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Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu: Müsste Deutschland ihn festnehmen?

ARCHIV - 18.11.2024, Israel, Jerusalem: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht vor Gesetzgebern in der Knesset, dem israelischen Parlament. (zu dpa: «Weltstrafgericht erlässt Haftbefehl  ...
Benjamin Netanjahu steht seit längerem wegen seines brutalen Vorgehens im Gazastreifen in der Kritik. Bild: AP / Ohad Zwigenberg
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Haftbefehl gegen Netanjahu: Welche Folgen die IStGH-Entscheidung hat

21.11.2024, 15:0921.11.2024, 19:12
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Der Gazastreifen liegt in Schutt und Asche, das Sterben gehört dort zum Alltag, Kinder leiden massiv: Der Nahost-Konflikt und das brutale Agieren Israels im Gazastreifen spaltet die Gesellschaft. Es hagelt seit Monaten Kritik zur ungeheuren Brutalität, mit der das Land unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Enklave vorgeht. Auch in Israel wird der Widerstand größer.

Nun hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie den ehemaligen Verteidigungsminister Joav Gallant erlassen. Der Vorwurf: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und nicht nur gegen die israelische Führung: Auch Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri, der mutmaßlich getötete Anführer der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, kassierte einen Haftbefehl.

Doch was bedeutet dies für die israelische Führung, insbesondere für Netanjahu? Und müsste Deutschland ihn nun verhaften, wenn er deutsches Territorium betritt? Klar ist: Die Haftbefehle haben weitreichende politische und rechtliche Konsequenzen.

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Nahost-Konflikt: Warum der Haftbefehl gegen Netanjahu?

Es war bereits am 20. Mai 2024, als der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant sowie gegen drei führende Hamas-Anführer beantragte.

Der Verdacht: die Beteiligung an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere im Kontext des Krieges im Gazastreifen seit dem 7. Oktober 2023. Netanjahu und Gallant wird unter anderem das Aushungern von Zivilist:innen als Kriegsführungsmethode und gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung vorgeworfen.

dpatopbilder - 30.03.2024, Pal�stinensische Gebiete, Rafah: Menschen warten in der Stadt Rafah im s�dlichen Gazastreifen auf Nahrungsmittelhilfe. Ungef�hr die H�lfte der Bev�lkerung in dem abgeriegelt ...
Der Hunger im Gazastreifen ist enorm. Bild: XinHua / Rizek Abdeljawad

Schon kurz nach Beginn des neuerlichen Krieges schlugen unabhängige Organisationen Alarm. Die Welthungerhilfe sprach erst kürzlich von einer herrschenden "Apokalypse" im Gazastreifen.

Nun also der Haftbefehl.

Natürlich bedeutet er nicht, dass Netanjahu im eigenen Land festgenommen wird, zumal Israel auch kein Mitglied des Römischen Statuts ist. Der Haftbefehl hat zunächst einmal eine starke symbolische Kraft und gilt als scharfe Warnung. Er führt nicht automatisch zu einem Prozess. Erst, wenn die Person verhaftet und dem IStGH überstellt wird, kann ein Verfahren eingeleitet werden.

Muss Deutschland Netanjahu und Gallant bei Einreise verhaften?

Andererseits bedeutet die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes eine massive Einschränkung der internationalen Reisefreiheit. Denn freiwillig vor Gericht erscheinen werden Netanjahu und Gallant wohl kaum. Jedoch sind alle 124 Mitgliedstaaten des Römischen Statuts dazu verpflichtet, sie bei einem Besuch in ihrem Land festzunehmen, auch Deutschland.

Zumindest in der Theorie.

In der Vergangenheit gab es mehrere Fälle, in denen Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs nicht umgesetzt wurden. Beispielsweise reiste der ehemalige sudanesische Präsident Omar al Baschir durch mehrere IStGH-Mitgliedstaaten. Trotz eines Haftbefehls wurde er nicht festgenommen. Dies zeigt, dass die Umsetzung solcher Haftbefehle oft von politischen Überlegungen beeinflusst wird.

Deutschland hat eine besondere Beziehung zu Israel, die tief in der Geschichte verwurzelt ist. Genau das macht die Frage nach einer möglichen Verhaftung in Deutschland so schwierig: Denn eine Festnahme Netanjahus könnte als schwerer diplomatischer Affront angesehen. Schließlich ist die Geschichte der Schoah (Holocaust) düster. Die Sicherheit Israels ist deshalb deutsche Staatsräson geworden.

Auch in anderen Ländern, die enge diplomatische Beziehungen zu Israel pflegen, ist die Entscheidung über eine Festnahme also nicht so einfach zu beantworten. Die Niederlande hat nach Bekanntgabe des Haftbefehls zugesichert, bei Bedarf zu "reagieren". Und Frankreich versicherte, dass die Entscheidung des IStGH im Einklang mit den Statuten stehe, wie "ynetnews" berichtete.

Netanjahus Büro aber prangerte den Haftbefehl als "antisemitische Entscheidungen" an. Sie sei von "voreingenommenen Richtern" worden, die "getrieben von antisemitischem Hass gegen Israel" seien.

Netanjahu ist nun gezwungen, seine Reisen weiter einzuschränken. Ohnehin ist er seit dem neuerlichen Ausbruch des Krieges nicht mehr häufig ins Ausland verreist. Zuletzt war er im September 2024 in den USA. Israels wichtigster Verbündeter ist jedoch kein Mitglied des Römischen Statuts. Die USA müssen die Haftbefehle also nicht vollstrecken.

Wofür ist das Weltgericht dann eigentlich da?

Dennoch ist der Internationale Strafgerichtshof und seine Entscheidungen von großer Bedeutung für die Weltordnung, wie der Friedens- und Konfliktforscher Thorsten Bonacker in einem früheren watson-Gespräch erklärte.

Denn diejenigen, die völkerrechtswidrig handeln, müsstten zur Rechenschaft gezogen werden. Ansonsten setze sich das Recht des Stärkeren durch – laut Bonacker das Gegenteil einer weltlichen Friedensordnung.

Und auch wenn Akteuren wie Netanjahu oder Wladimir Putin, gegen den ebenfalls ein Haftbefehl erlassen worden war, aktuell nichts passiert: Der Internationale Strafgerichtshof hat bisher zahlreiche Kriegsverbrecher verurteilt.

Unter anderem wurde der ehemalige Präsident Liberias, Charles Taylor, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 50 Jahren Haft verurteilt.

Präsident Omar al-Baschir (Mitte, Sudan) eröffnet 2009 inmitten seiner Anhängerschaft eine Brücke in Al-Jazerra.
Omar al-Baschir, ist ein ehemaliger sudanesischer Politiker und Diktator.Bild: imago / Xinhua

Manchmal dauert es wegen politischer Umstände nur etwas länger.

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