Es ist zunächst nicht verwunderlich: Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag, Sahra Wagenknecht, findet es falsch, dass der Verfassungsschutz die AfD zum Prüffall erklärt.
Nicht verwunderlich deshalb, weil Teile der Linken und auch Sahra Wagenknecht selbst über Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Zumindest für Bundestagsabgeordnete der Linken wurde dies 2014 eingestellt. 2013 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Beobachtung des damaligen thüringischen Landtagsabgeordneten und heutigen Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow, für verfassungswidrig. Radikalere Gruppierungen der Linkspartei wie "Cuba Si", das "Marxistische Forum" oder die "Kommunistische Plattform" sind aber nach wie vor im Visier der Nachrichtendienste.
Es ist also auf den ersten Blick nur konsequent, wenn Sahra Wagenknecht die Verfassungsschutzbehörden grundsätzlich in Frage stellt. Wenn sie sagt, eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz halte sie für "falsch", "für politisch nicht sinnvoll".
Und weiter:
"Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich innerhalb der AfD auch Rechtsextreme und andere Finsterlinge tummeln, dafür braucht man aber keinen Verfassungsschutz, um das festzustellen."
Soweit, so richtig. Hinter Wagenknechts "Nein" zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz steckt allerdings Kalkül. Es ist wieder mal ein ziemlich durchsichtiger Versuch, AfD-Wähler und Sympathisanten zu gewinnen. Denn: Kaum eine Partei hat so viele Wähler an die AfD verloren wie die Linke. Allein im Osten über 400.000. Gerade dort, wo die politischen Milieus weniger gefestigt sind und die Bindung an Parteien weniger stark ist, gibt es einen riesigen Markt für Protestwähler. Und genau die will Wagenknecht zurückgewinnen.
Nicht zuletzt durch ihre überparteiliche Sammlungsbewegung "Aufstehen". Als in Chemnitz 65.000 Menschen aufstanden und unter #wirsindmehr für ein weltoffenes Land auf die Straße gingen, blieb Sahra Wagenknecht sitzen. Auch Äußerungen zur Flüchtlingspolitik und die Sympathiebekundungen für das autoritäre Putin-Regime zeigen, um welche Wähler-Milieus es Wagenknecht vor allem geht.
In diese Logik passt auch Wagenknechts ziemlich eigenwilliger Versuch, auf den französischen Protestzug der sogenannten "Gelbwesten" aufzuspringen und sich mit den Demonstranten der "Gilet jaunes" zu solidarisieren – ohne ein kritisches Wort zu den Protesten, bei denen Menschen verletzt wurden und sogar ums Leben kamen.
Dass Wagenknecht jetzt die AfD, eine Partei, die in Teilen rechtsextrem und verfassungsfeindlich ist, vor dem Verfassungsschutz in Schutz nimmt, ist da nur konsequent. Und das mit Sätzen, die so auch Jörg Meuthen oder Alice Weidel hätte sagen können.
Beispiel "Keule":
"Wir sind der Meinung, man muss sich mit der AfD politisch auseinandersetzen, statt zu versuchen, sie mit der Keule der Beobachtung zu kriminalisieren und damit politisch in eine Märtyrerrolle zu drängen."
Richtig, man muss sich mit der AfD politisch auseinandersetzen. Aber: Warum in einer tatsächlich wehrhaften Demokratie das eine tun, ohne das andere zu lassen?
Besonders bemerkenswert ist aber ein anderer Satz:
"Und was ich vor allem wichtig finde: Man muss alles dafür tun, dass die sozialen Ursachen für Verunsicherung, die am Ende die AfD stark gemacht haben, überwunden werden."
Und es stimmt ja. Es kann gar nicht genug getan werden, um die Ursachen für soziale Verunsicherung zu bekämpfen. Allerdings unterstellt diese Botschaft, dass das AfD-Phänomen in erster Linie eben solch soziale Ursachen hat.
Mitnichten.
Es sind nicht die Abgehängten und Armen, die die AfD stark machen. Es sind vor allem bürgerliche Kreise, die die neurechte Ideologie dahinter in die gesellschaftliche Mitte tragen. Und: Die Verantwortung dafür, eine extreme, demokratiefeindliche Partei zu wählen, liegt immer noch zuerst beim Wähler selbst. Mögen die sozialen Verunsicherungen noch so groß sein.
Hinter Wagenknechts Gleichung – soziale Ungleichheit führe naturgemäß zum Erstarken rechter Parteien – steckt im Grunde ein altlinker Schuh: Die Idee der Dimitroff'schen Faschismustheorie.
Die Theorie besagt in aller Kürze: Der Kapitalismus ist schuld. Der Faschismus ist demnach nur eine Variante des Kapitalismus' in der Krise. Und die Ursachen dafür liegen allein in den ökonomischen Verhältnissen.
Was hat das jetzt mit Wagenknecht zu tun? Im Grunde ist es genau das Bild, das sie mit ihren Aussagen zeichnet: Am Anfang steht der Kapitalismus, der sorgt für Ungleichheit, Flucht und Vertreibung, der Extremismus von rechts ist da nur die Reaktion.
Es ist nicht zuletzt diese Formel einer sehr vereinfachten Kapitalismuskritik, die einen Teil der Wagenknecht'schen Linken und neurechte Positionen zusammenbringt.
Und: Diese Logik ist so einfach wie verführerisch. Wird aber der Wirklichkeit selbst dann nicht gerecht, wenn man sie bis zur Unkenntlichkeit theorisiert. Denn diese Lesart unterschlägt: Der Rechtsextremismus braucht den Kapitalismus und auch den Migranten nicht. Ideologien haben keine Ursache. Allenfalls Anlässe. Das Problem am Extremismus ist der Extremist selbst.
Statt also Schuld und Verantwortung überall zu suchen – warum nicht einfach mal danach fragen, was Wagenknecht selbst zur sozialen Verunsicherung beigetragen hat? Gerade in Ostdeutschland? Welchen Anteil haben sie und ihre Partei womöglich daran, dass sich viele der ehemaligen PDS- und dann Linksparteiwähler heute besonders von der AfD angesprochen fühlen? Ist das simple Welterklärungsmodell, das Wagenknecht und Co. über Jahrzehnte angeboten haben, vielleicht Teil des Problems? Weil es jetzt einfach durch ein anderes ersetzt wird? Und: Hat die These, dass der Kapitalismus (wahlweise ersetzt durch Neoliberalismus) an allem schuld sei, vielleicht nicht eher dazu geführt, sich mit rechten Ideologien erst gar nicht auseinanderzusetzen?
Sich einmal solche Fragen zu stellen, würde vor allem eines voraussetzen: die Fähigkeit, an der eigenen Position auch mal zu zweifeln. Das aber kann man von Sahra Wagenknecht nun wirklich nicht verlangen.
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