Zum Abschluss des Gipfels am Freitagnachmittag war Angela Merkel mehr als nur gelassen. "Die Kanzlerin nimmt erst mal einen Schluck Wasser", sagte sie an diesem heißen Tag in Brüssel und lobte dann die Beschlüsse zur Asylpolitik. "Sehr viel mehr Ordnung und Steuerung", sei erreicht worden, sagte Merkel und sprach von "arbeitsreichen Stunden".
Die ganze Nacht wurde im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs mit Italiens Premier Giuseppe Conte über einen Kompromiss in der Asylpolitik verhandelt. Der hatte gedroht, sämtliche Gipfelbeschlüsse zu blockieren. Um kurz nach halb fünf Uhr in der Früh verkündete Ratspräsident Donald Tusk die Einigung.
Reicht das für Merkel vor den entscheidenden Gesprächen am Sonntag?
Vier Seiten des Abschlussdokuments befassen sich mit der Migration. Und die haben es in sich. Die EU vollzieht eine Wende in ihrer Asylpolitik. Die Details:
Der italienische Premier Giuseppe Conte hatte in Brüssel beklagt, dass aus Seenot gerettete Flüchtlinge überwiegend in seinem Land landen. Er wollte eine Reform, sonst drohe die Blockade der Gipfelbeschlüsse.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vermittelte.
Das Ergebnis: Auf freiwilliger Basis sollen auch in anderen EU-Staaten geschlossene Asylzentren entstehen, abgelehnte Asylbewerber werden von dort direkt abgeschoben. Anerkannte Asylbewerber sollen auf die EU-Staaten verteilt werden, ebenfalls auf freiwilliger Basis.
Das leise Aus für die von Merkel favorisierte Quote.
Und ein leichtes Plus für Innenminister Horst Seehofer, Europa bekommt die von ihm favorisierten Ankerzentren.
Die EU will "rasch ein Konzept erforschen" zu Flüchtlingszentren in Afrika. "Ausschiffungszentren" lautet der sperrige Titel im EU-Papier. Auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR soll eingebunden werden. Denn rechtlich sind Asylzentren außerhalb der EU schwierig. Wer entscheidet über die Asylverfahren? Wo kann gegen eine Ablehnung geklagt werden?
Viele offene Rechtsfragen. Aber eine weitere Wende. Auch Angela Merkel hatte solche Zentren bisher eher kritisch gesehen. Die EU lasse "jegliches Mitgefühl vermissen", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Ska Keller, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, sagte watson.de: "Es ist das eine, europäische Werte morgens im Bundestag zu beschwören, und das andere, sie abends in Brüssel verraten."
Außerdem wurde beschlossen:
"Die Mitgliedstaaten sollten alle rechtlichen und behördlichen Mittel ergreifen, um solche Bewegungen von Flüchtlingen einzuschränken und eng miteinander zusammenarbeiten“, heißt es im Abschlusspapier. Sprich, Rückführungen von Flüchtlingen, die während des Asylverfahrens von einem EU-Land in ein anderes wechseln.
Ein Satz für Horst Seehofer.
Er kann darin sogar die Ermutigung zu Grenzkontrollen erkennen.
Dazu mochte sich die Kanzlerin am Freitagmorgen zunächst nicht äußern. Aber heimlich hatte der Gipfel in der Nacht einen Rettungsschirm für Merkel aufgespannt. Frankreich und Spanien zeigten sich zu bilateralen Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen bereit. Selbst Griechenlands Premier Alexis Tsipras, dem Merkel in der Euro-Krise zugesetzt hatte, sagte ein Abkommen zu.
So wurde der Gipfel eine europäische Solidaritätsadresse für die Kanzlerin. Europa mag das Deutschland von Angela Merkel mehr als das von Horst Seehofer.
„Wenn der Chef des Rudels attackiert wird, bekommt er Hilfe“, sagte ein EU-Diplomat in der Nacht.
Die EU-Staats- und Regierungschefs kamen Merkel also bei den bilateralen Abkommen entgegen. Und die gestand mit Blick auf innenpolitische Debatte daheim auch ein:
Die Gipfelergebnisse enthalten mehr für Angela Merkel als vorher zu erwarten war. EU-Kommissar Günther Oettinger sprach von einem "echten Durchbruch". Merkel, die Vorsichtige, schränkte schon mal ein: "Obwohl wir viel zu tun haben werden, um die verschiedenen Sichtweisen zu überbrücken."
Denn im EU-Paket finden sich viele vage Versprechungen. Dennoch kamen aus der CSU schon mal leichte Entspannungssignale. "Es ist ein positives Signal, dass sich in Europa etwas bewegt in die richtige Richtung", sagte der CSU-Bundestagsabgeodnete Hans Michelbach.
Die Kanzlerin befand nach Abschluss des Gipfels:
Wirkungsgleich zu Grenzkontrollen müssten die EU-Maßnahmen sein, hatte Seehofer gefordert. Merkels Urteil zu den Ergebnissen von Brüssel:
Bilanz: Merkel hat in der Flüchtlingspolitik den Kurs geändert. Europa kam ihr entgegen. Auch die CSU kann jubeln, dass sich auf ihren Druck hin etwas bewegt. Eigentlich günstige Zeichen für den Sonntag. Wenn es der CSU um Inhalte geht und nicht um Personen.