Es war ein "Horrortrip", sagt Maja T. wenige Wochen nach der nächtlichen Überführung von Deutschland nach Ungarn in einem Telefonat mit dem MDR. Nachdem das Berliner Kammergericht am 27. Juni 2024 eine Auslieferung der damals 23-jährigen non-binären Person erlaubte, schafften die deutschen Behörden innerhalb weniger Stunden Fakten. Am Vormittag des 28. Juni befand sich Maja T. bereits in den Händen der ungarischen Behörden.
Die Entscheidung des Gerichts kam nicht überraschend, wie Maja später sagt. Doch bis zum Abend vor der Auslieferung sei da das Vertrauen gewesen, dass die sächsischen Behörden – zu dem Zeitpunkt saß Maja in Dresden in Untersuchungshaft – eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten würden.
Haben sie nicht.
Der rettende Eilantrag des höchsten deutschen Gerichts, der die Auslieferung untersagte, kam wenige Stunden zu spät. Am Donnerstag hat das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde entschieden und bestätigt: Die Auslieferung von Maja T. war unzulässig.
Trotzdem sitzt die Linksextremist:in in Ungarn fest, einem Land, in dem die Haft- und Prozessbedingungen scharf kritisiert werden. Wie konnte es so weit kommen und kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jetzt noch etwas ausrichten?
Die Geschichte von Maja T. startet am "Tag der Ehre" im Februar 2023 in Ungarn. Der Vorwurf der dortigen Behörden: Maja soll an dem Tag als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zusammen mit weiteren Personen Anhänger:innen der rechtsextremen Szene in Budapest angegriffen und verletzt haben. Im Dezember 2023 erfolgte die Festnahme aufgrund eines europäischen Haftbefehls in Berlin. Die ungarischen Behörden wollten Maja vor Ort den Prozess machen.
Das Ringen mit den deutschen Behörden um die Frage der Auslieferung begann. Am 28. Juni vergangenen Jahres verloren es die Anwält:innen und deren Mandant:in.
In den frühen Morgenstunden wurde Maja aus ihrer Zelle in der JVA Dresden geholt. Das Auftreten der deutschen und österreichischen Polizei bezeichnet Maja T. gegenüber dem MDR später als martialisch. Acht schwerbewaffnete Beamte seien im Auto bei der Fahrt zum Flughafen dabei gewesen, begleitet von einer Eskorte von "mindestens zehn" weiteren Polizeiwagen.
Mit der Überstellung an die österreichischen Behörden habe sich die Situation noch einmal verschärft, die Rede ist von Hand- und Fußfesseln und einer Haube auf dem Kopf. Die Fahrt bis zur Grenze nach Ungarn habe mehrere Stunden gedauert und sei ohne Pause und die Möglichkeit zu trinken erfolgt, schildert Maja T.
Um kurz nach 10 Uhr war das Schicksal mit der Auslieferung an die ungarischen Behörden endgültig besiegelt. Die Uhrzeit wird in der Rekonstruktion des Falls noch wichtig werden.
Während der Überstellung der Mandant:in ringen die Anwält:innen in Deutschland nämlich darum, den Stein, den das Kammergericht Berlin am Vortag ins Rollen brachte, noch zu stoppen. Sie legten beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Auslieferung ein. Um 7:38 Uhr ging der Antrag laut "LTO" beim Gericht ein.
Schon nach wenigen Stunden, um 10:50 Uhr, untersagte es die Überstellung im Eilverfahren. 50 Minuten zu spät.
Maja T. ist den ungarischen Behörden bereits ausgeliefert, obwohl das Gericht keine Stunde später erklärte, es sei "zumindest zweifelhaft", dass der Schutz der sich als non-binär identifizierenden Person in Ungarn gewährleistet sei.
In der Verfassungsbeschwerde hat das Gericht am Donnerstag zugunsten von Maja T. entschieden. Die Auslieferung stelle "einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, der weiterhin fortwirkt", erklärt die zuständige Kammer. Sie nimmt eine Verletzung von Artikel vier der Grundrechtecharta an. Darin ist das Verbot vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung festgeschrieben.
Das Kammergericht hätte sich nicht einfach auf Ausführungen der ungarischen Behörden verlassen dürfen und stattdessen eine eigene Gefahrenprognose vornehmen müssen, heißt es. Die Richter:innen werfen dem Berliner Gericht konkret vor, die Umstände einer Haft in Ungarn nicht hinreichend aufgeklärt zu haben – auch in Bezug auf Gefahren bezüglich der Geschlechtsidentität.
Die möglichen Haftbedingungen gehören zum Kern des langwierigen Kräftemessens zwischen Anwält:innen und Behörden. Befürchtungen darüber scheinen sich bestätigt zu haben. Anwalt Sven Richwin erklärt nun gegenüber "LTO", dass die Gefängnisverwaltung nicht auf eine non-binäre Person in Haft vorbereitet sei. Maja befände sich seit Monaten in Isolationshaft mit dauerhafter Kameraüberwachung.
Majas Vater Wolfram Jarosch berichtet im Oktober vergangenen Jahres im Interview mit der "taz", sein Kind sei auch beim Hofgang isoliert und müsse selbst bei Ärzt:innen und beim Skypen Handschellen tragen. Die Zelle sei zudem halbdunkel und es gebe Kakerlaken und Bettwanzen.
Die Verfassungsbeschwerde ändert daran erst einmal nichts, trotzdem sieht Anwalt Richwin darin einen juristischen Erfolg. Maja werde nicht ohne Weiteres aus der Isolationszelle kommen. Gegenüber "LTO" sagt er aber:
Nach einer Verurteilung müsste Maja die Strafe auch in Deutschland absitzen, wenn die ungarischen Behörden ihr Wort halten.
Für weitere Fälle aus dem sogenannten Budapest-Komplex könnte die Entscheidung laut Richwin jetzt eine Signalwirkung haben. Nach rund zwei Jahren im Untergrund hatten sich erst kürzlich sieben weitere Personen aus dem linksextremistischen Milieu den Behörden gestellt. Deren Verteidiger:innen wollen alles versuchen, um eine Auslieferung zu verhindern, schreibt das Rechtsmagazin "beck-online".
Der Fall Maja T. hatte auch eine Diskussion über den Rechtsschutz gegen Auslieferungen ausgelöst. Maja T. blieb kaum Zeit, rechtlich gegen den Beschluss des Kammergerichts und die Auslieferung vorzugehen. Der Kölner Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas spricht gegenüber "LTO" von einem "Totalversagen der Justiz". Der Fall zeige, wie wichtig es sei, dass jedenfalls eine Entscheidung im Eilverfahren abgewartet wird, bevor eine Auslieferung vollzogen wird.
Gegenüber "beck-online" sagte er im Sommer: "Man muss seine Lehren aus diesem Fall ziehen und so etwas darf sich nie wieder wiederholen."