Die Koalition steht zwar noch nicht. Dazu müssen die Parteigremien erst einmal ihr letztes Go geben. Doch immerhin steht schonmal der Koalitionsvertrag von Union und SPD. Dieser hat das ein oder andere überraschende Projekt zu bieten.
Dennoch ist einer Stelle klar erkennbar, dass sich die Union größtenteils durchgesetzt hat: beim Thema Flucht, Migration und Asyl. Einerseits ist das verständlich, weil besonders CDU-Chef Friedrich Merz aus der eigenen Partei und der Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen fast schon angezählt wurde, sollte er seine angekündigte Migrationswende nicht umsetzen.
Andererseits hat ihn niemand zu seinen vollmundigen Ankündigungen gezwungen, für die ist er schon selbst verantwortlich. Nun kommt also, was kommen musste: In den nächsten vier Jahren haben es Asylsuchende und Geflüchtete in Deutschland schwer. Beziehungsweise: vor Deutschland.
Migration und Asyl war eines der ersten Themenfelder, die Friedrich Merz am Mittwoch bei der Pressekonferenz mit CSU-Chef Markus Söder und den SPD-Chef:innen Lars Klingbeil und Saskia Esken vorstellte. Zentrale Punkte im Koalitionsvertrag sind demnach:
Immerhin: SPD-Chef Lars Klingbeil machte später auf einen Punkt aufmerksam, bei dem sich die Sozialdemokrat:innen in den Verhandlungen wohl gegen einen noch krasseren Kurs durchgesetzt haben: "Das Grundrecht auf Asyl bleibt unantastbar." Dennoch sind vor allem die Abweisungen an den Grenzen eine massive Verschärfung.
Wer also zunächst gehofft hatte, der Koalitionsvertrag werde doch überraschend progressiv ausfallen, dürfte aus allen blauen Wolken gefallen sein. "Asylpolitisch hat sich bei den Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD eindeutig die AfD durchgesetzt", kommentiert auch Grünen-Fachpolitiker Erik Marquardt im Kurznachrichtendienst Threads.
Der Abgeordnete des Europäischen Parlaments teilt auf X zudem ein Foto des Absatzes zu Zurückweisungen an den Staatsgrenzen im Koalitionsvertrag. Schwarz-rot habe sich damit laut Marquardt "darauf geeinigt", europäisches Recht zu brechen.
Zurückweisungen an deutschen Grenzen sind laut Expert:innen in der Tat nicht mit EU-Recht vereinbar. Wer in Deutschland ankommt, hat zwar in vielen Fällen nicht den Anspruch auf Asyl, er oder sie darf "dennoch nicht zurückgewiesen werden, weil nun festgestellt werden muss, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist", erklärte unlängst Jurist Christian Rath bei "Legal Tribune Online".
Erik Marquardt teilt daher eine düstere Prognose:
Durch die Zurückweisungen würden "Chaos und Leid nicht mindern, sondern massiv erhöhen". Er beendet seinen Rant mit einem vernichtenden Urteil zum Plan von Schwarz-rot: "Das ist das asylpolitische Äquivalent zur Zollpolitik von Trump: Naiv, populistisch, dumm."
Die kommenden Koalitionäre begründen ihren Schritt im Vertrag damit, dass die Grenzkontrollen nur fortzusetzen sind, bis die entsprechenden Regeln – das sogenannte Dublin-Verfahren sowie das Gemeinsame Europische Asylsystem (GEAS) – erfüllt werden und es einen "funktionierenden Außengrenzschutz" in der EU gibt. Sprich: Die Regeln eines Systems, das nicht funktioniert, darf man brechen.
Übrigens: Was der Passus "in Abstimmung", um den es im Vorhinein Diskussionen um eine sozialdemokratische und eine konservative Lesart gab, bedeuten soll, ist derweil noch immer nicht klar. "Abstimmung heißt Abstimmung", druckste Friedrich Merz nach einer dementsprechenden Frage auf der Pressekonferenz herum und erklärte etwa, mit den Nachbarn in Polen und Frankreich werde bereits gesprochen.