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Rücktritt von Frauke Brosius-Gersdorf: Verantwortung trägt die Union

ARCHIV - 15.04.2024, Berlin: Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin, stellt den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vor. (zu dpa: «Brosius-Gersdorf  ...
Frauke Brosius-Gersdorf hat entschieden, sich zurückzuziehen. Bild: dpa / Britta Pedersen
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Brosius-Gersdorf: Die CDU ist blind für die Methoden der AfD

Die entsetzliche Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf hatte Erfolg: Die renommierte Jura-Professorin zieht ihre Kandidatur zurück. Ein Schlag für die Demokratie, den die Union zu verantworten hat.
07.08.2025, 18:3407.08.2025, 18:39
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Es gibt kaum Worte dafür, die beschreiben, was in den vergangenen Wochen mit Frauke Brosius-Gersdorf gemacht wurde. Sie wurde diffamiert und bedroht, ihre rechtswissenschaftliche Arbeit bewusst völlig verzerrt und in den Dreck gezogen. Eine gezielte Kampagne entflammt und befeuert durch rechte Akteur:innen und radikale sogenannte "Lebensschützer:innen". Dass es mit der Union eine Regierungspartei ist, die den Brand endgültig hat auflodern lassen, ist mehr als erbärmlich.

Hass, Hetze und Union: Brosius-Gersdorf verdient Anerkennung!

Wir erinnern uns zurück, was vorgefallen ist, denn es zeigt die Tragweite, die die Causa Brosius-Gersdorf für die Demokratie und für das Bundesverfassungsgericht hat: Rechtskonservative bis rechtsextreme Medien tippten sich die Finger wund, um haltlose Anschuldigungen gegen die Juristin in der Öffentlichkeit zu streuen. Zunächst konzentrierten sie sich auf Aussagen von ihr zu einem möglichen AfD-Parteiverbotsverfahren.

Dann fand man mit ihren juristischen Ausführungen zu Schwangerschaftsabbrüchen ein größeres Reizthema. Radikale Abtreibungsgegner:innen mobilisierten sich, starteten Petitionen, überfluteten die Mail-Postfächer von Abgeordneten der Union. Sie unterstellten Brosius-Gersdorf sogar, Schwangerschaftsabbrüche im neunten Monat straflos machen zu wollen. Eine derart abwegige Behauptung, dass man sich fragt, wer überhaupt darauf hereinfallen sollte.

Aber die Propaganda-Maschine lief längst. Für die AfD war Frauke Brosius-Gersdorf ein gefundenes Fressen. Also wurde im Parlament fleißig beleidigt und gepöbelt. Was die Partei plant, kann man in dem bekannt gewordenen Strategie-Papier nachlesen: Kulturkampf, um die Koalition zu sprengen.

Die Union lässt es zu – oder hat einfach nicht die nötige Weitsicht, um das zu erkennen. Der Kampf gegen reproduktive Rechte: er vereint. Die Unions-Abgeordneten wankten, wollten plötzlich die Wahl verschieben – obwohl Brosius-Gersdorf im Wahlausschuss zuvor gewählt wurde. Ob das Bundesverfassungsgericht durch das Platzenlassen der Wahl im Bundestag Schaden nehmen könnte, ist der Union offensichtlich ziemlich egal.

Man muss Frauke Brosius-Gersdorf große Anerkennung aussprechen, dass sie Hass, Hetze und Union über sich hat ergehen lassen.

Statt Brosius-Gersdorf sollte Spahn Rücktritt einreichen

Zunächst hatte sie an ihrer Nominierung festgehalten; in der Talkshow von Markus Lanz aber direkt klargemacht, dass sie einen Rückzug in Betracht ziehen würde, wenn dem Gericht Schaden nehmen könnte. Das könne sie nicht verantworten. Auch wolle sie nicht verantwortlich für eine Regierungskrise sein.

Das Gefühl scheint sie inzwischen jedoch bedauerlicherweise gehabt zu haben. "Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung", wandte sich Brosius-Gersdorf über ihre Bonner Anwaltskanzlei in einer Erklärung an die Öffentlichkeit.

Es ehrt Frauke Brosius-Gersdorf, dass sie Verantwortung für die Situation übernehmen will. Und ihr Handeln zeigt noch einmal, dass sie eine hervorragende Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht gewesen wäre!

Doch, auch wenn es sich für sie so anfühlen mag, als würde ihr eine Form von Verantwortung zufallen: Die Verantwortung trägt einzig und allein die Union, angeführt vom Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn.

"Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab", berichtet sie. Viele hätten sie zum Durchhalten aufgefordert. "Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert." Sie wolle auch die beiden anderen Kandidat:innen schützen.

Bis zum Schluss scheint der Union nicht klar gewesen zu sein, was sie mit ihrem Verhalten anrichtet und angerichtet hat. Die Union hat zugelassen, dass die Kampagne funktioniert.

Wollen sich Rechtswissenschaftler:innen in Zukunft noch zur Wahl für das Amt der Verfassungsrichter:innen aufstellen lassen? Insbesondere, wenn sie zu Themen forschen, die für rechte Akteur:innen ein Reizthema sind? Ihr Ansehen möglicherweise beschädigen lassen? Und das alles unter den Augen einer Regierungspartei? Für eine pluralistische Besetzung des Gerichts wäre das fatal.

Frauke Brosius-Gersdorf soll wissen: Ihr Rücktritt ist schade, aber verständlich und man muss ihn akzeptieren. Doch derjenige, der eigentlich seinen Rücktritt einreichen sollte, ist Jens Spahn. Anders als Brosius-Gersdorf hat er das nötige Verantwortungsgefühl aber offenbar nie entwickelt.

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