"Als ich in einer Schlange stand und ein schwuler Irak Veteran und eine schwarze alleinerziehende Mutter sich darüber unterhalten haben, warum Trump der Beste ist, wusste ich, dass es vorbei war", schreibt mir ein Freund aus den USA. Er lebt in North Carolina. Der US-Staat galt als Swing State; die Hoffnung war groß, Kamala Harris würde dort gewinnen. Es kam anders.
Allgemein war die Euphorie groß in Deutschland. Wer erinnert sich nicht an den Harris-Rausch im Sommer? US-Präsident Joe Biden gab seine Kandidatur an seine deutlich jüngere, erfrischende Vizin ab: eine Schwarze Frau.
Die Leute um mich herum schlugen fast Purzelbäume vor Freude: "Jetzt kann nichts mehr schiefgehen", hörte ich oft. Doch das Problem war nicht nur Bidens Alter, das die Demokraten einfach schnell aus dem Weg schaffen wollten, indem sie Harris auf die Bühne zerrten.
Leider ist der Trumpismus in den USA weitaus verwurzelter und komplexer als wir hier in Deutschland wahrhaben wollen.
Die Deutschen ließen sich von der Harris-Euphorie mitreißen und unterschätzten Donald Trump erneut. 72 Prozent der Deutschen gingen von einem Harris-Sieg aus. Das zeigt etwa eine ZDF-Umfrage.
"Wie können die Amis nur für einen sexistischen, rassistischen, rechten, verurteilten Straftäter wählen, der all diesen Unsinn von sich gibt?", fragte man mich immer wieder. Und "wie die Wahl überhaupt knapp sein könne".
Auch von der Ampel-Regierung hörte man kaum einen Mucks, wie sie bei einem möglichen Trump-Sieg verfahren wolle. Strafzölle, Ukraine-Hilfe, Nato-Unterstützung – ach wird schon alles gut gehen? Augen zu und durch, Harris schafft das?
Am Ende gewinnt Trump – mit Vorsprung.
Wieder steuert Deutschland völlig unvorbereitet auf eine Trump-Regierung zu – außer es gibt geheime Schlachtpläne, über die Kanzler Olaf Scholz (SPD) nicht öffentlich sprechen kann. Aktuell noch gravierender: Nach dem Aus der Ampel-Koalition befindet sich das Land in einer echten politischen Krise. Haben die politisch Verantwortlichen da überhaupt genug Zeit, um sich mit Trump zu beschäftigen?
Fest steht: Wieder hat Deutschland Trump unterschätzt. Und wer jetzt auch noch von einem "Weckruf" spricht, hat's total verschlafen.
Was viele in Deutschland und auch im Bundestag noch immer nicht auf dem Schirm haben: Der enorme Einfluss der christlichen Nationalist:innen in den USA und wie diese gefährliche Bewegung Trump in die Hände spielt.
Obwohl die USA in den vergangenen Jahrzehnten religiös vielfältiger geworden sind, stellen Weiße Christ:innen nach Angaben des "Public Religion Research Institute" nach wie vor die größte religiöse Gruppe des Landes dar. Sie machen etwa 42 Prozent der Bevölkerung aus. Und für Trump hat sich ihre Unterstützung einmal mehr als Schlüssel zu seinem Sieg erwiesen.
Ohne die Unterstützung der christlich-nationalistischen Bewegung hätte Trump bereits die Präsidentschaftswahl 2016 nicht gewonnen, betont US-Autorin Katherine Stewart in einem früheren watson-Gespräch. Trump steht und fällt mit der religiösen Rechten, die der Motor seiner Maga-Bewegung ist.
Es geht nicht mehr um Fakten und Wissen bei seinen Anhänger:innen, sondern um Glauben. Trump wird zum unantastbaren Messias, der von Gott auserwählt sei; in anderen Worten zum Autokraten.
Nach Angaben des US-Senders NBC haben 81 Prozent der Wählenden, die sich als evangelikal bezeichnen, für Trump gewählt. Laut "Religion News" ist das ein Anstieg um 76 Prozent seit 2020.
Seit Jahren warnen Expert:innen vor dieser Entwicklung, aber sie werden ignoriert oder es wird nur abgewunken.
Dabei breitet sich christlicher Nationalismus in den USA wie ein Krebsgeschwür aus und mit Trumps Wiederwahl kann es sich jetzt noch tiefer in das politische System fressen. Der Demokrat James Talarico beobachtet diesen Prozess seit Jahren in Texas und nennt die Bewegung die "christliche Taliban".
Wer die erzkonservativen Südstaaten kennt und den "Trump-Kult" live miterlebt hat, ist kaum vom Wahlergebnis überrascht und ließ sich auch wenig vom Harris-Rausch mitreißen.
Egal, wie sehr die Demokraten oder liberalen Medien die Schattenseiten Trumps ans Licht brachten: Seine Anhängerschaft verschloss die Augen. Ihnen ist es egal, welche Verbrechen oder Vulgarität er sich leistet: Er setzt sich für ihre Interessen ein; er ist für sie ihr "orange Jesus" – und sitzt jetzt im einflussreichsten Amt der Welt.
Diese Bewegung hat es ermöglicht, dass einer wie Trump in den USA überhaupt noch ernst genommen wird. Dass ein queere Veteran und eine Schwarze alleinerziehende Mutter der Meinung sind, er wäre die bessere Wahl.
Das ist ein Punkt, der jetzt unbedingt bei uns in Deutschland ankommen muss.
Bis heute sehe ich kaum Medien oder Politiker:innen, die darüber sprechen. Dabei sind die christlichen Nationalist:innen Gift für die älteste Demokratie der Welt.
Man werfe nur einen Blick auf "Project 2025" von der rechtsgerichteten, konservativen "Heritage Foundation". Der Entwurf gilt für einen rigorosen Staatsumbau zur Autokratie unter Trump als US-Präsident. Viele Verfasser:innen gehören den religiösen Radikalen an.
Deutschland muss die rosarote Brille absetzen und erkennen, wie krank die USA gerade durch dieses Krebsgeschwür sind.