Ich habe mich noch nicht genug über Annegret Kramp-Karrenbauers Rede beim Karneval aufgeregt. Beim Stockacher Narrengericht empörte sie sich über den Geschlechtseintrag "divers", Berliner Toiletten und Latte Macchiatos:
"Guckt Euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von Euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist diese Toilette."
Nach solchen Auftritten bleibt bei mir nur eine Botschaft hängen: Dass ich mich in Wahrheit für etwas Bescheuertes einsetze. Es ist trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Der Hipster- oder auch Gutmenschen-Vorwurf ist das Totschlagargument, wenn es sich im entferntesten um Political Correctness und soziale Gerechtigkeit dreht. Damit beendet man nicht nur jede Debatte, es ist auch extrem verletzend.
Ihr hasst mich, oder?
Hallo, ich bin Helena und ich lebe seit drei Jahren in Berlin. Ja, ich mache "irgendwas mit Medien", ich habe mir hier schon zwei Tattoos stechen lassen und trinke gerne schwarzen Kaffee mit Eiswürfeln. Ich bin für die Legalisierung von Drogen, gegen den Ausschluss von trans geschlechtlichen und intersexuellen Menschen von irgendwelchen Klos und ich habe kein Problem damit, an einer Theke veganen Wein auf Englisch zu bestellen. Ich bin all das, was dem Feinbild einer Hipster*in entspricht. Wenn sich jemand dann über eine vermeintliche Meinungsdiktatur echauffiert, konservative Medien oder hohe politische Beamte, trifft mich das ins Mark.
Denn es ist eine Debatte, die einseitg geführt wird: Alle gegen die Hipster. Vorne weg Annegret Kramp-Karrenbaurer, Vorsitzende der größten Partei Deutschlands und heiße Kandidaten auf die Kanzlerschaft. Ich möchte ihre Rede mit dem Satz "Berlin ist so schlimm, da fühlen sich alle Menschen gesellschaftlich angenommen" übersetzen. Menschen, wie ich, die das gut finden, sind dann wohl Weicheier, mit denen sie nicht diskutieren will.
Und sie ist nicht die einzige, die beklatschtes Hipster-Bashing betreibt. Gesundheitsminister Jens Spahn beklagte sich auch schon über uns und über Bars, in denen man Englisch sprechen muss. Ebenso Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, der immer wieder davon spricht, wie gern er aus Berlin zurück nach Bayern kommt.
Bashing von oben, das funktioniert
Dieses Jammern von ganz oben über uns kommt überall an. Wenn ich auf einen sensiblen Umgang mit Sprache aufmerksam mache, stempelt man mich als "Hipster" ab. Schwupps, ist die Debatte tot. Alles was ich sage, ist zu sensibel und zu politisch korrekt. Meine Meinung hat kein Gewicht, weil sie ja eh nur von mir, dem Gutmenschen mit Öko-Hintergrund kommt. Selbst, wenn ich mit Fakten und Zahlen komme, die mein Ansichten belegen, werde ich einfach als zu emotional abgeschrieben.
Und das in einem Land, in dem seit Jahren Konservative in der Regierung und eine in Teilen faschistische Partei auf dem Vormarsch sind. Sie singen das Lied von der linken Meinungshoheit. Manchmal sogar von eine "linken Meinungsdiktatur". Ex-Verfassungsschutzpräsident und CDU-Mitglied Hans-Georg Maaßen sprach schon davon, dieser zum Opfer gefallen zu sein. Auch rechte Medien greifen dieses Wort immer wieder auf. Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen oder heulen soll. Das Wort "Diktatur" in unserer priviligierten Gesellschaft zu verwenden, halte ich ohnehin für populisitisch. Aber zu behaupten, wir Hipster hätten die Meinungshoheit, wenn das Land doch unübersehbar von Hipsterfeindlichen und Konservativen regiert wird, ist absurd.
Und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Das macht mich fertig.
Ich verstehe ja, warum
Politiker setzen den Hass auf Hipster clever ein. Eine Gesellschaft braucht Zusammenhalt – und Zusammenhalt wächst durch ein gemeinsames Feindbild. Land gegen Stadt, Spießer und Konservative gegen Hipster. Diese Masche ist extrem erfolgreich: Ein bisschen Genervtheit von Multikulti hier, ein bisschen Festhängen an alten Werten da und der Hipster, der an allem Schuld ist. Mit dem Hipsterhass kommt ein Großteil Deutschlands auf einen gemeinsamen Nenner. Feinbild gefunden, Gesellschaft vereint.
Und ich wünschte ich könnte das einfach so an mir vorbeiziehen lassen. Aber das hier ist mein Leben. Ich kann mich da nicht einfach emotional ausklinken. Ich verteidige die Namenswahl von Kramp-Karrenbauer genauso wie das Recht von Jens Spahn, zu lieben, wen er will – immer in dem Wissen, dass ich für sie dennoch weiterhin die Witzfigur bin. Weil es meine Überzeugung ist, dass jeder Mensch gut behandelt werden sollte.
Wenn man das an mir doof findet, werde ich damit leben müssen. Und gehe jetzt meinen Latte trinken. Mit Machapulver.
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Video: watson/Jodok Meier, Marius Notter, Lia Haubner
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