. Das kann doch nicht unser Anspruch sein.

Ausschlaggebend für die Beliebtheitswerte der AfD – auch bei jungen Menschen – das Thema Migration. Wie hilfreich sind in diesem Zusammenhang Sätze wie "Wir müssen endlich in großem Stil abschieben" von Kanzler Olaf Scholz?

Wir eröffnen reguläre Wege für die Zuwanderung von Menschen, die zu uns zu kommen, um hier zu arbeiten und eine gute Zukunft für sich zu finden und die ja auch dringend gebraucht werden. Auch das hat Olaf Scholz in dem Interview gesagt. Das hat es nicht in die Überschrift geschafft. Medien neigen dazu, Themen nur an Konfliktpunkten hochziehen. Im Interview beschreibt Olaf Scholz sehr richtig, wie wichtig Zuwanderung ist und wie wir unserer Zuwanderungsrecht dementsprechend modernisiert haben. Es ist Olaf Scholz, der im Hinblick auf den Tabubruch von Friedrich Merz bei einer Zusammenarbeit mit der AfD das Asylrecht vehement verteidigt.

Hätten Sie den Satz selber so gesagt?

Nein, aber ich habe mich auch schon über vereinfachte Überschriften bei mir geärgert.

Lars Klingbeil, Co-Vorsitzender der SPD, Olaf Scholz, Bundeskanzler, Saskia Esken, Co-Vorsitzende der SPD, Deutschland, Berlin, Au�erordentlichen Bundesparteitag der SPD am 11. Januar 2025 *** Lars Kl ...
Die SPD-Führungsriege Klingbeil, Scholz und Esken präsentiert sich stets geeinigt.Bild: imago images / Metodi Popow

Im Migrationsdiskurs sind Kanzler Scholz und ihr Co-Parteivorsitzender Lars Klingbeil eher weiter nach rechts gerutscht. Fühlen Sie sich mit Ihrer Minderheitsposition als Parteilinke in der SPD-Führungsriege allein?

Eins ist klar: Linke gibt’s in der SPD, Rechte gibt’s keine. Wir sind Volkspartei und in allen Fragen an einer gemeinsamen Meinungsbildung orientiert. Unsere Grundhaltungen verlassen wir dabei nicht.

2021 konnte Scholz auch SPD-Linke mit seinem "Respekt"-Wahlkampf und als selbsternannter "Klimakanzler" und "Kanzler für bezahlbares Wohnen" überzeugen. Fühlen Sie sich angesichts dieser Versprechen nicht von seiner Regierungsbilanz veräppelt?

Wir haben nach der Wahl mit FDP und Grünen eine nicht einfache Koalition geschlossen. Dann hat es nur zwei Monate gedauert, bis Putin in der Ukraine einmarschiert ist und wir eine Zeitenwende in der europäischen Friedensordnung erlebt haben. Vielleicht wäre es angebracht gewesen, danach nochmal über den Koalitionsvertrag nachzuverhandeln ...

... das taten Sie aber nicht.

Dennoch gelang es uns, den Mindestlohn zu erhöhen und die Inflation abzufedern. Dazu haben wir die Energieversorgung gesichert und immer mehr auf erneuerbaren Quellen umzustellen. Dem Thema Wohnungsbau haben wir einen Fokus gegeben und die Mittel für sozialen Wohnungsbau ebenso massiv erhöht wie wir das Wohngeld ausgeweitet und erhöht haben. Durch die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, nicht zuletzt die massiv gestiegenen Baukosten und Zinsen, konnten wir unser Ziel von 400.000 Wohnungen leider nicht erreichen. Und doch geht es voran.

Dennoch stand dieses Ziel – ebenso das der anteilig 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr – ja im Koalitionsvertrag. Warum sollten Ihnen die Wähler:innen nun abnehmen, dass die SPD ihr Versprechen aus dem aktuellen Wahlprogramm "Wohnen ist ein Menschenrecht!" einlöst?

Die Voraussetzungen sind besser geworden. Die Materialpreise sind wieder runtergegangen, die Zinsen ebenfalls. Wir haben das Baurecht entschlackt. Unsere Fördermittel werden gut abgerufen. Die Ankurbelung des Wohnungsbaus ist ein langwieriger Prozess, doch wir werden eine positive Entwicklung sehen und wollen sie weiterführen.

Das Vorhaben einer WG-Garantie im SPD-Wahlprogramm hat selbst der Vorsitzende des Studentenwerks als unrealistisch kritisiert. Dass Zimmerpreise von höchstens 400 Euro eingeklagt werden können, "dürfen wir gesetzlich nicht", sagte er. Welcher Wohnungsplan der SPD ist realistisch umsetzbar und hilft effektiv?

Wir werden mit weiteren Baurechtsvereinfachungen ebenso wie mit einer Fortführung der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau den Neubau bezahlbarer Wohnungen weiter vorantreiben. Die Mietpreisbremse dauerhaft zu installieren, ist ein wichtiger Schritt. Speziell für junge Menschen haben wir mit dem Programm "Junges Wohnen" auch den Bau von Studierenden- und Azubiwohnheimen nochmal mehr gefördert. Auch da werden die Fördermittel sehr gut abgerufen.

Und was ist nun mit der WG-Garantie?

Es muss darauf ankommen, alles zu tun, um den Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu beseitigen. Und vom Programm "Junges Wohnen" ist das Studierendenwerk auch überzeugt. Dazu kommt die Reform des BAföG, die dazu führen soll, dass sowohl das BAföG selbst als auch die Wohnkostenpauschale mit den Kosten steigt und auch auf regionale Unterschiede Rücksicht nimmt.

Okay, das heißt: Bei der WG-Garantie muss man nochmal ran, aber generell sind Sie guten Mutes, dass zusammen mit dem Studierendenwerk was daraus wird?

(nickt.)

Was sollte die SPD in Ihren Augen nach einer Wahlniederlage unternehmen? Olaf Scholz hat ja bereits ausgeschlossen, Vizekanzler in einer CDU-Regierung zu werden.

Jetzt ist gerade keine Zeit, um über Koalitionen zu reden. 2021 haben wir nur 30 Tage für den Turnaround vor der Bundestagswahl gebraucht. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir kämpfen und gewinnen können. Ich bin zuversichtlich, dass uns das wieder gelingt.

Und warum braucht das Land nochmal vier weitere Jahre Olaf Scholz?

Ich bin von unserem Weg und von unserem Kanzler überzeugt, gerade im Hinblick auf die aktuelle Weltlage. Olaf Scholz wird auch gebraucht, weil er international erfahren ist. Weil er klug und besonnen agiert, während der Kanzlerkandidat der Union impulsiv handelt und nicht davor zurückschreckt, mit den Stimmen der Feinde der Demokratie zu taktieren.

Alice Weidel wird bei Bundestags-Debatte hart zurechtgewiesen

In der letzten Bundestagsdebatte geht es nochmal heftig zur Sache. Es kommt zwischen den Parteien zu einem erbitterten Schlagabtausch. Vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein aussichtsreichster Herausforderer Friedrich Merz von der Union liefern sich erneut ein hartes Wortgefecht über Migration, den Kurs in der Wirtschaftspolitik und den Umgang mit der AfD.

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