"Unser Land geht verloren" – junge Musiker sprechen über den Rechtsruck in Polen
12.08.2018, 19:5113.08.2018, 14:44
Dominik Sliskovic
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In Polen rumort es seit Monaten. Vergangenen November marschierten Zehntausende Menschen am Nationalfeiertag durch Polen, angeführt von der radikalen Splitterpartei "Nationale Bewegung". Die Masse zeigte Banner mit Aufschriften wie "Reines Blut, nüchterner Geist", "Europa wird weiß sein – oder entvölkert". Die nationalkonservative Regierungspartei PiS lobte die Kundgebung als "patriotisch" und "schönen Anblick". ("Welt")
Nationalistische Kräfte zeigen Präsenz in den Straßen WarschausBild: imago
Kurz darauf stolperte Ministerpräsidentin Beata Szydlo über einen Justizskandal: Sie hatte ihr politisch zugewandte Verfassungsrichter eingestellt – obwohl auf den für sie vorgesehenen Plätzen noch rechtmäßig ernannte Juristen saßen. Ihr Nachfolger Mateusz Morawiecki machte mit Szydlos Agenda einfach weiter und ließ mit Hilfe einer Justizreform hunderte regierungskritische Richter drangsalieren – oder direkt fristlos kündigen. ("FAZ"/"Süddeutsche")
"Wir haben alle möglichen Proteste momentan in Polen", sagt Łukasz Rozmysłowski. Er formt mit Katarzyna Kowalczyk das polnische Elektro-Pop-Duo Coals. Ihr Debütalbum "Tamagotchi" erschien 2017, wurde in amerikanischen Radios gespielt, britischen Zeitungen besprochen und auch in Deutschland von Fachpresse und Konzertbesuchern gefeiert.
Gerade haben Coals ihren Auftritt beim OFF Festival in ihrer Heimatstadt Katowice beendet und sitzen erschöpft an einer Biergartengarnitur. Eigentlich möchten Łukasz und Katarzyna nicht so gerne über Politik – und vor allem nicht über den Rechtsruck in ihrem Heimatland – sprechen. Doch ihnen wird im Laufe des Gesprächs bewusst, dass der politische Wandel auch ihre Existenz und das OFF Festival gefährden könnte. "Die Regierung kürzt die Kulturförderung immer mehr", sagt Katarzyna. Sie lehnt sich weit nach vorne und flüstert beinahe, als befürchte sie, für ihre Aussage denunziert zu werden. Łukasz atmet tief ein, nimmt seinen Mut zusammen und sagt:
"Wir als Künstler haben nicht die Kraft, die faschistischen Tendenzen in Polen zu bekämpfen. Für Rechtsextreme ist Kunst nur irgendeine Scheiße von homosexuellen Freaks. Es ist nicht die Kunst, die reagieren muss, sondern die Regierung. Sie muss rechtsradikale Kundgebungen verbieten. Sie zeigen faschistische Abzeichen und rufen Parolen wie "Gott, Ehre, Volk". Das sind Neonazis! Das Problem ist, dass unsere Regierung rechts ist, sie schützen diese Leute, die sich auf den Straßen versammeln. Das ist der Grund, warum ich Politik hasse. Es macht mich wütend, an diese Leute, die Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder Sexualität, zu denken.
Łukasz und Katarzyna wirken nicht nur, sondern sind machtlos. "Wir interessieren uns ja wirklich für die Proteste", sagt die 24-jährige Sängerin, aber Politik in ihrer Musik thematisieren? Nein, das sei ihr ein zu heißes Eisen.
"Ich fühle mich schuldig, dass ich nicht auf die Straße gehe und protestiere."
Łukasz Rozmysłowski
Wenn es schon für eine international gefragte Band schwer ist, über den politischen Alltag in ihrer Heimat zu sprechen, wie ist es dann erst, wenn man Künstler mit dem Thema konfrontiert, die sich vollkommen auf den polnischen Markt konzentrieren?
Sonbird sind vier Typen zwischen 23 und 25. Sie machen englisch klingenden Indie-Rock, der super im Freibad und Abifeten ankommen dürfte. Vom in Warschau ausgetragenen Kulturkrieg um die Zukunft der polnischen Kultur und Sprache scheinen sie jedoch als Band, die in ihrer Muttersprache singt, noch nie etwas gehört zu haben. "Wir wollen uns nicht in Politik und Weltanschauungen einmischen", lässt die Band durch ihren Dolmetscher wissen.
"Wir wollen nicht als eine Art Volkstribum verstanden werden und vermeiden deswegen jedwedes auch nur im Ansatz politisch aufgeladenes Thema."
Sonbird
Wie heikel das große Thema Politik für junge Polen mit Karriereaussichten ist, wird auch daran bemerkbar, dass sich ihr hemdsärmeliger Manager direkt im Nacken der Band positioniert hat und sich immer wieder in die Beantwortung von Fragen einmischt. Der Dolmetscher stellt zwischenzeitlich mehr Fragen als der Interviewer, die Situation erinnert an Bill Murrays Whiskey-Werbedreh in "Lost In Translation".
Hat die Band das Gefühl, ihre Heimat Polen diplomatisch stellvertreten zu müssen in diesem Gespräch? Finden sie den aggressiven zur Schau getragenen Nationalismus in den Straßen Warschaus nicht beängstigend? Wieder stecken Sonbird die Köpfe zusammen, wieder grätscht der Manager immer wieder dazwischen, wenn sie dem Dolmetscher zu diktieren beginnen. Die Antwort zieht sich über Minuten. Schließlich sagt der Dolmetscher: "Wir sind stolz darauf, Polen zu sein. Wir sind aber auf keinen Fall Nationalisten. Wir hätten dieselbe Heimatverbundenheit, würden wir etwa aus Griechenland stammen."
Asia kann über solche Aussagen nur schmunzeln. Die 28-jährige tritt als Asia i Koty auf und macht größtenteils englischsprachigen Lo-Fi-Singer/Songwriter-Pop. Sie sieht die Musik längst nur noch als Hobby. Eigentlich habe sie von Anfang an keine allzu großen Hoffnungen gehabt, mit ihrer Musik Karriere zu machen, das sei auch der Grund, warum sie sich für die polnische Version ihres als "Asia And The Cats" zu übersetzenden Projektnamen entschieden habe.
"Es ist sehr schwierig, sich in Polen als alternativ zu positionieren."
Die Musikerin haben insbesondere die Demonstrationen gegen die Verschärfung des ohnehin schon restriktivsten Abtreibungsgesetztes Europas in Polen beeindruckt. Der Gesetzesvorstoß des ultrakonservativen Bündnisses "Stoppt Abtreibung" Abtreibungen selbst bei Vergewaltigungen oder Inzest unter Strafe zu stellen. Der Europarat sah darin einen Widerspruch zu den Menschenrechtskonventionen der EU und verwarnte Polen. In Warschau gingen 55.000 Menschen gegen das Abtreibungsverbot auf die Straßen, unterstützt von über 200 Menschenrechtsorganisationen. ("Zeit")
"Mein Körper, meine Wahl": Jung und alt protestieren gegen das Abtreibungsverbot in PolenBild: AP
"Ich konnte leider nicht zur Hauptdemonstration, weil ich gerade erst selbst Mutter geworden bin und mit meinem Neugeborenen noch nicht aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Ich beobachtete die Massen aus dem Fenster. Sie haben ein mächtiges Zeichen hinterlassen. Es war wunderschön zu sehen, dass eine solche Mobilisierung möglich ist."
Asia i Koty
Die Mobilisierung war in dieser Form vor allem aufgrund des jungen Polens unter 30 möglich. Asia versucht zu erklären, wieso es gerade diese Generationen sind, die sich jetzt auf die Straße trauen:
"Die Millenials manifestieren durch die Demonstrationen ihre Daseinsberechtigung in der polnischen Gesellschaft. Sie wollen nicht das verlieren, was sie bereits haben: Die Europäische Union, die Reisefreiheit. Diese Generation kennt das kommunistische Polen nicht mehr, sie ist das europäische Polen gewohnt und will es verteidigen. Viele Protestler befürchten nämlich, dass es uns durch die angestrebten politischen Veränderungen verloren gehen wird."
Asia i Koty
Auch wenn die Lage momentan in und für Polen misslich ist, die EU ein Verfahren ausgelöst hat, dass die Rechtsstaatlichkeit Polens prüfen soll ("ec.europa.eu"): Asia zeigt sich optimistisch. Und sie hat guten Grund dazu. Denn obwohl die polnische Wirtschaft unter der nationalkonservativen PiS-Partei boomt, fielen die Umfragewerte für die Partei von Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski in diesem Jahr bereits um 12% auf nur noch 28%. Donald Tusks liberal-konservative Oppositionspartner atmet der Regierungspartei mit 22 Prozentpunkten im Stimmungsbarometer bereits ordentlich in den Nacken. ("Zeit")
Tausende Polen marschierten im Kampf gegen den Rechtsruck zum Warschauer PräsidentenpalastBild: reuters
Es sind spannende Zeiten für Polen, so viel ist nach den Gesprächen beim OFF Festival klar. Die Frage für die nahe Zukunft wird sein, ob die Protestbewegungen auch die bisher Stummgebliebenen wie Sonbird oder auch Coals für sich gewinnen werden kann. Das junge, liberale Polen wird noch einen langen Atem brauchen im Kampf gegen rechtskonservative Eliten und faschistische Agitatoren.
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