Unfassbar. Da wird eine 20-Jährige morgens in der Innenstadt fast vergewaltigt und eine Gruppe Männer steht auf der anderen Straßenseite und schaut weg. In Bielefeld ist genau das passiert. Gott sei Dank endete dann doch noch alles glimpflich – und nur, weil zwei weibliche Azubis aus NRW Zivilcourage bewiesen.
Karolina Smaga und Linda Cariglia kennen sich aus der Berufsschule und sind vergangenes Wochenende zusammen in der Innenstadt von Bielefeld feiern. Gegen 6 Uhr morgens machen sie sich am Sonntag zusammen auf den Weg zum S-Bahnhof, alleine würden die Frauen in letzter Zeit nur noch ungerne nach Hause fahren.
"Ich würde nie sagen, man solle Zuhause bleiben, aber man muss aufpassen", so die 20-Jährige weiter. Dass sie damit Recht hat, zeigt sich an der Bahnunterführung. Die zwei Freundinnen hören Geräusche in einem Gebüsch, denken zuerst an einvernehmlichen Sex. "Wir dachten, da hat jemand Spaß", sagt Linda.
Doch bei genauerem Hinschauen kommt ihnen die Szene komisch vor: Ein Mann liegt auf einer Frau. Sie ist etwa 20 Jahre, weint und wehrt sich. Als die Frauen sie fragen, ob sie das alles will, ruft sie "Nein!", doch der Mann – laut Westfälischer Zeitung ein 25-Jähriger – hält ihr den Mund zu und behauptet, das sei alles nur Spaß.
Sie selbst habe sofort die Polizei angerufen. "Deshalb ist der Täter dann zu mir und hat mir das Handy aus der Hand geschlagen." Zu spät für ihn. Die Beamten haben bereits den Standort und auch das Handgemenge im Hintergrund gehört. "Also lief er los."
Linda bleibt mit dem verschreckten Opfer am Tatort zurück. Doch Karolina wetzt hinter dem Täter her. Sie will nicht nur die Vergewaltigung verhindern, sie will auch, dass der Kerl geschnappt wird. "Die war richtig wütend", so Linda.
Über einen Parkplatz und eine Mauer folgt die 21-Jährige dem Kriminellen, der sich ein Fahrrad schnappt und aufsitzt. "Dann hat sie seinen Gepäckträger festgehalten und ihn so runtergerissen", sagt Linda. Eine gefährliche Aktion! Denn was keiner weiß: Der Mann hat ein Messer – und das zückt er jetzt. Er fuchtelt damit durch die Luft und erwischt Karolina an der Hand. Mit einem Schnitt am Finger lässt erschrocken sie von ihm ab.
Doch durch die ganze Aktion hatten die Frauen viel Zeit gewonnen, die Polizei ist schon in der Nähe. In Minuten greifen sie den Täter auf, stecken ihn in Untersuchungshaft.
Auch deshalb ist sie froh, dass sie eingegriffen hat. Ihre Oma habe zwar vor Schreck geweint, als sie das Drama hörte und Karolinas Mama war sogar kurz wütend, "aber eigentlich sind sie alle stolz", so Linda. Die Polizei habe sich mit einem Brief bedankt, außerdem sind die Frauen nun in der Bürgerstiftung "Bielefeld couragiert".
Dass ihr Eingreifen nicht selbstverständlich ist, haben die beiden aber leider auch erlebt. Denn, so Linda, der Tatort war keine stille Ecke. "Hundert Meter weiter sind viele Bars." Auch während der versuchten Vergewaltigung waren Leute anwesend.
Eine Gruppe von 3-5 Männern hätte ganz nah rumgestanden. Haben die denn nicht von sich aus eingegriffen? "Nein", sagt die 20-Jährige. "Wir haben sogar ,Hilfe' gerufen und ,Stoppt den Vergewaltiger'." Hat sich die Gruppe daraufhin bewegt? "Auch nicht", sagt sie. "Ziemlich bitter."
Dass ihnen selbst etwas hätte passieren können, sei ihr erst im Nachhinein klar geworden, ändere aber nichts. Für sie und Karolina ist es simpel: "Wir hätten mit dem schlechten Gewissen nicht leben wollen, wenn DOCH etwas passiert wäre..."