Man verliert so langsam den Überblick. Ständig gibt es neue Aufreger in der Debatte um Artikel 13 und das neue Urheberrecht in Europa. Längst geht es dabei nicht mehr nur um den politischen Streit – das Vertrauen in die EU an sich nimmt Schaden zu einem kritischen Zeitpunkt.
Man kann es kaum anders ausdrücken: Ein Großteil der EU-Volksvertreter macht gerade gewollt oder ungewollt die schlechteste Werbung für sich. Gerade im aktuellen Wahljahr hilft das allerdings nur den falschen politischen Kräften.
Ein kurzer Überblick: Der Streit um das neue Urheberrecht entzündet sich am Artikel 13. Der sieht vor, dass Instagram, YouTube und Co. in Zukunft dafür haften, wenn ihre User Bilder, Texte oder Videos hochladen, die ihnen nicht gehören. Kritiker wenden ein: Der einzige Weg für diese Plattformen, um das zu verhindern, seien fehleranfällige Upload-Filter.
Die berüchtigten Upload-Filter
Dabei handelt es sich um Software, die unsere Videos, Texte und Bilder schon dann auf Urheberrechtsverletzungen prüfen soll, wenn wir sie hochladen. Die eingesetzten Programme stehen aber im Ruf, äußerst fehleranfällig zu sein – mal löschen sie zu wenig, mal zu viel. Sie haben besonders Probleme mit Satire, Nachrichten oder Kunst. Kritiker befürchten Zensur und gefährliche Einschnitte in die Meinungsfreiheit.
Die Aufreger im Streit um diese Filter häufen sich: Am Anfang erstaunten sich Kritiker "lediglich" über einen sich übermäßig freuenden CDU-Mann Axel Voss, der das neue Urheberrecht vermittelt hatte.
Kurze Zeit später der nächste Aufreger: Diesmal erzeugte ihn das EU-Parlament selbst. Dessen Presse-Abteilung veröffentlichte ein Video – inklusive Axel Voss – in dem es für den Artikel 13 wirbt. Die Abgeordneten hatten da noch überhaupt nicht über die Urheberrechtsreform abgestimmt. Dazu kommt, dass im Werbeclip offenbar eine bekannte Lobby-Organisation auftaucht, die für Urheberrechts-Besitzer in der EU arbeitet. Kritiker sprachen sofort von Propaganda.
Mittlerweile planen Aktivisten europaweite Demonstrationen vor der für Ende März angesetzten Abstimmung im EU-Parlament. Erste Events gab es schon, der Großteil soll aber noch kommen. Am Montag twitterte die Artikel 13-Gegnerin und Piratenpolitikerin Julia Reda, dass der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), die Abstimmung mal eben nach vorne verlegen wolle.
Seht euch das hier an:
Ihr kurzes Video erzeugte riesige Aufregung im Netz. Eilig setzen Aktivisten neue Demos gegen die Abstimmung und den Artikel 13 an.
Hier etwa:
Noch am selben Tag aber twittern Fach-Journalisten und Parlamentarier dann plötzlich doch Entwarnung: Nein, es werde keine vorgeschobene Abstimmung geben. Die Übersetzung des Gesetzes sei noch gar nicht fertig, hätte das Büro von Manfred Weber mitgeteilt. Am Dienstag teilt die Fraktion dann doch wieder mit, man wolle am liebsten schon nächste Woche über das Urheberrecht abstimmen. Man wolle doch nicht auf den Übersetzer warten. Auf Twitter war das Wort "undemokratisch" die harmloseste Kritik. Und natürlich kam die nächste Kehrtwende gleich am nächsten Morgen, als Manfred Weber persönlich in einem Interview der vorgezogenen Wahl eine Abfuhr erteilte. Ein unaushaltbares Hin und Her.
Wo das alles hinführt? Das bringt etwa der YouTuber Gronkh sehr gut auf den Punkt. Er schreibt: "Die Wut gegen die Vorgehensweisen, die Lügen und haltlose Behauptungen all diese Wochen - und jetzt wieder - bleibt. Die Botschaft war jedesmal die selbe: "Scheiß auf euch!"
Damit dürfte der bekannte Influencer sehr gut treffen, was gerade zahllose vor allem junge Bürgerinnen und Bürger der EU denken. Wie eingangs gesagt, die Debatte wirkt geradezu unübersichtlich chaotisch und an vielen Punkten argumentationsfrei. Und das ist gefährlich.
Wenn in Europa gewählt wird, dann gehen erfahrungsgemäß äußerst wenige Menschen an die Urne. Für die meisten ist zu weit weg, was Brüssel jeden Tag entscheidet. Deshalb ist für die Parteien vor allem das Kernklientel wichtig. Nur wer seine eigenen Wählerinnen und Wähler gut mobilisiert, kann gut abschneiden.
Demoskopen sehen hier momentan vor allem die EU-Feinde im Stimmungshoch, schlicht weil sie eben wählen gehen. Dagegen steht eine junge internetaffine Gesellschaft, die sich europäisch und vernetzt sieht. Gerade zeigt das Parlament aber genau diesen Menschen, dass ihre Meinung kaum Einfluss auf das hat, was im Bauch von Brüssel entschieden wird. All die oben aufgeführten Beispiele scheinen keinen anderen Schluss zuzulassen.
Geht es so weiter wie bisher, und gibt es Ende März (oder früher) eine Entscheidung für den Artikel 13, dann werden sich junge Wählerinnen und Wähler sofort und enttäuscht von der EU abwenden, bevor sie überhaupt ihr erstes Kreuzchen gesetzt haben. Andere aber werden es weiterhin tun.
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