Ganze drei Tage verbringt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Kanada. Dazu begleitet ihn auch noch sein Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Zusätzlich hat der Bundeskanzler erstmals eine größere Wirtschaftsdelegation im Gepäck. Und die lässt sich sehen. Ein Dutzend Spitzenmanager:innen sind dabei, darunter die Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, Bayer, Siemens Energy und Uniper.
Kanada wird momentan als der große, verlässliche Partner Deutschlands präsentiert. Die Bundesrepublik pflegt seit der Nachkriegszeit eine enge Beziehung mit Kanada. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der kanadische Premierminister Justin Trudeau verband eine enge, fast freundschaftliche Beziehung. Dabei war Merkel während ihrer Amtszeit nur wenige Male in Kanada zu Besuch.
Welches Zeichen setzt Scholz jetzt mit seinem ausgiebigen Besuch – vor allem Richtung USA? Schließlich liegt das Land direkt neben Kanada, somit wäre ein anschließender Abstecher in die deutlich mächtigere und wirtschaftsstärkere USA möglich, wenn nicht sogar nötig gewesen.
Scholz besuchte den US-Präsidenten Joe Biden zuletzt im Februar – nur halb so lange wie jetzt Kanada. Damals betonte Scholz die enge Verbundenheit zu den Vereinigten Staaten.
Jetzt rückt Kanada ins Rampenlicht als transatlantischer Verbündeter.
Kanada ist das flächenmäßig zweitgrößte Land der Welt, das aber noch nicht einmal halb so viele Einwohner hat wie Deutschland. Die Kanadier:innen gelten als freundlich, das Land als stabil und die Natur als einzigartig. Jedes Jahr lockt Kanada zahlreiche Tourist:innen an.
Aber was führt Scholz und Habeck in das nordamerikanische Land?
Rohstoffe – das ist klar. Kanada ist ein bedeutsamer Rohstoffproduzent und dazu auch noch demokratisch. Ein Jackpot für die deutsche Bundesrepublik, die seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ihre Wirtschaftsbeziehungen breiter aufstellen muss.
Die harsche Kritik wie bei Habecks Besuch in dem autoritären Katar bleibt garantiert bei Kanada aus. Das Land schätzt Menschenrechte und bietet Flüssiggas. Davon kann Deutschland aber erst mittelfristig profitieren, weil für den Transport über den Atlantik noch Pipelines und Terminals fehlen. Bei der Reise liegt der Fokus deswegen auf der Wasserstoffproduktion. Außerdem hat die deutsche Wirtschaft an kanadischen Mineralien und Metallen Interesse.
Außer Acht sollte bei dieser Reise nicht die politische Botschaft Richtung USA gelassen werden. Der USA-Experte Josef Braml hatte gegenüber watson davor gewarnt, dass sich die Vereinigten Staaten in Zukunft von Europa abwenden könnten, um sich ihren Interessen in Asien zu widmen. Das Vertrauen schwindet in die Weltmacht USA, die stark angeschlagen wirkt durch die innenpolitischen Zerwürfnisse.
Der deutschen Bundesregierung ist bewusst, was ihr blüht, sollte Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden. Der Republikaner macht kein Geheimnis aus seiner anti-europäischen Haltung. Auch sein Parteikollege Ron DeSantis ist ein möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2024.
Der aktuelle Gouverneur von Florida wäre kein Gewinn für die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA. Der reaktionäre Republikaner hat das politische Handwerk von Trump selbst gelernt. Allerdings bleibt DeSantis stets kultiviert und verfolgt seine erzkonservative Agenda erfolgreich in Florida. Aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen: US-Experten beschreiben ihn als "Trump mit Gehirn". Er würde also die USA als Präsident noch mehr spalten und wie Trump eine europafeindliche Außenpolitik verfolgen.
Zwar wollen Regierungskreise in Hintergrundgesprächen solche Aussagen nicht bestätigen – aber der lange und ausgiebige Besuch Scholz' in Kanada sendet damit eine Botschaft an die USA: Wir sind vereint und halten zusammen – egal, was in den USA passieren wird.
Scholz bleibt gleich drei Tage und wirkt neben Trudeau sehr entspannt. Das zeigt das Foto des kanadischen Premierministers, das er von sich und dem deutschen Bundeskanzler auf Twitter teilt. Perfekt medial in Szene gesetzt, wirken die beiden wie alte Kumpels bei einem Abendessen im Restaurant. Krawatten und Etikette sind abgelegt, die Hemden aufgeknöpft. Hier sitzen zwei Staatsmänner, die sich vertrauen – soll die Message lauten.
Bei dem Besuch in Washington blieben solch vertraulichen Fotos von Scholz und dem Demokraten Biden aus. Das Treffen verlief sehr formal und weniger locker als jetzt mit Trudeau. Die transatlantische Partnerschaft zwischen Deutschland und den USA zähle zu den "ganz wichtigen Konstanten der deutschen Politik", sagt Scholz damals.
Diese Konstante gerät derzeit ins Schwanken. Um einige belastende Faktoren zu nennen: anti-demokratische Bewegungen, religiöse Rechte, wachsende soziale Ungerechtigkeiten. Und Trump: ein Mann, der die USA aus der Balance geschmissen hat, und irgendwie pendelt die Weltmacht noch immer hin und her – man weiß nicht so genau, wo sie zum Stehen kommt: Demokratie oder Autokratie.
Alles ist gerade denkbar im Land der unbegrenzten Möglichkeiten – eben auch politisch. Die USA sind derzeit ein Unsicherheitsfaktor, nicht nur für Deutschland, sondern auch für Kanada. Demnach sendet der Staatsbesuch von Scholz eine wichtige Botschaft in die USA: Wir sind und bleiben vereint – auch ohne euch.
(mit Material dpa)