Es riecht nach kaltem Zigarettenrauch. Die Lichter der Straßenlaternen ziehen an mir vorbei. Der Uber-Fahrer fährt viel zu schnell. Am Rückspiegel baumelt eine Flagge von Costa Rica. Immer wieder entschuldigt er sich für sein gebrochenes Englisch.
Doch als im Radio ein Song von Abba läuft, singt er jedes Wort akzentfrei mit. "Money, money, money. Must be funny, in the rich man’s world", zum Takt trommelt er mit dem Zeigefinger auf das Lenkrad. "Geld regiert diese beschissene Welt", sagt der junge Mann. Seine Familie habe er seit zwei Jahren nicht gesehen. Als Migrant lebt er in den USA, hält sich mit mehreren Jobs über Wasser.
Alles fühle sich nur noch wie ein Kampf an, meint er.
Sein Gesicht schaut jung aus, aber seine Augen sehen müde aus, wie die eines alten Mannes. Seine Freunde, Geschwister, Cousins und Cousinen – sie alle haben drei bis vier Jobs, kommen gerade so über die Runden. Krank werden dürfe man nicht, dann ist man in den USA "am Arsch", wie er unverblümt sagt.
"Am Arsch" sein – fühlt sich nicht gerade eine ganze Generation so? Und zwar jene jungen Menschen, die seit 1995 auf der Erde wandeln. Auch mit 2023 neigt sich gefühlt ein weiterer schlechter Trip dem Ende zu: Inflation, Kriege, Klimakrise.
Wälder und Wale sterben, die Straßen in den Städten sind überflutet, an anderen Tagen schmilzt der Asphalt unter brütender Hitze – was bleibt, ist lähmende Angst. Doch die Wut trifft auf taube Ohren. Wie viele junge Menschen fühlen sich um ihre Zukunft verraten und von der Politik im Stich gelassen?
Was für ein Erbe treten sie an: Eine Welt mit Warlords, Wagner-Söldnern und verminten Wiesen. Mit durch Pflanzengift verseuchten Böden, Flüssen und Seen. In den USA zwingen rechte christliche Nationalisten Minderjährige, Babys zu bekommen. In Afghanistan verlieren Frauen das Recht auf Bildung. In Iran sterben Frauen, weil sie den Wind in den Haaren spüren und frei sein wollen. Weltweit gehen Menschen im Sumpf moderner Sklaverei verloren. Meist sind es noch Kinder.
Winzige Kinderfinger buddeln im Kongo nach Mineralien für das neuste iPhone. Tiktok-Stars leben vor, wie schön das Leben sein sollte ... könnte ... müsste. Schönheit gibt es nur noch mit Filter. Du musst das, das, und das besitzen – sonst bist du nichts wert. Erdrückt von falschen Idealen, der Lüge, dass das Glück nur einen Swipe, Scrollen entfernt liegt.
Keiner spricht mehr, alle texten. Überfüllte Terminkalender, ständig ist der Blick auf das Telefon gesenkt. Wer ruft noch Freunde an und fragt: "Hey, wie geht es dir?" Nicht bloß als Floskel, sondern, weil er oder sie ehrlich interessiert ist. Die Welt ist schnelllebig. Es ist ein Hasten, ein ständiges Wettrennen, um an die Spitze zu gelangen oder einfach nur die Miete zahlen zu können.
Warnsignale des Körpers und der Seele werden überhört. Genügend Therapieplätze gibt's sowieso nicht. Irgendwie muss man klarkommen mit dem Druck, der Angst, der Endzeitstimmung. Korruption, Lügen, Verstrickungen – wer sieht noch durch in der Politik? Preise steigen, Chancen sinken.
In der Endzeitstimmung füllen sich die Taschen der Rüstungskonzerne. Ölgiganten laden zur Weltklimakonferenz ein. Viele Worte, wenig Taten. Menschen ermorden einander, kreieren ihre eigene Hölle auf Erden. Worauf soll die Jugend ihre Zukunft bauen?
Während sich Staatsmänner um Land streiten, kämpft die Jugend um den Erhalt der Natur. Sie sorgt sich um die Meere, während alte Männer mit Atombomben drohen. Nebenher verschmutzt Gülle aus der Massentierhaltung das Grundwasser. Hauptsache Fast-Food und Fast-Fashion. Billig konsumieren aus Indonesien, China, mehr und mehr auf Kosten der nächsten – vergessenen – Generationen. Auf Kosten der Welt.
Töten und Hassen im Namen der Religion – christliche Liebe für alle; außer für Menschen, die einem nicht passen. Fanatischer Islamismus, um eine Armee für Gott zu erbauen. Während Menschen diskutieren, ob ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau lieben darf, kollabiert die Natur und wir mit ihr.
Währenddessen will ein mehrfach angeklagter Möchtegern-Diktator zurück ins Weiße Haus. Ultra-rechte Republikaner jubeln ihm zu, seine Bibel-vernarrten Gefährten wünschen sich einen Gottesstaat. In Florida heißt es, Sklaven hatten es damals doch gut gehabt. Geschichte wird verkannt, Fakten verdreht – nichts dringt mehr durch die Querdenker-Mauer.
Verschwörungstheorien gedeihen wie Unkraut, Menschen versinken in der Flut an Informationen – Lügen, Wahrheit, Lügen. Irgendwo, mitten drin in der Grauzone, liegen die Lösungen. Aber das Pendel schwingt nach rechts und links.
Die Mitte, die Balance, sie fehlt.
Brände fressen Wälder auf, Korallen-Riffe bleichen aus, aber an Floridas Schulen ist die Klimakrise ein Tabuthema. Dafür gibt es schusssichere Räume zum Schutz vor Amoktaten. Jeder Gang zur Schule oder dem Supermarkt könnte in den USA der Letzte sein.
Waffengewalt in den USA, Bombengewitter über der Ukraine, Gehirnwäsche in Russland, Erhängung von Freigeistern in Iran, ein stiller Völkermord in Sudan, ein endloses Blutvergießen in Nahost – die Liste ist lang.
Das Waffengeschäft boomt, weil sich die Menschen hassen, weil sie sich spalten lassen. Nebenher attackieren Orcas Boote, das Meer spült tausende tote Pinguine an den Strand.
Die Welt spielt verrückt.
Ukrainische Soldat:innen halten sich wacker an der Front, "we had sick loses today" schreibt ein Kontakt via WhatsApp, während die Frau an der Kasse über die lange Warteschlange meckert. Ist das Bürgergeld zu viel oder zu wenig? Ukrainische Geflüchtete betreiben in Deutschland Sozialtourismus, meint CDU-Chef Merz. Die Brandmauer zwischen Union und AfD steht in Flammen – lichterloh wie die Brände in Griechenland, Kanada, Hawaii, Italien. Aber hey, das ist alles normal.
Mit einem kräftigen Ruck kommt das Auto zum Stehen. Der junge Uber-Fahrer dreht sich um. "Aber irgendwie geht es immer weiter", sagt er mit einem Lächeln.
Vielleicht sind die Menschen irgendwann müde vom Blutvergießen, von den Kriegen, von alten, machthungrigen, verbitterten Egomanen, die sie beherrschen wollen. Viele junge Leute – ob in den USA, in der Ukraine, in Nigeria oder Kasachstan – suchen neue Wege, und das macht den Alten wohl auch etwas Angst.
GenZ wird die Wahlen der Zukunft in den USA maßgeblich bestimmen, in Nigeria rebellieren sie gegen die ungerechte Herrschaft der Alten, in Polen holen sie sich die Demokratie zurück, in der Ukraine bieten sie Kremlchef Putin Paroli, auf den Straßen Europas fordern sie strengere Klimagesetze.
Während die Hetzer laut schreien, packen viele leise im Hintergrund an, legen schützend ihre Hand über Demokratien und Menschenrechte.
Sie standen schon immer unter Beschuss – auch werden sie es 2024. Es fühlt sich an wie die Endzeit, doch am Ende ist all das ein gigantischer Umbruch, ein Neubeginn: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", wie es schon Hermann Hesse schrieb. Egal, wie beschissen es in der Vergangenheit lief, es stand immer irgendeiner auf und kämpfte weiter.
Und derzeit sieht man allerhand dieser Personen, die sich nicht einschüchtern lassen, einen Schlag nach dem anderen kassieren und doch immer wieder aufstehen. Ob in den USA, in Iran, Sudan, Nahost, in der Ukraine oder auch Deutschland – stille Helden gibt es überall.
Aufgeben ist keine Option.