Die SPD hinkt mal wieder den eigenen Ansprüchen hinterher. Das alte Spiel wiederholt sich auch kurz vor der Bundestagswahl 2025. Stand jetzt könnten die Sozialdemokrat:innen ihr schlechtestes Wahlergebnis der Historie einfahren.
Dagegen wehrt sich nicht nur der immer-selbstbewusste Noch-Kanzler Olaf Scholz, sondern auch der Rest der SPD – inklusive Saskia Esken, die als Parteichefin trotz ihrer linken Ausrichtung den Kanzler-Kurs vehement verteidigt.
Doch was ist nach drei Jahren Ampel-Chaos und einem Rechtsruck von der unter Esken einst auf Links gedrehten Partei übrig? Und wohin geht es nach der – wahrscheinlich wenig erfolgreichen – Wahl für die SPD weiter?
Mit watson hat Esken über gute Politik für junge Menschen, die echte "Versündigung" bei der Schuldenbremse, "Fingerschnippen"-Politik in Krisenzeiten und richtungsweisende Wochen für die SPD gesprochen.
watson: Frau Esken, können Sie es angesichts der SPD-Bilanz der vergangenen Jahre verstehen, wenn junge Leute stattdessen lieber zu anderen Parteien, etwa der AfD, gehen?
Saskia Esken: Ich kann verstehen, wenn junge Menschen verunsichert sind. Ich kann aber nicht verstehen, wenn Erwachsene Parteien ihre Stimme geben, die das Heil unseres Landes in der Ausgrenzung von Minderheiten sehen. Unsere Aufgabe ist es, mit verantwortungsvoller Politik Verunsicherung zu beseitigen.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf, um junge Menschen wieder mehr für die SPD zu begeistern – und womöglich gar von der AfD wegzubekommen?
Junge Menschen, die jetzt ins Wahlalter kommen, haben während der Coronapandemie eine große Vereinsamung erlebt. Und dann kam auch noch der Krieg obendrauf. Mich fragen 14-Jährige mittlerweile sorgenvoll, ob die Wehrpflicht kommen wird – das geht mir ans Herz. Wir müssen vor allem mit Bildungspolitik daran arbeiten, dass nicht so viele unter die Räder kommen, Schüler:innen sich gut aufgehoben fühlen. Mit dem Startchancenprogramm haben wir etwa dafür gesorgt, speziell Brennpunktschulen auch mit Bundesmitteln zu unterstützen.
Also setzen Sie vor allem auf unaufgeregte Politik, um junge Wähler:innen zurückzugewinnen?
Es geht nicht um unaufgeregte Politik, sondern um wirksame, die den Menschen zur Seite steht. Wenn mir zum Beispiel Menschen erzählen, mit einem Aufweichen der Schuldenbremse würden wir uns an den kommenden Generationen "versündigen", möchte ich antworten: Wenn in Zukunft in den Schulen der Putz von der Decke bröckelt, versündigen wir uns auch.
Ausschlaggebend für die Beliebtheitswerte der AfD – auch bei jungen Menschen – das Thema Migration. Wie hilfreich sind in diesem Zusammenhang Sätze wie "Wir müssen endlich in großem Stil abschieben" von Kanzler Olaf Scholz?
Das ist ein Kurzausschnitt aus einem langen Interview gewesen. Medien neigen dazu, Themen nur an Konfliktpunkten hochziehen. Drumherum erklärte er etwa, wie wichtig das neue Staatsangehörigkeitsgesetz und das neue Einwanderungsrecht sind. Olaf Scholz hat sehr gut verstanden, dass wir Zuwanderung brauchen.
Hätten Sie den Satz selber so gesagt?
Nein. Weil ich der Auffassung bin, dass man gerade bei dem Themenfeld genau auf seine Worte achten muss.
Im Migrationsdiskurs sind Kanzler Scholz und ihr Co-Parteivorsitzender Lars Klingbeil eher weiter nach rechts gerutscht. Fühlen Sie sich mit Ihrer Minderheitsposition als Parteilinke in der SPD-Führungsriege allein?
Eins ist klar: Linke gibt’s in der SPD, Rechte gibt’s keine. In allen Fragen sind wir an einer gemeinsamen Meinungsbildung orientiert. Unsere Grundhaltungen verlassen wir dabei nicht.
2021 konnte Scholz auch SPD-Linke mit seinem "Respekt"-Wahlkampf und als selbsternannter "Klimakanzler" und "Kanzler für bezahlbares Wohnen" überzeugen. Fühlen Sie sich angesichts dieser Versprechen nicht von seiner Regierungsbilanz veräppelt?
Wir haben nach der Wahl mit der FDP und den Grünen eine nicht ganz einfache Koalition geschlossen. Dann hat es nur zwei Monate gedauert, bis Putin in der Ukraine einmarschiert ist und wir eine Zeitenwende in der europäischen Friedensordnung erlebt haben. Es wäre angebracht gewesen, danach nochmal über den Koalitionsvertrag nachzuverhandeln ...
... das taten Sie aber nicht.
Dennoch gelang es uns, die Inflation abzufedern, den Mindestlohn zu erhöhen. Der Ausbau Erneuerbarer Energien ist stark vorangegangen. Und dem Thema Wohnungsbau haben wir zumindest mal einen Fokus gegeben. Bei der im Koalitionsvertrag stehenden Mietrechtsänderung hat uns die FDP aber in Geiselhaft genommen. Und das Ziel der 400.000 Wohnungen pro Jahr war durch die Folgen des Ukraine-Krieges nicht zu erreichen.
Dennoch stand dieses Ziel – ebenso das der anteilig 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr – ja im Koalitionsvertrag. Warum sollten Ihnen die Wähler:innen nun abnehmen, dass die SPD ihr Versprechen aus dem aktuellen Wahlprogramm "Wohnen ist ein Menschenrecht!" einlöst?
Die Lage hat sich entspannt. Die Materialpreise sind wieder runtergegangen, die Zinsen ebenfalls. Unsere Fördermittel werden gut abgerufen. Wohnungsbau geht nicht mit einem Fingerschnippen.
Das Vorhaben einer WG-Garantie im SPD-Wahlprogramm hat selbst der Vorsitzende des Studentenwerks als unrealistisch kritisiert. Dass Zimmerpreise von höchstens 400 Euro eingeklagt werden können, "dürfen wir gesetzlich nicht", sagte er. Welcher Wohnungsplan der SPD ist realistisch umsetzbar und hilft effektiv?
Die Mietpreisbremse dauerhaft zu installieren, ist ein wichtiger Schritt. Speziell für junge Menschen haben wir mit dem Programm "Junges Wohnen" auch den Bau von Studierenden- und Azubiwohnheimen nochmal mehr gefördert.
Und was ist nun mit der WG-Garantie?
Es muss darauf ankommen, alles zu tun, um die Wohnungsnot zu lindern. Und vom Programm "Junges Wohnen" ist das Studierendenwerk auch überzeugt.
Okay, das heißt: Bei der WG-Garantie muss man nochmal ran, aber generell sind Sie guten Mutes, dass zusammen mit dem Studierendenwerk was daraus wird?
(nickt.)
Was sollte die SPD in Ihren Augen nach einer Wahlniederlage unternehmen? Olaf Scholz hat ja bereits ausgeschlossen, Vizekanzler in einer CDU-Regierung zu werden.
Ich kann Ihnen ebenfalls klar sagen: Ich werde auch nicht Vizekanzlerin. (lacht) Spaß beiseite, jetzt ist gerade keine Zeit, um über Koalitionen zu reden. 2021 haben wir nur 30 Tage für den Turnaround vor der Bundestagswahl gebraucht. Wir müssen kämpfen, aber ich bin zuversichtlich, dass uns das wieder gelingt.
Und warum braucht das Land nochmal vier weitere Jahre Olaf Scholz?
Ich bin von unserem Weg und unserem Kanzler überzeugt, gerade auch vor der jetzigen Weltlage. Olaf Scholz wird auch gebraucht, weil er mit klarer Haltung gegenüber einem Donald Trump sagen würde: "Hör zu: Auch du hast das Völkerrecht zu akzeptieren."