Selten war Konsens trauriger. Alle Spitzenparteien sind sich einig, dass die Migrationspolitik noch ein paar Zähne mehr vertragen könnte. Die CDU setzt für den merz'schen Fünf-Punkte-Plan auf Unterstützung von Rechtsaußen, die Grünen mit ihrem habeck'schen Zehn-Punkte-Pendant versuchen es ganz demokratisch, frei nach dem Motto: Solange die AfD nicht mitmacht, ist es schon okay.
Anders als Habeck setzt Merz aber auf einen harten Abschottungskurs. Grenzkontrollen, Grenzkontrollen und noch mehr Grenzkontrollen – zu allen Nachbarstaaten. "Alle Versuche einer illegalen Einreise" werden zurückgewiesen, völlig egal, ob ein Schutzgesuch besteht. Die AfD applaudiert so schwungvoll wie Dirigent Karl Böhm 1934, auf zwei Pfund Panzerschokolade.
Unabhängig der unzähligen Fallstricke – EU-Recht, Genfer Flüchtlingskonvention, Anstand – führt die Idee im Stechschritt ins ökonomische Chaos.
Ein Abschottungskurs ist aus mehrerlei Hinsicht gefährlich. Das Schengen Abkommen brachte eine Freizügigkeit mit sich, die Grenzübergänge deutlich beschleunigte. Einer Untersuchung des ifo Instituts zufolge, gelingt ein Grenzübertritt innerhalb des Schengen-Raums 20 Minuten schneller als zwischen zwei Ländern, von denen eins nicht zum ebenjenen Raum gehört.
Große Grenzkontrollen streifen dem sonst geschmeidig gleitenden Verkehr Stoppersocken über. Für Pendler:innen ist das ebenso bitter wie für den Güterverkehr. Bilaterale Warenexporte würden in der Folge je Grenzübertritt um 2,7 Prozent fallen, Dienstleistungsexporte wiederum um 4,2 Prozent. Damit gingen dem deutschen Bruttoinlandsprodukt vier bis elf Milliarden Euro jährlich flöten.
Es liegt nahe, die Ergebnisse zu reinen Hypothesen runterzukochen. Mal abgesehen davon, dass die Logistikbranche erst kürzlich ebenfalls vor den verzögernden Effekten umfassender Grenzkontrollen warnte, vor Kosten im zehnstelligen Eurobereich ("Spiegel"), fußen die Ergebnisse auf Vergleichen mit anderen Gebieten. Wohingegen die erwartete Wirkung von Grenzkontrollen hinsichtlich Migration nicht von Evidenz, sondern Bauchgefühl gedeckt wird.
Migration ohne zuvor gestellten Asylantrag wird es auch mit Grenzkontrollen geben, wie Migrationsforscher Hein de Haas in seinem Buch "Migration – 22 populäre Mythen" darlegte. Im Gegenteil: Sie bringen sogar mehr davon hervor, nur eben über riskantere Wege. Grund ist der hiesige Arbeitsmarkt, für den, so de Haas, "legale und illegale Zuwanderung" viel erwünschter ist als "politische Parolen im Kampf gegen illegale Migration vermuten lassen".
De Haas stützt seine These mit der Situation in den USA. Als die US-Regierung massiv in Grenzschutz investierte, waren etwa elf Millionen mexikanische Saisonarbeitskräfte gezwungen, sich in den USA niederzulassen. Die CDU (aber auch die FDP und AfD) zeigen mal wieder wunderbar, dass es gar nicht viele Kenntnisse braucht, um ein Thema zu setzen. Gefühlte Wahrheiten, lose Annahmen, emotionales Hochjazzen ersetzen Fakten.
Merz begreift sich als Wirtschaftsexperte, als Mensch mit Durchblick, als derjenige, der eine wirtschaftliche Wende bringt. Bei all der Selbstbesoffenheit entgeht ihm aber (mal wieder), dass politische Entscheidungen mit der Marktwirtschaft wechselwirken können. Sein Ansatz dürfte sehr wahrscheinlich Deutschlands Wirtschaftswachstum ausbremsen, Arbeitsplätze kosten und Unternehmen schwächen.
Um es kurz zu machen: Nicht nur auf humanitärer und moralischer Ebene ist der Plan furchtbar, auch auf wirtschaftlicher. Doch da sich diffuse Feindbilder, hier sind es Migrant:innen, leicht als Problemursachen verkaufen lassen, es für die Herangehensweise nicht viel Denkarbeit braucht, hat Merz leichtes Spiel. Traurig ist, dass alle anderen Spitzenparteien (und viele Medienschaffende) dabei mitmachen.