Ich gebe zu, ich habe Twitter nie verstanden. Also, natürlich habe ich Twitter kapiert, aber eben nie verstanden. Das Gute daran: Ich bin nicht allein. Horst Seehofer offensichtlich auch nicht.
Aber von Anfang an.
In der Sommerpause hatte Seehofer angekündigt, noch im August twittern zu wollen. Die veröffentlichte Meinung gefiel ihm nicht, also würde er direkt und unmittelbar seine Meinung veröffentlichen. So der frotzige Plan. Daraus wurde bekanntlich nichts. Der August hieß schon September und Seehofer twitterte noch immer nicht. Aus dem Ministerium war dann zu hören, der Minister sei mit der Ankündigung ein bisschen flott gewesen. Auch Parteikollegen rieten ihm ab.
Das Innenministerium fing seinen sendungsbewussten Minister schließlich dadurch ein, dass es ihn ein bisschen mittwittern ließ – über den offiziellen Account des Ministeriums. Am 11. September ging Seehofer on air. Er nutze das Kürzel (HS). Die Welt war ein Stück sicherer.
Doch: All jene, die einen krawalligen Seehofer erwartet hatten, wurden enttäuscht. Seehofer wirkte eher wie der kamerascheue Kommissars der Dienstelle Bremen Vegesack, der in nebensatzbefreitem Beamtendeutsch bei Aktenzeichen XY darüber spricht, dass der Täter die Leiche "fachmännisch zerlegt" habe. Aber immerhin hatte Seehofer sein Versprechen eingelöst. Er twitterte. Ein bisschen zumindest.
Fast zeitgleich poppte aber ein anderer Account auf. Ein zweiter Seehofer. DER Seehofer. Ein offiziell verifizierter Account, der seither nur darauf wartet, knackige 140-Zeichen-Prosa in die Welt zu schicken.
Nada. Pustekuchen. der_Seehofer liegt seit Wochen einfach da. Schief im Raum. Schräg in der Zeit. Grinsend. Still und geduldig. Ein großer Seehofer hält dort die Hände über einen kleinen. Und verkündet: „@der_Seehofer hat noch nichts getwittert.“ Seht her, ich könnte. Jederzeit. Muss aber nicht.
Das wars. Dieser verschmitzte Phantomaccount hat etwas Drohendes und Beruhigendes zugleich. Ein Sinusdauerton in Moll. Und vielleicht ist das genau der Plan. Seehofers Version davon, Twitter durch inszenierte Abwesenheit zu einem besseren Ort zu machen. Was ein Statement. Der Schlingel.
Im Grunde macht er nichts und damit alles richtig: Und so warten mittlerweile 6877 Follower nur darauf, dass Horst S. ein virtuelles Lebenszeichen aussendet. Jeden Tag werden es mehr. Sie warten, bis weißer Rauch aufsteigt. So geht Spannungsbogen.
Ein watson-Kollege, der hier namentlich nicht genannt werden will (wir nennen ihn einfach mal Bene N.), hat es so formuliert: "Seehofer ist wie der Typ, der sich am ersten Januar im Fitnessstudio anmeldet – und dann nie hingeht."
Ein anderer Kollege hält das Nichts akribisch fest.
Aber: Ist das noch Strategie oder schon eine Art Vorruf auf das, was ist, wenn er nicht mehr ist. In der Politik natürlich. Ist das so eine Art Installation? Am Ende etwa Kunst? Ein Edvard Munch – nur ohne Schrei?
Ich frage in der Social-Media-Redaktion des Innenministeriums nach: Ist der Account echt, will ich wissen. Also @der_Seehofer.
Die Antwort: "Das BMI hat damit nichts zu tun."
Horst Seehofer bringe sich mit dem HS-Kürzel ein. Alles darüber hinaus liege bei der CSU in Bayern. "Wir befüllen den nicht."
Stimmt. Offensichtlich tut das niemand.
Ich frage schriftlich nach. Antwort bekomme ich seitens der CSU nicht.
Wohl auch, weil sie dort gerade mit anderen Dingen beschäftigt sind. Horst Seehofer hat seinen Rückzug vom Parteivorsitz bekannt geben. Spätestens am 19 Januar wird auch Bewegung in den Account kommen. Zumindest, um im Twitterprofil die Berufsbezeichnung "CSU-Parteivorsitzender" zu aktualisieren.