"Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung!" Mehr als 200 Jahre ist es her, als Sozialreformer Robert Owen den Slogan prägte. 16-Stunden-Arbeitstage waren seiner Zeit Usus. Menschen schufteten sich kaputt, ihre Lebenserwartung überschritt je nach Branche kaum 35 Jahre.
Es dauerte einige blutige Jahrzehnte, bis sich der Acht-Stunden-Tag großflächig durchsetzte. Eine Errungenschaft, die hierzulande heute bedroht ist. Friedrich Merz, aber auch die trotz ihrer eigentlichen Parteiausrichtung stets arbeiterfernen Sozialdemokraten planen, sie abzuschaffen. Für mehr Flexibilität, mehr Dynamik, mehr Wachstum, ein Dreiklang aus der High-Performer-Hölle.
Offensichtlich springen einige Arbeiter:innen darauf an und wünschen sich laxere Arbeitszeitregelungen zurück. Ein Jammer!
Ein Jammer, da die Betroffenen einem Irrtum aufsitzen. Union und SPD bewerben die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit mit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Über die Möglichkeit, vier Tage am Stück zehn Stunden zu arbeiten, sollen Beschäftigte künftig ein verlängertes Wochenende bekommen. Eine Vier-Tage-Woche, ohne Produktivitätsverlust. Win-Win.
Völlig beschwipst von dieser Aussicht befürworten in einer aktuellen Yougov-Umfrage 38 Prozent der Befragten den Vorstoß. Nur 20 Prozent lehnen ihn ab, 37 Prozent sehen ihn neutral. Die Aussicht auf Flexibilität ist aber ein Luftschloss, erbaut aus den Versprechen derjenigen, die am meisten von einer neuen Regelung profitieren: Arbeitgeber:innen.
Sie protestieren zusammen mit Konservativen bereits seit Jahren gegen den acht Stunden Tag. Nicht mehr zeitgemäß! Zu viel Bürokratie! Schlecht für die Wirtschaft! Dazu gesellt sich der Vorwurf, die Deutschen würden zu wenig arbeiten.
Mit solchen Aussagen kamen sie nicht weit, vor allem nicht, wenn das Arbeitszeitvolumen in Deutschland 2023 mit 54,7 Milliarden Stunden auf dem höchsten Wert seit 1991 lag und die geleisteten Überstunden an der 1,3-Millionen-Marke kratzte – größtenteils unbezahlt.
Viel effektiver ist hingegen, den Menschen zu verkaufen, eine Neuregelung ließe sich eben besser mit der Familie vereinbaren. Quasi der Gegenentwurf zur "Leben, Lieben, Lachen"-Formel, die Gewerkschaften 1918 im Kampf um den Acht-Stunden-Tag formulierten.
Nur geht dieser Gegenentwurf nicht überall auf. Nehmen wir das Baugewerbe. Das zeichnet sich bekanntlich durch körperlich fordernde Jobs aus. Acht Stunden sorgen bereits für müde Knochen, zehn treiben an die Grenzen, zwölf führen zur Totalerschöpfung. Nach Feierabend ist dann nicht mehr viel drin. Lediglich Bauunternehmer profitieren von laxeren Arbeitszeitbedingungen. So können sie theoretisch mehr Aufträge in kürzerer Zeit erledigen, was den Profit spürbar erhöht.
Im Gastrogewerbe sorgen Neuregelungen hingegen für mehr Flexibilität, aber nur für die Arbeitgeber:innen. Die können je nach Lage mehr oder weniger Stunden fordern. Die Arbeitskräfte müssen sich dem dann beugen. Raum für Freizeitgestaltung nach der Arbeit gibt das nicht her, im Gegenteil. Ist es voll, müssen Beschäftigte länger bleiben. Auch, wenn eingangs anders erwartet.
Natürlich könnten Beschäftigte in angenehmen Bürojobs von der Regelung profitieren. Allerdings sind sie auch im Vergleich zu anderen deutlich fitter, wenn sie Feierabend machen. Ob die Vorteile aber wirklich so greifen, sei dahingestellt. Hier schrumpft ebenfalls ein Ende der festen Tages-Höchstarbeitszeit den Raum für die Feierabendplanung.
Es wäre utopisch, zu glauben, Arbeitgeber:innen ließen hier einfach mit sich sprechen. Vereinzelt mag das zutreffen, aber auch nur, wenn es gerade gut läuft. Außerdem: Wer sagt denn eigentlich, dass die Wochen-Höchstarbeitszeit nicht auch ausgedehnt werden könnte?
Der Angriff aufs Arbeitszeitgesetz vonseiten der neuen Bundesregierung muss nicht der Letzte gewesen sein. Mit finanzstarken Lobbys und arbeitgebernahen Ökonom:innen im Rücken bekommen sie die nötige mediale Schlagkraft, um derlei "Reformen" geschickt unters Volk zu bringen.
Wirklich klug wäre das aber nicht, genauso wenig wie die Tages-Höchstarbeitszeit abzuschaffen. Es ist belegt, dass das Unfallrisiko nach acht Stunden Arbeit exponentiell steigt; es ist belegt, dass die Produktivität mit zunehmender Länge des Arbeitstags abnimmt; es ist belegt, dass seit Einführung der Tages-Höchstarbeitszeit das Bruttoinlandsprodukt massiv gewachsen ist.
So viel sich Arbeitgeber:innen auch von längeren Arbeitstagen versprechen, sie liegen falsch. Übrigens auch etwas, das Robert Owen schon vor langer Zeit erkannte.