"Dass ich noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage stelle, wenn das alle gemeinsam so sehen, ist für mich überhaupt kein Problem", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagabend im ARD-Talk bei Caren Miosga.
Am Montag war die schnelle Vertrauensfrage wieder vom Tisch. Es ist der Höhepunkt eines tagelangen Hin und Hers. Ein Hin und Her, das nach dem Ampel-Aus vom vergangenen Mittwoch auf parteipolitischen Machtspielchen basiert.
Am vergangenen Donnerstag, dem Tag nach dem Ampel-Aus, begann die Diskussion um den Zeitpunkt der Vertrauensfrage. Nachdem Olaf Scholz in seiner Brandrede gegen Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) von einer Vertrauensfrage im Januar sprach, wurden die Rufe nach einem früheren Termin lauter.
Als Erstes meldete sich – wie so oft – der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf X zu Wort. Dort forderte er die sofortige Vertrauensfrage. Wenig später zogen Lindner und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) nach.
Und hier beginnt der politische Zirkus. Am nächsten Tag verteidigten SPD und Grüne den Zeitpunkt der Vertrauensfrage im Bundestag vehement. Manche Argumente waren dabei abstrus und wurden dem Ernst der Lage nicht gerecht.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese etwa sagte bei seiner Rede im Bundestag: "Niemand da draußen möchte, dass an Heiligabend oder am ersten Weihnachtsfeiertag jemand an seiner Haustür klingelt und Wahlkampf macht."
Als wäre es das, was den Menschen im Land am wichtigsten wäre. Als wäre es nicht wichtiger, wieder eine handlungsfähige Regierung zu haben in Zeiten eines designierten Präsidenten Donald Trump in Amerika und eines Krieges in Europa.
Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) postete unterdessen auf X: "Wie würde wohl die Umfrage 'Wollen Sie künftig jedes vierte Jahr zu Weihnachten einen Bundestagswahlkampf haben?' ausfallen?" Dabei müssen die nächsten Wahlen nach dem Grundgesetz nicht einmal genau vier Jahre später stattfinden. Schließlich gibt es einen Spielraum von drei Monaten.
Die Fronten schienen verhärtet, doch plötzlich gab es am Sonntag Raum für eine frühere Vertrauensfrage. Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, man könne über eine frühere Neuwahl reden. Vorausgesetzt, die Union unterstützte Rot-Grün bei Gesetzesvorhaben.
Ein Schritt, der zeigt: Die Argumente aus der SPD waren nur vorgeschoben. In Wahrheit gibt es sehr wohl Spielraum beim Zeitpunkt der Vertrauensfrage. Man will sie nur zur Verhandlungsware machen und politischen Profit daraus schlagen.
Das sendet ein Signal, welches für ein Land in großer Unsicherheit fatal ist. Statt sich für die Handlungsfähigkeit Deutschlands einzusetzen, will die gescheiterte SPD parteipolitisch profitieren. Also genau das machen, was Scholz in seiner Brandrede Lindner vorgeworfen hatte: "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert." Das waren Scholz' Worte.
Jetzt ist nicht die Zeit für parteipolitische Spielchen. Stabilität muss her. Sonst verunsichert die Politik eine ohnehin schon verunsicherte Bevölkerung nur noch mehr.
Bei Miosga sprang der Kanzler auf den Zug auf und hatte plötzlich auch nichts mehr gegen eine frühere Vertrauensfrage. Wenn es eine Übereinkunft von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und dem Unionsfraktionschef Friedrich Merz gebe, werde er diese beachten. Er selbst wolle nichts mehr mit der Terminfindung für seine eigene Vertrauensfrage zu tun haben.
Einen Tag später war, siehe oben, eine schnelle Vertrauensfrage wieder vom Tisch. Die CDU schlug das Angebot der SPD aus: "Scholz sollte jetzt keine weiteren Nebelkerzen werfen, sondern zügig die Vertrauensfrage stellen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU), der "Bild".
Ernsthaft: Hatte die SPD wirklich geglaubt, man könne mit der Union jetzt noch zusammen etwas umsetzen? Schon lange ist bekannt, dass CDU und CSU grundsätzlich gegen den Ampel-Plan der sogenannten Wirtschaftswende sind. Auch beim Rentenpaket, der Deckelung der Strompreise und den drei Milliarden Euro mehr für die Ukraine haben die Parteien komplett unterschiedliche Positionen.
Bis zur Vertrauensfrage wird das Land also politisch lahm liegen. Es ist unklar, ob überhaupt irgendwelche rot-grünen Anträge in dieser Sitzungswoche eine Mehrheit im Bundestag bekommen werden. FDP und Union zeigen jedenfalls kein großes Interesse daran.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit verkündete am Montagmittag, dass die Vertrauensfrage in dieser Woche auf jeden Fall nicht mehr gestellt werde.
Das Hin und Her nimmt anscheinend kein Ende.
Aber nicht nur die SPD verhält sich unverantwortlich. Auch die Union hilft kräftig mit, die Unsicherheit im Land zu verstärken. Die Bundeswahlleiterin Ruth Brand schrieb am vergangenen Freitag einen Brief an Olaf Scholz und warnte vor den Risiken einer zu schnellen Neuwahl.
Die Union witterte daraufhin eine vermeintliche Unterstützung für Scholz durch die Bundeswahlleiterin. So nannte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann den Brief von Brand "skandalös und beschämend". Thorsten Frei sagte zur "Bild am Sonntag": "Ich kann der Bundeswahlleiterin nur raten, sich von niemandem instrumentalisieren zu lassen."
So schwere Vorwürfe gegen eine unabhängige Behördenleiterin – mögen sie auch nur angedeutet seien – sorgen für mehr Verunsicherungen und liefern Wasser auf die Mühlen von haltlosen Verschwörungserzählungen.
Wenn man überparteiliche demokratische Institutionen ohne Beweise so diskreditiert, darf man sich nicht wundern, wenn Demokratiefeinde das für ihre Zwecke ausnutzen.
Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass die Bundeswahlleiterin in irgendeiner Hinsicht beeinflusst wurde. Solange das so ist, sollte auch die Union ihre Füße stillhalten und staatspolitische Verantwortung zeigen.
Das würde der vermutlich zukünftigen Kanzlerpartei besser stehen als jetzt reine Spekulationen für die eigene politische Sache zu nutzen.