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Alerta Alerta Antifacista! Warum die Mitte ein Problem mit diesem Ruf hat

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"Alerta, Alerta, Antifascista!" Warum Teile der Mitte ein Problem mit diesem Ruf haben

04.09.2018, 17:3804.09.2018, 19:59
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Erst rufen den Streit-Slogan nur wenige – und Sänger Monchi von Feine Sahne Fischfilet geht nicht darauf ein. Am Montag in Chemnitz. Als 65.000 aus ganz Deutschland das #wirsindmehr-Konzert gegen Rechtsextremismus besuchen. Stattdessen redet Monchi über das Opfer der Messerattacke von Chemnitz, und wie Rechte es zu instrumentalisieren versuchen. Leute klatschen, im Chor singen sie jetzt "Nazis Raus". Darauf können sich vermutlich fast alle in Deutschland einigen.

So auch gestern in Chemnitz:

Aber es dauert nicht lange, da rufen sie den Streit-Slogan wieder. Diesmal ist der eingängige Wechselgesang lauter. Das passiert noch etliche Male und im Laufe des Abends wächst eine alte Losung antifaschistischer Demo-Züge zum lauten Festival-Gesang heran. Zehntausende singen:

"Alerta! Alerta! Antifascista!"

Hier ein Beispiel:

Und damit haben jetzt vor allem Menschen aus der Mitte und dem konservativen Spektrum ein Problem. Sie weisen den Alerta-Slogan der links autonomen Szene zu. Und mit der wollen sie nichts zu tun haben, auch wenn beide gegen Rechts stehen:

Es lohnt sich also, besagtes "Alerta, Alerta" genauer unter die Lupe zu nehmen:

Woher kommt die Losung?

Die Übersetzung ist augenscheinlich: "Alarm, Alarm, Antifaschistinnen und Antifaschisten!" – das Motto kommt aus dem Italien der 20er Jahre. Die Gegner des stärker werdenden Faschismus' kämpfen damals gegen dessen Diktator Benito Mussolini.

Der Autor und frühere ZDF-Journalist Holger Kulick beschreibt in seinem Buch "Mut-ABC für Zivilcourage", wie daraufhin auch in Deutschland die "Antifaschistische Aktion" Fahrt aufnimmt. Man könnte sagen, die erste Antifas kämpfen gegen den 1923 aufstrebenden Nationalsozialismus. 

Die Losung lässt sich von daher kaum trennen von der Entwicklung des Antifaschismus' als solchem.

  • Ursprünglich entstand der vor allem in kommunistischen und dann auch in sozialistischen Organisationen.
  • Später, nach der Machtergreifung der Nazis, übertrug er sich auch auf diverse andere Widerstandsgruppen.

In der DDR wird der Antifaschismus später als "kommunistische Faschismustheorie" zur Staats-Lehre erhoben.

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler schreibt:

Er "entpuppte sich als eine Variante der marxistischen Kapitalismustheorie insofern, als sie den italienischen Faschismus, den deutschen Nationalssozialismus und ihre Verwandten als einen einheitlichen politischen Regimetypus verstand."
Deutsche GEsellschaftsgeschichte 1949-1990

Damals verbindet die Ideologie der DDR den Begriff Antifaschismus direkt mit einer Kritik am Kapitalismus. Das ist für die aktuelle Lage wichtig: Auch heute spielt es eine Rolle, dass sowohl Kritiker als auch Unterstützer dem Begriff mehr zuschreiben, als nur den Kampf gegen Rechts.

Das Problem mit "der" Antifa

In Westdeutschland ist es vor allem die Antifa, die den Begriff besetzt.

Verschiedenste Gruppen entstehen aus der Hausbetzer und Autonomen-Szene im Westen Deutschlands. Auch im Osten organisieren sich Ende der 80er die ersten Antifa-Kollektive.

Von da ausgehend, entwickelt sich die Antifa allerdings nicht in einer, sondern in zahlreichen Gruppen unterschiedlicher Ausrichtung weiter.

Im Grunde wäre es deshalb sinnvoller, von den Antifas im Plural zu sprechen.

Die Ziele der Aktivisten sind ähnlich:

  • Der Kampf gegen Organisationen, Gruppen und Parteien, die sie dem rechtsextremen Lager zuordnen.
  • Aufklärung, Recherche und Demonstrationen gegen diese Gruppen und deren Orte, Traditionen und Plattformen.

Aber es gibt auch große Unterschiede:

In der Nahost-Frage, also der Haltung zu Israel, ist die Szene gespalten.

  • Auch ist man uneins darüber, ob Gewalt ein legitimes Mittel im Kampf gegen Rechts sein darf, und ob Demonstrationstaktiken wie der "Schwarze Block" zulässig sein sollten.
  • Die unterschiedliche Gruppen verbinden außerdem verschiedene Themenfelder mit dem Kampf gegen Rechts: Etwa ihr Verhältnis zum Kapitalismus – oder der parlamentarischen Demokratie selbst.

Im aktuellen Fall entsteht deshalb Streit:

Wegen gewaltbereiter Strömungen und der historisch gewachsenen Links-Schlagseite gibt es Misstrauen gegen die Antifa und ihre Losung. Gerade bürgerliche Gruppen wollen sich nicht mit linken und teils linksextremen Positionen gemein machen.

Spricht man mit Vertretern der Konservativen und der liberalen Mitte in Deutschland, ist dies ein oft genanntes Argument. 

Die Chefin der Jungliberalen Ria Schröder etwa sagte watson:

"Wir als FDP und JuLis stehen in der Mitte und sagen: 'Jeder Extremist ist Mist' – das bedeutet nicht, dass wir Links- und Rechtsextremisten gleichsetzen. Wir verurteilen sie allerdings gleichermaßen, genauso wie religiöse Extremisten. Alles drei richtet sich häufig gegen Menschen. Und weil wir das verurteilen , fühlen sich Mitglieder linker Parteien oft von uns angegriffen."

Von linker Seite wiederum gibt es dieser Tage viel Unverständnis für diese Einstellung. Konservative und Mitte-Parteien beteiligten sich nicht genug an den aktuellen Demonstrationen von "Demokraten" gegen Rechte, heißt es dann.

Dies kritisierte etwa die bayerische Spitzenkandidatin der Grünen Katharina Schulze:

Ein Ruf, zwei Lesarten

Es gibt somit zwei unterschiedliche Deutungsweisen von "Alerta! Alerta! Antifascista!"

  1. Der Slogan gehört nur dem "Kampf gegen Rechts" und verkörpert den Widerstand von Demokraten gegen die Ereignisse von Chemnitz.
  2. Der Slogan verkörpert auf Grundlage seiner historischen Entwicklung immer auch linke, manchmal sogar linksextreme politische Positionen.

Wer zu ersterem hält, versteht die Zögerlichkeit der bürgerlichen Mitte im Kampf gegen Nazis nicht. Anhänger von Punkt Zwei befürchten politisch motivierte Gewalt von Links- und von Rechts. Sie lehnen beides ab, selbst wenn sie bei "Nazis raus" vielleicht mitsingen würden. 

Es könnte natürlich auch ein Tor 3 geben: Wenn sich Begriffe historisch entwickeln, dann können sie sich historisch auch weiterentwickeln. Vielleicht ist genau das bei den 65.000 Menschen am Montag in Chemnitz passiert.

Positiv formuliert: Am Montag könnte ein durchaus linker Demobegriff schlicht in die liberalbürgerliche Mitte tausender gerückt sein.

65.000 Menschen zeigen in Chemnitz: #WirSindMehr:

Video: watson/Felix Huesmann, Marius Notter, Lia Haubner

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