"Es ist schwer zu ertragen, dass Rechtsextremisten in diesem Land aufmarschieren. Dem werden wir alles entgegensetzen."
Gesagt hat diesen Satz der sächsische Ministerpräsident
Michael Kretschmer. In seiner ersten
Regierungserklärung im Januar. Chemnitz war da noch weit weg.
Doch nicht erst seit vergangener Woche ist klar: "Alles" war
augenscheinlich nicht genug.
Kretschmer trat damals die Nachfolge von Stanislaw Tillich
an. Der hatte es verpasst, seine Partei deutlich zur AfD abzugrenzen. Die
Relativierung einer Gefahr von rechts gehörte nicht erst seit Tillich zum Standardrepertoire
der Sachsen-CDU.
Die Quittung bekamen Tillich und Partei bei der Bundestagswahl: Die AfD (27 Prozent) wurde mit 0,1
Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU stärkste Partei in Sachsen. Tillich
trat zurück.
Der nachfolgende Kretschmer, damals sächsischer CDU-Generalsekretär,
hatte das Direktmandat im Wahlkreis Görlitz im Übrigen an den AfD-Kandidaten
verloren.
65.000 Menschen zeigen in Chemnitz: #WirSindMehr:
Video: watson/Felix Huesmann, Marius Notter, Lia Haubner
Trotz dieser Hypothek wollte Kretschmer vieles anders machen
als seine Amtsvorgänger. Ein "neuer Geist" sollte in die Flasche. Aufschwung
und Aufbruch wollte er verbreiten, als er im Dezember des vergangenen Jahres zum
Ministerpräsident gewählt wurde. Einen neuen Politikstil wollte er etablieren. Dynamisch,
bürgernah, schmal krawattiert.
Um schließlich doch im Umgang mit Rechts an die alte Tradition der
Sachsen-CDU anzuknüpfen:
Immer dann, wenn in Sachsen strukturell verankerter Rechtsextremismus die Öffentlichkeit suchte, sorgten sich die Landesväter in erster Linie um das Image ihres Freistaates.
Auch Kretschmer. Acht Monate nach seiner
ersten Regierungserklärung und zehn Tage nach dem Tod von Daniel H. und den sich anschließenden rechten Demonstrationszügen trat er erneut an, um Regierungshandeln zu erklären. Immerhin.
Er
benannte den Rechtsextremismus in Chemnitz und Sachsen, den er "mit aller Kraft" bekämpfen wolle. Aber mehr noch schien er sich um die Besorgten zu sorgen und um das Bild,
das von Chemnitz und Sachsen aus in die Welt geht.
Die neuen Länder seien "Seismograph" dafür, was in Deutschland gerade passiere, sagte Kretschmer weiter. "Und was
auch in einigen Jahren in ganz Deutschland Thema und Stimmung sein wird". Es
sei daher Zeit zum Handeln im gesamten Land. Dazu gehöre ein
parteiübergreifender Konsens zur Migrationspolitik.
Es ist ein düsteres Bild, das
Kretschmer da zeichnet. Weil er damit transportiert: Sachsen ist eigentlich nur
so etwas wie ein Pionierstaat in Sachen Extremismus. Und das aufgrund verfehlter Migrationspolitik in Berlin. Chemnitz ist im Grunde
überall.
Moment. Nein.
Ist es nicht. Dagegen sprechen 65.000 Menschen, die aus der
ganzen Republik anreisten, um die Verhältnisse zwischen
Demokraten und Feinden der Demokratie ins richtige Licht zu rücken. Sie haben gezeigt, dass Deutschland anders tickt. Demokratisch, liberal und gewaltfrei.
#wirsindmehr – die Bilder des Konzerts:
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#wirsindmehr – die Bilder des Konzerts
65.000 Menschen kamen nach Chemnitz
Chemnitz ist kein Seismograph, wie Kretschmer sagt. Auch, wenn die Ausschläge in
der ganzen Republik zu spüren waren. Chemnitz ist Kontrastmittel. Ähnlich, wie es schon die
Flüchtlingskrise, die in erster Linie eine Krise der Geflüchteten ist, war.
Weil sie 2015 im Grunde latent vorhandenen Rassismus sichtbar machte. Seither
gehen Gräben durch Republik, Familien, Freundeskreise und Redaktionen.
Und nach Chemnitz wird dieses Kontrastmittel noch deutlicher leuchten. Weil nach dem Schulterschluss zwischen AfDlern, Pegidisten, Rechtsextremisten und der nach Rechts anschlussfähigen Mitte niemand mehr wird sagen können, er habe nichts gewusst.
Kretschmer aber tappt in die Falle der Populisten, wenn er, wie in seiner Erklärung, die "Migrantenpolitik" ins Spiel bringt. Denn: So verfehlt kann eine wie auch immer
gestaltete Migrationspolitik nicht sein, dass sich daraus Extremismus ableiten lässt. Ebenso wenig lässt sich das Anzünden von Autos bei den G20-Krawallzügen durch Linksautonome durch eine verfehlte Sozialpolitik legitimieren.
Diese Lesart sucht Ursachen, wo allenfalls Auslöser zu finden sind. Auch der mutmaßliche Mord an Daniel H. war Auslöser, nicht Ursache.
Das Verdrehen von Kausalität und Korrelation, von Ursache und Wirkung, ist das Spiel der Apokalyptiker. Die werden seit 2015 nicht müde, zu erklären, dass die Ursache in der Flucht nicht in Krieg und Vertreibung, sondern in der Willkommenskultur Angela Merkels gründen würde. Die AfD hat das professionalisiert und parlamentarisiert.
Und weitergesponnen aus diesen Kreisen: Der Migrant hat gemordet, der Migrant muss gehen. Beziehungsweise hätte er niemals kommen dürfen. Weil die Politik nicht handelt, handeln wir. Für Gauland und Co. eine Art ziviler Ungehorsam und Widerstand.
So legitimiert sich Gewalt.
Am Anfang war der Flüchtling, der Extremismus von rechts ist da nur die Reaktion.
Wieder: Nein.
Der Rechtsextremismus braucht den Migranten nicht. Genauso
wenig wie der Antisemitismus den Juden. Ideologien brauchen keine real existierende
Bezugsgröße. Das macht sie so attraktiv. Sie blühen besonders dort gut, wo es das vermeintlich Andere nicht gibt. Das Problem am Extremismus ist der
Extremist selbst und niemals das Kollektiv, auf das er sein Weltbild projiziert.
Auch vergisst diese Lesart: Pegida, AfD, die radikalisierte Mitte, die dort Anschluss sucht, all das gab es vor 2015. Vom Rechtsextremismus ganz zu schweigen, der sowohl in West- als auch Ostdeutschland eine lange Tradition hat.
Diese Erkenntnis müsste am Anfang stehen. Auch bei Kretschmer. Und das Entsetzen
darüber, dass in Deutschland im Jahre 2018 ein Bündnis von AfD, Pegida, Rechtsextremen und Bürgern das dunkelbraune Ressentiment
auf die Straße trägt. Das ganze als Trauermarsch deklariert und die grenzenlose Frechheit
besitzt, dabei weiße Rosen zu tragen.
Das zu formulieren, hätten die Sachsen, hätten die Deutschen erwarten können. Ohne ein Aber. Ohne eine Diskussion darüber, ob das jetzt sprachlich Mob, Jagd, Hetzjagd oder Oktoberfest heißt.
Kretschmer hat das versäumt. Kurz nach den Krawallzügen vor einer Woche, die Tage darauf und auch jetzt, neun Tage später.
"Ich bin mir sicher", sagte dieser im Übrigen nach seiner Wahl zum
Ministerpräsidenten im Dezember 2017, "dass wir es in der Hand haben, wie
dieses Land ist: Ob es ein freundliches, weltoffenes, lebenswertes Land ist,
was der Zukunft zugewandt ist".
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