Eine der vielen Veränderungen infolge Russlands Einmarsch in die Ukraine 2022 ist eine kollektive Erweiterung des Wortschatzes um einige Kampfbegriffe. "Hybride Kriegsführung" etwa war den meisten Menschen lange fremd.
Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine ist viel mehr als nur eine Anreihung physischer Angriffe: Systematisch greifen Kreml-Hacker die digitale Infrastruktur im Westen an und versuchen, Wahlen zu beeinflussen und die Demokratien zu schwächen. Ebenso werden Migrant:innen an die EU-Grenzen geschleust.
Je schwächer die Unterstützer:innen, desto schwächer die Ukraine: Diese Rechnung droht aufzugehen. Doch auf wie vielen Ebenen Russland Krieg führt, ist dadurch noch lange nicht erschöpft. Sogar ukrainische Kinder sollen gegen die Ukraine eingesetzt werden.
Denn wie kann ein Land überleben, wenn nicht einmal seine eigenen Bewohner:innen es verteidigen wollen? Genau das versucht der Kreml zu erreichen, indem es ukrainische Kinder in den von Russland besetzten Gebieten brainwasht: rein mit der russischen Ideologie in die Köpfe, raus mit der ukrainischen Identität. Die Ukraine hat dadurch ein paar weniger Unterstützer:innen in den eigenen Reihen, Russland ein paar mehr.
Anastasija Worobjowa, die zu dem Thema forscht, erklärte dem "Tagesspiegel", der Kreml zwinge den ukrainischen Kindern die "Ideologie der sogenannten 'russischen Welt'" auf. Unter anderem würden die Kinder dazu bewusst "in russische militärische Jugendstrukturen" eingebunden.
In Russland gibt es in den vergangenen Jahren immer mehr militaristische Organisationen, um russische – wie auch ukrainische – Jugendliche "richtig" zu erziehen. Im Aufsichtsrat der vor zwei Jahren gegründeten und bereits elf Millionen Mitglieder starken Organisation "Bewegung der Ersten" sitzt sogar Präsident Wladimir Putin höchstselbst.
Die "Erziehungsmethoden" der Organisationen verdeutlichen den militaristischen Ansatz: Laut "Tagesspiegel" prahlte ein Instrukteur einer ebenfalls erst vor zwei Jahren gegründeten Organisation kürzlich im russischen Propaganda-TV:
Sogar das Verteidigungsministerium hat bereits 2016 eine Organisation gegründet, die in Lagern militärische Grundausbildungen für Jugendliche anbieten.
Auch auf Russlands besetzten ukrainischen Gebieten wurden demnach solche Zentren gebaut. Wahrscheinlich werden dort auch Ukrainer:innen aus anderen Teilen des Landes ausgebildet. NGOs wie Amnesty International oder die Konrad-Adenauer-Stiftung kritisieren schon lange, dass zehntausende Kinder aus der Ukraine nach Russland oder in von Russland besetzte Gebiete deportiert, sprich, entführt werden.
Folgerichtig sollen laut "Tagesspiegel" bislang mehrere tausend junge Ukrainer:innen für den Kampf aufseiten Russlands und gegen das eigene Heimatland ausgebildet worden sein.
Um die ukrainische Identität noch leichter aufgeben zu können, sollen Eltern dazu gezwungen worden sein, den Ukrainisch-Unterricht für ihre Kinder aufzugeben. Laut Worobjowa sollen 2023 in der Region Saporischschja noch etwa 18.000 Kinder Ukrainisch gelernt haben, 2024 nur noch 8.000.
Doch was, wenn ukrainische Kinder und Jugendliche trotz all dieser Maßnahmen dennoch gegen die russische Gehirnwäsche rebellieren? Dann greift der Kreml zu Maßnahmen, die laut der Direktorin der Eastern Human Rights Group, Wira Jastrebowa, "die totalitären Methoden der Sowjetunion" übertreffen: Die Kinder werden in die Zwangspsychiatrie eingewiesen.
"Die psychiatrische Zwangsbehandlung zielt darauf ab, den Willen des Kindes zu unterdrücken und es zur Zustimmung zu zwingen", erklärte Jastrebowa dem "Tagesspiegel". Dementsprechend sollen im vergangenen Jahr 63 Jugendliche eingewiesen worden sein, die sich weigerten, die russische Ideologie zu akzeptieren.