Neun Tage nach dem Einmarsch ukrainischer Truppen in Russland ist kein Ende des Vorstoßes in Sicht. Nach Aussagen aus Kiew sollen bereits 74 Gemeinden in der Grenzregion Kursk unter der Kontrolle der Ukraine stehen. Und während die Evakuierung von 194.000 Zivilist:innen aus dem Kriegsgebiet schleppend verläuft, stottert Putins Verteidigungsapparat gewaltig.
Mit überraschender Schnelligkeit überrumpelten ukrainische Soldat:innen am 6. August russische Stellungen, die für den Nachschub an Kriegsgerät und Personal für die Front im Westen immens wichtig sind. Um die Verteidigungsfähigkeit zu verbessern, sollen nun massenhaft russische Arbeiter Gräben ausheben. Die Jobportale wimmeln vor Angeboten – und werben mit üppigen Gehältern.
In Russland läuft die Werbemaschinerie heiß für die Aushebung von "Befestigungsanlagen", wie in den Jobangeboten beschrieben. Um "allgemeine Arbeiter" für den gefährlichen Beruf im Gefechtsgebiet zu erwärmen, werden Monatsgehälter in Höhe von umgerechnet 1600 bis 4000 US-Dollar angeboten. Astronomische Summen angesichts von rund 620 Dollar Durchschnittsgehalt.
Laut dem US-Magazin "Newsweek" wurden mehr als 30 Werbungen gezielt für die Anwerbung russischer Männer geschaltet. Als Plattform für die Rekrutierung dienen dabei nicht nur herkömmliche Jobportale. Prominent platziert wurden die Inserate auch auf Avito, Russlands größter Website für Privatverkäufe, vergleichbar mit Kleinanzeigen.
Offiziell sprechen russische Behörden bei dem Einfall noch immer von Terrorismus. Hinter den Kulissen scheint der Kreml die ukrainische Gegenoffensive aber als reguläre Kriegshandlung aufzufassen. Großer Optimismus, die Ukrainer schnell zurückzudrängen, scheint in Moskau nicht vorzuherrschen. Erste Arbeiten für ein weitläufiges Grabensystem wurden laut US-Sender CNN bereits gestartet.
Das weitere Vorrücken des ukrainischen Militärs in der evakuierten Region im Südwesten Russlands könnte nach unbestätigten Informationen sogar leichter sein als angenommen. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Auf X kursieren Satellitenaufnahmen, die den Verlauf der neuen russischen Verteidigungslinie rund 45 Kilometer entfernt von der aktuellen Front zeigt.
Auf die Region Kursk und die russische Bevölkerung könnte der rapide Vorstoß der Ukrainer einen langwierigen Stellungskrieg nach sich ziehen. Wie aus Satellitenbildern hervorgeht, folgten den Soldat:innen der Ukraine schweres Baugerät und Bagger im Kielwasser der Attacke. Demnach könnte das Ziel sein, sich möglichst standhaft in Kursk einzugraben. Laut Beobachtern könnte die ukrainische Militärführung Kursk als Verhandlungsmasse für mögliche Waffenstillstandsgespräche nutzen.
Zwar behaupten prominente russische Kriegsblogger, dass der Geheimdienst FSB und zahlreiche Drohnen- und Raketenschläge die Gegenoffensive stoppen konnten. Westliche Analysten und Kiew sprechen aber von weiteren Geländegewinnen.
Wer dem hochdotierten Angebot nachgibt, könnte sich nicht nur durch die Grabungsarbeiten an sich in Gefahr begeben. Einige Blogger:innen weisen auf X darauf hin, dass den Arbeitern nach Fertigstellung der Verteidigungsanlagen der Einzug ins Militär drohe.
Dabei weisen sie auf das Schicksal einer 150-köpfigen Truppe von auszubildenden Wehrpflichtigen hin. Die Position ist vergleichbar mit deutschen Schulabgängern, die sich vor Abschaffung der Wehrpflicht für die Grundausbildung verpflichteten, statt Zivildienst zu leisten.
Die Wehrdienst-Anfänger waren am 6. August vor den einrückenden Ukrainern geflohen. Wie "Kyiv Post" schrieb, wurden die zumeist jugendlichen Soldaten anschließend wieder an die Front geschickt, obwohl laut russischem Kriegsrecht keine Wehrpflichtigen in der Ausbildung zum Frontdienst beordert werden dürfen.