Geschlechtsidentitäten sind so vielfältig wie die Menschen – das will aber nicht jede:r akzeptieren.Bild: dpa / Roberto Pfeil
Meinung
Kaum ein Thema reizt Teile der deutschen Gesellschaft so sehr, wie Sternchen, Unterstriche oder das Binnen-I. "Genderwahnsinn", nennt das die AfD. Aber nicht nur die Rechtsaußen-Partei tut sich schwer mit dem Anerkennen von Geschlechtsidentitäten. Auch die CDU und ihre kleine Schwester, die CSU, wollen von gendergerechter Sprache nichts wissen. Genauso wenig wie von Geschlechtsidentität.
Nach einem Besuch bei dem Republikaner und Gouverneur des US-Bundesstaates Florida, Ron DeSantis, erklärte CSU-Politiker Andreas Scheuer, er teile dessen Analysen. Konkret ging es dabei um DeSantis Meinung zur "Identitätspolitik".
Beim geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampel bringen Unions-Vertreter:innen immer wieder die Sorge an, Menschen könnten ihr Geschlecht dann nach Belieben wechseln – und daraus Vorteile ziehen. Zum Beispiel, weil sie in Schutzräume von Frauen eindringen, oder bei Sportveranstaltungen besser abschneiden könnten.
Trans* Menschen sind in Deutschland nach wie vor nicht sicher
Das sind Sorgen von in der Regel heteronormativen Cis-Politiker:innen. Was die Gegner:innen offensichtlich nicht wahrnehmen wollen: trans* Menschen sind in Deutschland nicht übervorteilt, sondern sie müssen auch heutzutage noch mit offensivem Hass und Gewalt rechnen.
Bei einer europaweiten Umfrage gaben zehn Prozent der trans* Personen in Deutschland an, innerhalb eines Jahres körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Damit liegt Deutschland knapp über dem EU-Schnitt von neun Prozent.
Für trans* Menschen ist das Leben in Deutschland noch immer nicht sicher.Bild: dpa / Bernd Thissen
Gerade im vergangenen Jahr sind vermehrt Fälle von Gewalt gegen trans* Menschen öffentlich geworden:
- Da war Malte C., der auf dem Christopher Street Day in Münster zusammengeschlagen wurde und letztlich an seinen Verletzungen starb.
- Da war ein Fall in Bremen, bei dem mehrere Jugendliche eine trans* Frau in der Tram belästigt haben. Einer davon hat sie zusammengeschlagen.
- Da war der Fall in Herne, als eine Gruppe Jugendlicher auf ein trans* Mädchen eingetreten haben.
Drei Beispiele, die verdeutlichen, wie viel Hass vielen trans* Personen noch heute entgegenschlägt. Und die Gruppe der trans*-Feinde bekommt unerwartete Unterstützung aus den Riegen der Radikalfeminist:innen.
Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling wird trans*-Feindlichkeit nachgesagt.Bild: imago images / Pacific Press Agency/Lev Radin
Feminismus fordert Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Menschen
Das ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. Der Gedanke liegt nahe, dass sich Aktivist:innen, die sich für die Gleichbehandlung und Rechte von Frauen einsetzen, auch für die Rechte von anderen aufgrund ihres Geschlechtes marginalisierten Gruppen einsetzen. Denn letztlich ist es das, was Feminismus bedeutet.
Trans*, Cis, heteronormativ?
Trans* Menschen identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, dass ihnen bei der Geburt zugewiesen wird.
Cis-Menschen identifizieren sich wiederum mit dem Geschlecht, das ihnen von außen zugeschrieben wird.
Heteronormativität beschreibt eine Weltanschauung, in der es nur zwei Geschlechter gibt. Heterosexuelle Beziehungen sind in dieser Weltsicht die Normalität. (rs)
Die Soziologin Ilse Lenz führt den Grundgedanken des Feminismus in einem Beitrag, den sie beim Gunda-Werner-Institut veröffentlicht hat, folgendermaßen aus:
"Grundanliegen aller feministischen Strömungen sind die Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, die im öffentlichen wie auch im persönlichen Leben verwirklicht werden soll."
Sie räumt in ihrem Beitrag ein, dass es diverse Feminismen gibt – und sich die Strömungen stets weiterentwickeln. Aber auch wenn Feminismus per se alle Menschen einschließt und auf eine gerechte Gesellschaft abzielt, gibt es radikale Strömungen, die gezielt marginalisierte Menschen ausschließen.
Zum Beispiel Terfs. Die alten weißen Männer des Feminismus.
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Was sind eigentlich Terfs?
Der Begriff steht für trans* exclusionary radical feminist (trans* ausschließende, radikale:r Feminist:in). Terfs schließen trans* Menschen aus ihrem Feminismus also aus.
Wichtig zu erwähnen ist, dass Radikalfeminismus nicht per se trans*-feindlich ist. Anhänger:innen des radikalen Feminismus sind davon überzeugt, dass die strukturelle Ungleichbehandlung von Männern und Frauen am Patriarchat liegt. Also an der männlichen Vorherrschaft. Im Umkehrschluss setzen sie sich dafür ein, das Patriarchat abzuschaffen und so die Hierarchien einzureißen.
Terfs wollen dieses Ende der Hierarchien zwar auch, allerdings nicht für alle Menschen. Vielmehr verbreiten Anhänger:innen des trans*-feindlichen Feminismus die These, Rechte für trans* Menschen würden zulasten von cis-Frauen durchgesetzt. Die strukturelle Benachteiligung von cis-Frauen würde durch Queer- und trans* Feminist:innen nicht anerkannt.
Auf der anderen Seite, beschreibt die trans*-Rechts-Aktivist:in Mine Wenzel, würden Terfs trans*-Feindlichkeit als "Genderideologie" abtun. Gleichzeitig beharren Terfs auf das binäre Geschlechtsmodell. Das geht so weit, dass sie trans* Menschen ihre Geschlechtsidentität absprechen.
Ein prominentes Beispiel: Publizistin Alice Schwarzer
Alice Schwarzer ist mittlerweile auch innerhalb der feministischen Strömung eine überaus umstrittene Figur.Bild: dpa / Henning Kaiser
Ein Text, der in Alice Schwarzers Zeitschrift "Emma" veröffentlicht wurde, arbeitet sich beispielsweise an der Grünen-Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer ab. Ganserer hatte sich 2018 als trans* geoutet und nutzt seither den Namen Tessa. In dem "Emma"-Beitrag beklagt die Initiative "Geschlecht zählt", Ganserer habe einer cis-Frau den Quotenplatz weggeschnappt. Und das, obwohl die Grüne "physisch und juristisch" ein Mann sei.
Ganserer wird in dem Artikel nicht nur missgendert, sondern auch gedeadnamed – also bei dem Namen genannt, den ihr ihre Eltern gaben. In einem feministischen Magazin. Im Bundestag muss die Politikerin diese Grenzübertritte normalerweise von Vertreter:innen der rechtspopulistischen AfD ertragen.
Terfs beharren, ebenso wie viele Konservative und Antifeminist:innen darauf, dass es zwei Geschlechter gibt. Dass nur Frau ist, wer eine Gebärmutter hat. Eine Argumentation, die ihren Ursprung im Patriarchat hat.
Terfs schaden dem Feminismus
Also dem gesellschaftlichen System, in dem wir leben. In der Familien klassischerweise aus Vater, Mutter und Kindern bestehen. In der gleichgeschlechtliche Liebe lange Zeit verboten war. Erst 2017 wurde in Deutschland die "Ehe für Alle" Realität.
Nach wie vor genießen in dieser Gesellschaft weiße Männer Privilegien – auch wenn diese nicht offiziell sind. Auch wenn es auf dem Papier Gleichberechtigung und -behandlung geben sollte. Das Patriarchat ist per se antifeministisch.
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ermittelte 2021, dass sich gerade einmal acht Prozent der befragten Männer in Deutschland als Feministen verstehen. Gender-Pay-Gap oder auch #MeToo zeigen außerdem: Bis heute werden Frauen systematisch unterdrückt – während Männer systematisch profitieren und die Körper von Frauen beanspruchen.
Antifeministische Bestrebungen haben aus Sicht der Soziologin Carolin Wiedemann mit "tief sitzenden, patriarchalen Ideologien in der Erziehung, Angst vor Machtverlust sowie dem Wunsch nach Sicherheit" zu tun. Das führte sie im Rahmen einer Podiums-Diskussion zum Weltfrauentag aus.
Was aber hat das alles mit Terfs zu tun?
Wie auch die "alten weißen Männer", die bis heute vom Patriarchat profitieren, macht es den Anschein, als wollten diese Radikalfeminist:innen ihre Rechte nicht teilen. Als hätten sie Angst, sollten sie für andere kämpfen – Seite an Seite – würden cis-Frauen weiterhin benachteiligt.
Statt also gemeinsam mit anderen marginalisierten Gruppen an den Grundpfeilern des Patriarchats – und damit des eigentlichen Problems – zu rütteln, fahren Terfs die Ellenbogen aus. Und stützen damit sogar das System, das sie eigentlich stürzen wollen.
Letztlich gehört zur Überwindung dieses Systems auch die Loslösung von Gender- und Rollenbildern. Erst dann kann der Grundsatz "Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen", wie Ilse Lenz ihn definiert, erfüllt werden.