Es sollte rasch gehen. Russland wollte innerhalb von wenigen Tagen Kiew einnehmen, doch aus Tagen wurden Jahre – und jetzt ist der Krieg auch auf russischem Boden angekommen.
Seit mehr als zwei Jahren wehrt die Ukraine die russische Invasion ab. Jetzt drehen die ukrainischen Truppen den Spieß um und gehen zum Angriff über. Seit 6. August führt die Ukraine eine Offensive in der Region Kursk durch – mit Erfolg.
Der Oberkommandierende der Streitkräfte, Olexander Syrskyj, verkündet, seit Beginn der Offensive habe das ukrainische Militär 82 Orte und 1150 Quadratkilometer Territorium unter seine Kontrolle gebracht. Die Ukraine meldet nun die Einrichtung einer Militärkommandantur. Eine herbe Klatsche für Kreml-Chef Wladimir Putin.
Die Angaben der Ukraine lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen. Viele Informationen um die Offensive sind noch unklar; Expert:innen spekulieren über die Ziele des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Auch in der Ukraine tappt man im Dunkeln.
"Die Offensive in der Region Kursk kam für alle überraschend", sagt die ukrainische Journalistin Oksana Brovko auf watson-Anfrage. Sie ist zudem Geschäftsführerin der "Association of Independent Regional Publishers of Ukraine" (AIRPPU).
Die ukrainischen Behörden und der Generalstab haben sich laut ihr zu dieser Operation in Schweigen gehüllt. "Erst vor kurzem bestätigte Präsident Selenskyj die Offensive, allerdings noch ohne Einzelheiten. Und das ist auch verständlich", sagt sie.
Es ist der erste Vorstoß dieser Art seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022. Russlands Verteidigungsminister Andrej Beloussow kündigt mehr Truppen und Mittel für die an der Grenze zur Ukraine gelegenen Regionen Kursk, Belgorod und Brjansk an. Es gehe um den Schutz der territorialen Unversehrtheit Russlands, der Bevölkerung und der Infrastruktur in den Grenzregionen.
In Selenskyjs allabendlichen Ansprache erklärt er, Russland habe den Krieg über die Ukraine gebracht, nun solle das Land "spüren, was es getan hat". Sehen das die Ukrainer:innen genauso?
Brovko weist darauf hin, dass es zur Kursk-Offensive natürlich keine einheitliche Meinung in der Ukraine gebe. Aber "natürlich ist das eine gute Nachricht für uns", meint sie. "Mehr als zwei Jahre lang war das Schlachtfeld der Invasion in vollem Umfang auf unserem Land, und jetzt haben unsere Streitkräfte eine so mutige Offensive durchgeführt."
Allerdings: Auch in der Ukraine denke man über die Ziele und die mögliche Reaktion der russischen Seite nach. "Wir denken immer an den Preis, den wir mit dem Leben unserer Soldaten und Zivilisten bezahlen", führt sie aus. Klar ist: Angriff ist mit größeren Verlusten verbunden als Verteidigung.
Das russische Verteidigungsministerium teilte am 14. August mit, dass die ukrainischen Streitkräfte bis zu 270 Soldaten und 16 gepanzerte Fahrzeuge verloren haben sollen. Auch diese Angaben sind derzeit nicht unabhängig überprüfbar.
Militärexpert:innen warnen, dass die Ukraine große Verluste mit solch einer riskanten Aktion in Kauf nehmen müsste. Die Ukraine sollte also einen guten Grund für diesen Angriff haben.
"Wir wissen nicht, was der Zweck der Operation ist und welche Ergebnisse erzielt werden sollen. Die ukrainische Frontlinie ist lang, und die Kursk-Offensive ist nur ein Teil von ihr", sagt die Ukrainerin Brovko.
Sie ist sich sicher, dass der ukrainische Generalstab einen Plan für die Operation hat und ihn verfolgt. Und bald werde man mehr darüber erfahren. "Was ich jetzt schon genau weiß, ist, dass dies der Beginn einer großen Veränderung auf dem Schlachtfeld ist. Und ich hoffe, es sind gute Veränderungen für alle Ukrainer", führt die Journalistin aus.
(Mit Material von dpa)