Mut zu Überstunden, Mut zu Anstrengung, Mut zu Reformen der Höchstarbeitszeit: Das lässt sich auch ohne großen Deutungsaufwand aus dem Kapitel "Neues Wirtschaftswachstum, gute Arbeit, gemeinsame Kraftanstrengung" im Koalitionsvertrag herauslesen. Endlich dürfen wir wieder in die Hände spucken, gemeinsam.
So schön die mitschwingende Fließband-Romantik auch klingt, letztlich lässt sie sich das Ganze auf eine Forderung runterbrechen: Wir sollen mehr arbeiten. Dafür sollen Arbeitszeitgesetze "reformiert" werden, sprich: weg von der täglichen Höchstarbeitszeit, hin zu einer wöchentlichen Obergrenze. Der Acht-Stunden-Tag wäre damit Geschichte.
Das ist nicht nur dreist, sondern auch ein heftiger Schlag gegen die Lohnarbeiterklasse – und ein gefährlicher Rückschritt.
Der Vorstoß, welcher vor allem vonseiten der CDU kam, ist eine Reaktion auf die derzeit schwächelnde Wirtschaft. Wachstumsprognosen befinden sich im Freifall, wirtschaftspolitische Impulse sollen dem entgegenwirken. Schnell-Maßnahmen wie eine aufgeweichte Arbeitsregelung dürften aber kaum für ein Wirtschaftswunder sorgen.
Im Gegenteil. Mit zunehmender Länge des Arbeitstags nehmen Konzentration und Leistungsfähigkeit ab. Der Raum für Fehler wächst, die Produktivität schwächelt, zeigte etwa die Hans-Böckler-Stiftung. Müssen Arbeitskräfte an einem Tag 13 Stunden buckeln, weil es gerade notwendig ist, werden sie wahrscheinlich nicht in dem Maße abliefern, wie gebraucht. Plus: Die verkürzte Erholungszeit dürfte sich am nächsten Tag bemerkbar machen.
Mal abgesehen davon, gibt es bereits jetzt schon genug Menschen, die weit über die gesetzlich vereinbarte tägliche Arbeitszeit hinausgehen müssen, etwa Kurierfahrer:innen. Die Anti-Acht-Stunden-Regelung würde die Praxis nur legitimieren, wie auch schon die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Yasmin Fahimi, sagte.
Sicher ist ohnehin nicht, ob eine Neuregelung nicht einfach ausgenutzt wird. Plötzlich ist es doch mal häufiger in Folge nötig, zwölf Stunden zu kloppen und Überstunden türmen sich auf. Laut Koalitionsvertrag sollen die zwar nicht mehr versteuert werden, doch bringt das nichts, wenn die Entlohnung nicht sicher ist. Mehr als die Hälfte der geleisteten Überstunden wurden 2024 nicht vergütet. Als Bezahlung bleiben Frust, geschundene Knochen und (vielleicht) ein Schulterklopfen.
Eventuell wird es aber auch künftig keine Überstunden mehr geben. Mit einem Ende der täglichen Höchstarbeitszeit steht vielleicht demnächst auch die Wochenarbeitszeit zur Debatte. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte im Februar, die Wochenarbeitszeit zu verlängern. Und der eifrige Merz-Unterstützer dürfte immer ein offenes Ohr beim künftigen Bundeskanzler finden.
Umso verrückter wirkt der Vorstoß zudem, wenn man bedenkt, dass unser gesamtes gesellschaftliches Leben auf den Acht-Stunden-Tag ausgerichtet ist. Kitas sollen zum Beispiel an fünf Werktagen Ganztagsbetreuung bieten; viele Schulen bieten mittlerweile Betreuungsangebote bis in den Nachmittag hinein. Gerade junge Eltern dürfte die versprochene "Flexibilität" den Alltag nur erschweren.
Es ist ein arbeiterfeindlicher Vorstoß, den CDU und SPD im Koalitionsvertrag formuliert haben und der außerdem noch diametral zur Stimmung im Land steht. Statt murrend die 40-Stunden-Woche zu akzeptieren, forderten immer mehr Menschen Neuregelungen. 81 Prozent der Vollbeschäftigten wünschte sich 2023 eine Vier-Tage-Woche, heißt es von der Hans-Böckler-Stiftung; jeder Zweite will schlicht weniger Arbeitszeit, erfragte "Xing" im vergangenen Jahr.
Derlei Wünsche werden von Politiker:innen lässig beiseite gewischt, gar als realitätsferner Irrsinn, als naives Utopia verschrien. Merz ärgerte sich oft genug über den Wunsch nach mehr Work-Life-Balance, Winfried Kretschmann bezeichnete den Wunsch nach weniger Arbeit als "aus der Zeit gefallen".
Werden Wähler:innen so übergangen, bietet das nur Futter für demokratiefeindliche Parteien. Wobei sich bei den demokratischen Parteien schon die Frage stellt, wie demokratisch sie wirklich sind, wenn sie unliebsame Mehrheitsmeinungen zu Luftschlossfantasien erklären.
Werden die neuen Arbeitszeitregelungen gesetzlich umgesetzt, werden alle Arbeiter:innen künftig schwer zu leiden haben. Für junge Berufseinsteiger:innen sind das düstere Aussichten.