Erst rufen den Streit-Slogan nur wenige – und Sänger Monchi von Feine Sahne Fischfilet geht nicht darauf ein. Am Montag in Chemnitz. Als 65.000 aus ganz Deutschland das #wirsindmehr-Konzert gegen Rechtsextremismus besuchen. Stattdessen redet Monchi über das Opfer der Messerattacke von Chemnitz, und wie Rechte es zu instrumentalisieren versuchen. Leute klatschen, im Chor singen sie jetzt "Nazis Raus". Darauf können sich vermutlich fast alle in Deutschland einigen.
Aber es dauert nicht lange, da rufen sie den Streit-Slogan wieder. Diesmal ist der eingängige Wechselgesang lauter. Das passiert noch etliche Male und im Laufe des Abends wächst eine alte Losung antifaschistischer Demo-Züge zum lauten Festival-Gesang heran. Zehntausende singen:
Und damit haben jetzt vor allem Menschen aus der Mitte und dem konservativen Spektrum ein Problem. Sie weisen den Alerta-Slogan der links autonomen Szene zu. Und mit der wollen sie nichts zu tun haben, auch wenn beide gegen Rechts stehen:
Es lohnt sich also, besagtes "Alerta, Alerta" genauer unter die Lupe zu nehmen:
Die Übersetzung ist augenscheinlich: "Alarm, Alarm, Antifaschistinnen und Antifaschisten!" – das Motto kommt aus dem Italien der 20er Jahre. Die Gegner des stärker werdenden Faschismus' kämpfen damals gegen dessen Diktator Benito Mussolini.
Der Autor und frühere ZDF-Journalist Holger Kulick beschreibt in seinem Buch "Mut-ABC für Zivilcourage", wie daraufhin auch in Deutschland die "Antifaschistische Aktion" Fahrt aufnimmt. Man könnte sagen, die erste Antifas kämpfen gegen den 1923 aufstrebenden Nationalsozialismus.
Die Losung lässt sich von daher kaum trennen von der Entwicklung des Antifaschismus' als solchem.
In der DDR wird der Antifaschismus später als "kommunistische Faschismustheorie" zur Staats-Lehre erhoben.
Damals verbindet die Ideologie der DDR den Begriff Antifaschismus direkt mit einer Kritik am Kapitalismus. Das ist für die aktuelle Lage wichtig: Auch heute spielt es eine Rolle, dass sowohl Kritiker als auch Unterstützer dem Begriff mehr zuschreiben, als nur den Kampf gegen Rechts.
In Westdeutschland ist es vor allem die Antifa, die den Begriff besetzt.
Verschiedenste Gruppen entstehen aus der Hausbetzer und Autonomen-Szene im Westen Deutschlands. Auch im Osten organisieren sich Ende der 80er die ersten Antifa-Kollektive.
Von da ausgehend, entwickelt sich die Antifa allerdings nicht in einer, sondern in zahlreichen Gruppen unterschiedlicher Ausrichtung weiter.
Die Ziele der Aktivisten sind ähnlich:
Aber es gibt auch große Unterschiede:
Wegen gewaltbereiter Strömungen und der historisch gewachsenen Links-Schlagseite gibt es Misstrauen gegen die Antifa und ihre Losung. Gerade bürgerliche Gruppen wollen sich nicht mit linken und teils linksextremen Positionen gemein machen.
Spricht man mit Vertretern der Konservativen und der liberalen Mitte in Deutschland, ist dies ein oft genanntes Argument.
Von linker Seite wiederum gibt es dieser Tage viel Unverständnis für diese Einstellung. Konservative und Mitte-Parteien beteiligten sich nicht genug an den aktuellen Demonstrationen von "Demokraten" gegen Rechte, heißt es dann.
Es gibt somit zwei unterschiedliche Deutungsweisen von "Alerta! Alerta! Antifascista!"
Wer zu ersterem hält, versteht die Zögerlichkeit der bürgerlichen Mitte im Kampf gegen Nazis nicht. Anhänger von Punkt Zwei befürchten politisch motivierte Gewalt von Links- und von Rechts. Sie lehnen beides ab, selbst wenn sie bei "Nazis raus" vielleicht mitsingen würden.
Es könnte natürlich auch ein Tor 3 geben: Wenn sich Begriffe historisch entwickeln, dann können sie sich historisch auch weiterentwickeln. Vielleicht ist genau das bei den 65.000 Menschen am Montag in Chemnitz passiert.
Positiv formuliert: Am Montag könnte ein durchaus linker Demobegriff schlicht in die liberalbürgerliche Mitte tausender gerückt sein.