Zwei Tage zuvor war er noch im Anzug bei einem Auftritt im Bayerischen Rundfunk zu sehen. Nun zeigt sich Phil Hackemann in T-Shirt, Jeans, Basecap und Sonnenbrille. Sein lässiger Street-Look, den der 29-Jährige auch bei anderen Wahlkampfauftritten trägt, ist eine perfekte Tarnkleidung für den Campus.
Hackemann – braune Haare, Dreitagebart, aufgeweckter Blick – steht auf Listenplatz sieben der FDP-Kandidat:innenliste zur Europawahl. Zudem ist er Spitzenkandidat der FDP Bayern sowie des bundesweiten Juli-Verbandes, der Jugendorganisation der Partei. An einem heißen Frühlingstag im Mai macht er Wahlkampf an der Uni in Erlangen.
Trotz Sonnenschein und Brückentag tummeln sich viele Studierende vor dem gelben Mensagebäude. Auf dem Langemarckplatz davor stehen Fahrräder in Reih und Glied und einige Menschen schützen sich auf Bänken unter den breiten Bäumen vor der Sonne.
"Darf ich euch einen Flyer geben?" Die Leute bei den Bänken winken dankend ab. Auf dem Rückweg zum Stand der Julis ein paar Meter weiter pfeift Hackemann dennoch fröhlich.
Der FDP-Kandidat schlendert fleißig von Studi zu Studi und lässt beim Laufen manchmal seine Arme baumeln, als würde er zum Hinhalten der Flyer ausholen.
Für ihn sei es vor allem wichtig, freundlich zu bleiben und nicht zu aufdringlich zu wirken. Er wolle nicht wirken wie ein nerviger Promoter, der einem in der Fußgängerzone vor die Nase springt.
In der Tat ist Hackemanns Strategie an diesem Tag das komplette Gegenteil davon: Der FDP-Mann ist natürlich für Gespräche mit den Menschen offen – aufzwingen will er sie ihnen jedoch nicht. Stattdessen konzentriert er sich aufs Verteilen des Kampagnenmaterials. So könne er es auch mehr Personen anbieten.
Nach einer Erfolgssträhne beim Flyerverteilen sagt er stolz zu einem Kollegen: "Hast du gesehen? 6 von 6. Ratatata."
Spricht Hackemann über die Europäische Union (EU), beschreibt er sie als etwas Fragiles, wie einen kostbaren Schatz. Dieser muss beschützt werden. Der Moment, der ihm das verdeutlicht hat, war das Brexit-Referendum 2016. Damals studierte der gebürtige Münchener gerade im Vereinigten Königreich. Für ihn sei das ein "großer Schock" gewesen, ein "politischer Weckruf".
Zölle, Visa, Studienaustausch: Seine Freunde in England seien "plötzlich wieder aufgewacht in einer alten Welt". Dies habe ihm vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für Europa zu kämpfen:
Sie. Damit meint Hackemann antieuropäische Parteien, die aber "teilweise auch auf Weisung von Russland und China" handeln, um die europäische Integration zu zerstören. Dagegen müsse die EU zusammenstehen und geschlossen an einem Strang ziehen, auch in der Verteidigungspolitik.
Es ist ein Herzensthema für Hackemann, auch auf seiner Website steht als oberstes Ziel für Europa: "Frieden und Sicherheit gemeinsam schützen".
Die FDP fordert daher eine eigene EU-Armee, einen echten EU-Außenminister und die Beendigung des Einstimmigkeitsprinzips bei Sicherheitsfragen im Ministerrat.
"Verteidigungsbereit", "erwachsen" oder "kriegstauglich werden" nennt Hackemann das, ganz im Stile des Zeitenwende-Vokabulars.
Am Nachmittag wandert die Sonne weiter, die jungliberalen Wahlkämpfenden ebenfalls – von Erlangen in die Nürnberger Innenstadt. Zunächst steht das Team in der Fußgängerzone am Weißen Turm, einige Minuten später zieht jedoch eine kleine Sondereinheit um Hackemann in eine schattige Seitengasse weiter. Hier erstreckt sich die dunkle Glasfassade eines Fitnessstudios.
Hackemann und sein Team bieten allen Fitnessfans am Eingang Proteinriegel an und drücken beiläufig auch wieder Flyer in viele Hände. Gestresste Schritte, laute Gespräche und Kinderweinen verhallen im Hintergrund. Hackemann lächelt, lacht und wünscht den Gym-Besucher:innen viel Spaß.
Diese Aktion namens "Starkes Europa" hat Hackemann sich selbst ausgedacht. "Man muss eben kreativ sein", meint er grinsend. Der junge Europakandidat hat eine hohe Awareness dafür, wo er die Leute erreichen kann: Er ist auch auf Instagram, Tiktok und einige Tage nach diesem Termin sogar zum Wahlkampf am Ballermann auf Mallorca zu finden. Hier hat er Kondome und das Anti-Kater-Mittel Elotrans verteilt. "Kam mega an", schreibt er über die Aktion auf Instagram.
Zurück nach Nürnberg: Als vor dem Fitnessstudio der letzte Proteinriegel vergeben ist, reißt der FDPler die Arme in die Luft. Das ging fix. Über ein starkes Europa hat er mit den Leuten nicht geredet. Das erledigt er stattdessen zwischen den Terminen.
Bei einem Gespräch in einem Café spricht er trotz Eiscreme im Mund mit klaren Worten über Russlands Präsident Wladimir Putin und über den Frieden in Europa: "Doch da gibt es den einen vor unseren Grenzen, der das nicht will, sondern der nach alter imperialistischer Manier Länder mit Gewalt erobern will."
Die EU müsse ihre Sicherheit mehr in die eigene Hand nehmen, weil man nicht wisse, ob am Ende des Jahres nicht der Präsident der USA Donald Trump heißt. Infolgedessen könnte der transatlantische Partner seine Unterstützung für europäische Nato-Länder einstellen.
Schnell aufessen, dann geht es schon wieder weiter zum nächsten Termin.
Am Abend sitzt Hackemann vor einer Pizzeria in Fürth, wo der letzte Infostand des Tages geplant ist. Die Sonne steht tief. Der Jungliberale wirkt nach einem langen Tag noch immer frisch, auch wenn sein Lächeln schmaler wird.
Hackemann erzählt von Freiheitskämpfen auf der ganzen Welt, welche die FDP unterstütze, "weil für uns Freiheit und Menschenrechte weltweit gelten, als universelles Gut." In Israels Kampf in Gaza sehe er diese Menschenrechte gewahrt.
Dass es im Wahlprogramm der FDP heißt, sie stehe uneingeschränkt an der Seite Israels, bedeute aber nicht, dass sie zu jeder Handlung der israelischen Regierung stehe, betont er.
Dennoch vertraut er der Regierung, dass sie versucht, palästinensische zivile Opfer zu vermeiden: Israel warne "vor jedem Militärschlag die Zivilbevölkerung ganz konkret in dem Zielgebiet mit Flugblättern und Radioansprachen." In jedem Krieg gäbe es zivile Opfer und diejenigen in Gaza seien "natürlich auch schrecklich".
Frieden im Nahen Osten könne es nur geben, wenn die Hamas "zerschlagen und besiegt" würde. Wichtig sei, dass die EU-Staaten nun geeint das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels anerkennen.
"Streitbar in Europa", so lautet das Motto der FDP zur Wahl. Es steht auch auf den Flyern, die das Team den ganzen Tag über verteilt. Abgebildet ist darauf neben Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auch Phil Hackemann, da die Julis bei der Gestaltung Mitspracherecht hatten. Streitbar sein, klare Positionen beziehen, dafür schätzt er seine Spitzenkandidatin – und scheint, sie als Vorbild genommen zu haben.
Hackemann möchte sich in Europa für eine geeinte, demokratischere EU, perspektivisch gar für einen europäischen Bundesstaat einsetzen. Er habe "Angst, dass die Errungenschaften der letzten Jahre verloren gehen und die Europäische Union als solche zusammenbricht." Europa dürfe sich weder von innen noch von außen "auseinanderdividieren lassen".
Dennoch will er "den Teufel nicht an die Wand malen". Er setzt seine Hoffnungen in die junge Generation, die in Deutschland nun sogar ab 16 Jahren wählen darf. Es stimme ihn optimistisch, dass sich Millionen junger Menschen für Europa begeistern, dafür auf die Straße gehen. "Und ihre Zukunft selber in die Hand nehmen."