"Die Angeklagte hat sich (...) des Vergehens der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 219a StGB strafbar gemacht", heißt es im Urteil des Gießener Amtsgerichts vom November 2017. Die Angeklagte, Kristina Hänel, wurde zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro verurteilt. Gegen das Urteil hat sie Revision eingelegt. Denn sie wollte nicht straffällig werden. Sie wollte eigentlich nur ihren Job machen.
Kristina Hänel ist Allgemeinmedizinerin. Sie bietet Lungenfunktionsuntersuchungen, Blutegeltherapie und Schilddrüsenuntersuchungen an. Und Schwangerschaftsabbrüche. Das steht so auf ihrer Website. Und mit dieser Information landete sie nicht nur vor Gericht. Sondern auch in Talkshows, auf Podien, und sogar in der "New York Times". Denn was sie "Information" nennt, nennt das Gericht eben "unerlaubte Werbung".
Dabei geht es nicht nur um juristische Spitzfindigkeiten. Sondern um eine Debatte, die gerade so kreuz und quer durch Deutschland verläuft, wie lange keine mehr zuvor.
Bei dieser Debatte geht es um Sprache, um Körper, um Deutungshoheit und um Frauenrechte. Um Zellknoten, schützenswertes Leben, Recht auf Selbstbestimmung; Aufklärung und die Frage, was genau wir unter Freiheit verstehen. Und all diese Fragen entzünden sich an der Diskussion um eben jenen Paragrafen, der Kristina Hänel vor Gericht brachte, und gegen den sie sich entschlossen hat, zu kämpfen.
Der Paragraf 219a verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. "Werbung" wird hier allerdings weit begriffen, denn bereits die Information, dass ein solcher Eingriff in einer Praxis durchgeführt wird, war strafbar. Das hat sich nun mit dem Kompromiss der Bundesregierung geändert. Nun dürfen Ärztinnen und Ärzte zwar öffentlich über dieses Angebot informieren, aber immer noch nicht über die Methoden und welche davon sie anbieten.
Mit diesem Kompromiss gibt sich Kristina Hänel nicht zufrieden.
Paragraf 219a bleibt also höchst umstritten. Auch, weil Gesundheitsminister Jens Spahn 5 Millionen Euro in eine Studie investieren will, die über die psychischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs aufklären soll. Die Debatte geht also nicht nur weiter, sie nimmt sogar Fahrt auf. Sie wird begleitet von Petitionen, Demonstrationen und viel Aufregung in den sozialen Netzwerken. Die Frage, wie Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchgeführt werden, ist in der Zivilgesellschaft angekommen.
Kristina Hänel hat in dieser Diskussion eine Ausnahmestellung. Und wie das so ist mit Ausnahmestellungen, man nimmt sie sich selten selbst, sie fallen einem zu. Weil man die richtige Person zur richtigen Zeit ist. Einer Debatte ein Gesicht gibt, die auf der einen Seite abstrakt, auf der anderen Seite urpersönlich ist. Dass das Politische persönlich ist, weiß Hänel. Sie hat schon viele Kämpfe geschlagen. Sie engagiert sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte. Schon Anfang der 80er hat sie einen Verein gegen den sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen gegründet, die juristische Auseinandersetzung wegen Paragraf 219a begann vor zehn Jahren.
Aber Hänel ist eben auch zweifache Mutter, sie hat fünf Enkelkinder. Sie weiß, wie es sich anfühlt, ein Kind zu wollen. Das macht es Gegnern schwierig, sich ihr gegenüber als "Lebenschützer" abzusetzen. Sie sagt von sich selbst, Lebensschützerin zu sein. Eine Lebensschützerin, die sich für das Recht auf freie Wahl stark macht. In Talkshows erklärt Hänel dies alles ruhig und sachlich. Das macht sie zu einer idealen Person für die Vereinnahmung von Abtreibungsbefürwortern, und zu einem schwierigen Feindbild für Abtreibungsgegner.
Einige von denen sitzen zuweilen betend vor Hänels Praxis. Oder schreiben ihr E-Mails, in denen sie ihr mit dem Foltertod drohen. "Ich habe lange in der Psychiatrie gearbeitet, ich weiß, wozu wahnhafte Menschen in der Lage sind," sagte sie in einem Interview dazu. Aber sie macht weiter. Auf Twitter folgen ihr knapp 10.000 User, Parteien verleihen ihr Preise für ihr Engagement, Mitte März erscheint ihr Buch "Das Politische ist persönlich: Tagebuch einer »Abtreibungsärztin«". Kristina Hänel möchte längst nicht mehr nur ihren Job machen. Sie möchte das Abtreibungsrecht ändern. "Das Stillhalten ist jetzt vorbei. Ich breche das Schweigen, ich breche das Tabu", schrieb sie am 18. Oktober 2017 in ihr Tagebuch. Sie tut es für die Frauen, sagt sie.
"Eine muss es ja machen."