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Viele meiner Verwandten unterstützen die AfD, auch aus Protest.Bild: getty/Aja Koska
Reportage
22.02.2025, 07:2222.02.2025, 11:15
Ich würde von mir behaupten, dass ich ein Familienmensch bin. Eigentlich bin ich gerne umgeben von den Menschen, die mich großgezogen haben. Eigentlich, denn in den letzten Jahren wurde es unangenehm am gut gedeckten Esstisch, sobald es politisch wurde.
Rassistische und sexistische Parolen gehören inzwischen zum Standard-Repertoire. Fast jeder Mann in meiner Familie wählt die AfD und fast das gesamte Weltbild der in Teilen gesichert rechtsextremen Partei wurde übernommen.
Wenn ich versuche, argumentativ dagegen anzukommen, heißt es: "Du bist jung und dumm. Wir haben Lebenserfahrung, du nicht". Sie degradieren mich zu der kleinen Prinzessin, die ich immer für sie war und immer bleiben werde. Was kann ich also tun? Gibt es Strategien, die sich hier bereits bewährt haben?
Ich glaube, es ist nicht nur Hass, der sie antreibt, sondern auch Fürsorge: Als wollten sie mich und meine Zukunft eigentlich beschützen. Stattdessen tun sie das Gegenteil.
Sie waren es, die (m)eine Welt erschufen, in der ich sorgenfrei aufwachsen konnte. Und sie sind es, die diese Welt durch ein Kreuz auf dem Wahlzettel zerstören – ohne es überhaupt zu realisieren. Was zur Hölle soll ich denn jetzt machen?
Meine letzte Hoffnung: Eine Beratung gegen Rechtsextremismus
Mit dieser Frage stehe ich vor dem Verlagsgebäude Neues Deutschland. Ein Ort mit Historie: In der DDR war hier der Sitz des gleichnamigen SED-Zentralorgans. Ich lese Zitate von Rosa Luxemburg und Karl Marx, die an der Fassade prangen. Es ist kalt draußen, also gehe ich schnellen Schrittes hinein.
Im Foyer wartet Janine Budich auf mich. Mit ihr und Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) spreche ich heute über meine Situation. Seit 2001 sind sie Anlaufstelle für alle, die bei konkreten rechtsextremen, rechtspopulistischen, rassistischen und antisemitischen Anlässen sprech- und handlungssicher werden wollen. Die Anfragen für eine Beratung hätten in den letzten Jahren zugenommen, verraten sie mir.
Was will ich denn überhaupt?
Ich schildere den beiden mein Problem. Danach fragt mich Matthias, was ich mir genau wünsche.
Ich seufze. Vor meinem inneren Auge tauchen (Groß-)Eltern auf, die ihre Enkel fragen, was sie sich eigentlich für die Zukunft wünschen – und ihre Sorgen ernst nehmen.
Es geht mir nicht darum, dass jedes Familienmitglied dasselbe wählt wie ich, sage ich. Viel mehr wünschte ich, es würde sie überhaupt interessieren, was mich beschäftigt. Dass wir – die Jüngeren in der Familie – in ihren Köpfen nicht mehr am imaginären Kindertisch sitzen. Denn neben mir gibt es auch noch meine Cousine, meinen Cousin und meinen Freund. Ich erkläre, dass ich mir wünsche, dass es rationaler wird. Keine Feindbilder mehr, keine Provokation.
Es geht nicht ohne Grundwerte
Matthias fragt, ob ich mir auch wünsche, dass meine Positionen übernommen werden. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich das nicht schön fände. Zumindest, wenn es um meine Grundwerte geht, wie Akzeptanz, Vielfalt, Unvoreingenommenheit und Respekt gegenüber anderen.
Matthias hat Post-its auf das große Whiteboard geklebt, das mir direkt gegenüber hängt. Er sagt, dass man Grundwerte innerhalb der Familie definieren könne. Orientieren könne man sich etwa an den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes. Er führt aus:
"Bei allen Unterschieden braucht es einen Rahmen. Das heißt: Wir haben vielleicht unterschiedliche Vorstellungen, wie wir mit der Existenzkrise, der Klimakrise oder der Wirtschaft umgehen können, aber diese Grundwerte dürfen nicht infrage gestellt werden."
Janine fragt, ob innerhalb meiner Familie das demokratische System an sich abgelehnt werde. Ich zögere. Eigentlich habe ich das Gefühl, sie wünschen sich eine direkte Demokratie mit Volksentscheiden auf Bundesebene, so wie sie unter anderem auch die AfD möchte. Unser parlamentarisches System ist in ihren Augen viel mehr eine Art Schein-Demokratie. Als würde man uns hierzulande nur die Illusion indoktrinieren, mitentscheiden zu können.
Janine sagt erleichtert, das sei schonmal ein wichtiger Unterschied.
Ich werfe ein, dass ich befürchte, ihnen wäre ein Deutschland ohne Demokratie, aber mit AfD dennoch lieber als ein demokratisches Deutschland ohne AfD-Politik.
Meine Liebe als Druckmittel gegenüber meiner Familie
Manchmal würde ich sie deshalb am liebsten schütteln oder sogar mit Kontaktabbruch drohen. Doch ist das letztendlich nicht kontraproduktiv? Janine führt aus:
"Den Wunsch nach Beziehungsabbruch muss man ernst nehmen und auch mal durchdenken für sich. Dass man kommuniziert, wenn rote Linien – sowohl politisch als auch im Umgang mit einem – mehrfach überschritten werden. Das ist etwas, dass man mit sich selbst ausmacht, das ist bei jedem anders."
Trotzdem müsse es nicht gleich der Beziehungsabbruch sein. Stattdessen könne ich auch lediglich das Gespräch beenden oder die Feier verlassen. Sie rät mir, dabei immer sachlich und konkret zu bleiben.
Auch forsch dürfe ich werden. Wünsche und emotionale Bedürfnisse könnten auf der Gegenseite jedoch auch Druck erzeugen. Dennoch sei es legitim, sich zu wünschen, anerkannt zu werden und das auch zu äußern. Manchmal müsse man etwas allerdings auch drei, viermal sagen, bis es angekommen ist.
Tipps für Familientreffen: kleine Gruppen, neue Sitzordnung
Laut Janine und Matthias kann es erstmal helfen, sich auf kleinere Grüppchen zu konzentrieren, statt brenzliche Themen in großer Runde anzusprechen. Generell raten sie mir, die Debatten eher zu vermeiden, sofern Alkohol im Spiel ist.
Matthias schlägt vor, sich bei Feiern durchmischter hinzusetzen. Wir jungen, nicht rechtsgesinnten in der Familie könnten uns im Vorfeld absprechen, um uns dann gegenseitig die Bälle zuzuspielen. Es sei wichtig, auch selbst die Themen zu setzen – und die anderen dann miteinzubeziehen.
Ist Empathie vielleicht der richtige Ansatz, um ins Gespräch zu gehen, frage ich. Janine bejaht. Nachfragen sei auch gut, damit ich die Situation besser einschätzen kann. Matthias ergänzt:
"Man kann dosiertes Verständnis zeigen, sollte aber diese Verallgemeinerungen zurückweisen und auch immer wieder eigene Narrative dagegenstellen, damit diese vermeintlichen plausiblen Argumentationen auch einen Gegenpart haben. Zum Beispiel eine eigene Erfahrung, die anders ist."
Ich gehe die Situation gedanklich durch und erhalte viel Gegenwind. Janine erklärt, dass das schwierig auszuhalten sei und ich dafür auch selbst gut drauf sein müsste.
Wogegen man jedoch nicht mehr ankomme, sei Krisenrhetorik, erklärt Matthias. Es gehe hier mehr um Gefühle oder gefühlte Wahrheiten als um Fakten. Das begegnet mir auch in meiner Familie immer wieder. Etwa, wenn behauptet wird, es gebe keine Meinungsfreiheit mehr.
Janine legt mir ein kreisförmiges Modell vor, das Rechtsextremismus in vier unterschiedlichen Graden der Ideologiedichte, Einbindung und Organisation darstellt. Ganz im Inneren ist der tief rechtsextreme Kreis, der professionell auftrete und rhetorisch geschult sei:
"Da kommst du überhaupt nicht mehr in irgendein Gespräch rein. Das sind Leute, die wollen sich Raum nehmen, um ihre Propaganda zu verbreiten."
Je weiter am Rand, desto weniger sind die Menschen eingenommen von rechtsextremen Denkweisen. Meine Familie befinde sich im äußeren Rahmen, weswegen es wichtig sei, miteinander im Gespräch zu bleiben, damit sie nicht in den inneren Rahmen rutschen.
Als ich das ehemalige SED-Verlagshaus verlasse, strömt mir wieder eisige Kälte entgegen, doch die Sonne strahlt mir ins Gesicht. Das Gespräch mit Janine und Matthias hat mir Hoffnung gegeben – wenn auch nicht für die bevorstehende Wahl. Aber ich verlasse das Gespräch mit der Gewissheit, dass Deutschland 2029 wieder wählt. Und die Zeit bis dahin werde ich hoffentlich genutzt haben.