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Debatte im Bundestag: Merz, Scholz, Habeck liefern sich Schlagabtausch

German opposition leader and Christian Union parties floor leader Friedrich Merz speaks at the the beginning of a debate about migration at the German parliament Bundestag in Berlin, Germany, Wednesda ...
Am Mittwoch ist im Bundestag über zwei Anträge von Friedrich Merz abgestimmt worden. Bild: AP / Markus Schreiber
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Diskussion um Migration im Bundestag: Die wichtigsten Aussagen

29.01.2025, 17:0829.01.2025, 18:07
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"Ehrlich, schonungslos und respektvoll" solle die Debatte laufen, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu Beginn der Bundestagssitzung. Es lag bereits in der Luft, dass es anders kommen sollte. Nach dem Attentat von Aschaffenburg ist das Parlament am Mittwoch erstmals zusammengekommen, um über die nötigen Konsequenzen zu diskutieren.

Dabei wurde über zwei Entschließungsanträge von CDU-Chef Friedrich Merz debattiert. Der CDU-Parteivorsitzende hatte zuvor in Aussicht gestellt, die Anträge zur Not auch mit Stimmen der AfD zu beschließen, ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik.

Worüber wurde im Bundestag abgestimmt?

Einer der Anträge befasste sich mit dem sogenannten "Fünf-Punkte-Plan" zur Migration. Dieser fordert unter anderem "dauerhafte Grenzkontrollen" sowie die "konsequente Zurückweisung aller illegalen Einreiseversuche". Personen mit vollziehbarer Ausreisepflicht sollen "unmittelbar in Haft" genommen werden, während Abschiebungen "täglich" und auch nach Syrien sowie Afghanistan wieder möglich sein sollen.

Zudem plädiert die Union für einen "zeitlich unbefristeten Ausreisearrest" für Straftäter und Gefährder. Der Bundespolizei soll das Recht eingeräumt werden, selbst Haftbefehle für Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen.

Der andere Antrag fordert einen "Politikwechsel bei der inneren Sicherheit". Zu den insgesamt 27 Forderungen zählen erweiterte Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, darunter die dreimonatige Speicherung von IP-Adressen sowie ein verstärkter Einsatz elektronischer Gesichtserkennung. Zudem werden Änderungen im Migrationsbereich gefordert, darunter die Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte – also für Personen, die keinen Asylstatus erhalten, aber aus anderen Gründen vorerst in Deutschland bleiben dürfen.

Was waren die wichtigsten Aussagen?

Bundeskanzler Olaf Scholz war bei seiner Regierungserklärung darauf bedacht, den Dammbruch der Unionsparteien herauszustellen. Mit seiner Ankündigung, bei der Migrationspolitik "All-in" gehen zu wollen, setze Merz den Zusammenhalt der EU aufs Spiel, sagte Scholz. "Ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein." Es sei nicht gleichgültig, "ob man mit den extremen Rechten zusammen arbeitet". Die Politik sei "kein Pokerspiel".

In Richtung der Union sagte er: "Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf". Dies sei ein "schwerer" und "unverzeihlicher Fehler".

In einer für Deutschland so zentralen Frage, nämlich ob man als Demokrat mit den extremen Rechten gemeinsame Sache macht, habe er den Zusicherungen von Merz "wirklich geglaubt", sagte Scholz. "Es darf nach der Bundestagswahl keine Mehrheit für CDU, CSU und AfD geben, sonst droht uns eine schwarz-blaue Regierung in Deutschland."

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Olaf Scholz kritisierte Friedrich Merz scharf. Bild: dpa / Michael Kappeler

Friedrich Merz wiederum betonte, sich von der AfD abzugrenzen, das aber nicht als Vorwand nehmen zu können, sich nicht mit dem Thema Migration zu beschäftigen. "Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig", sagte Merz. Die Demokratie gerate aber auch in Gefahr, wenn eine gesellschaftliche und politische Minderheit "die Radikalen als Werkzeug benutzt, um den Willen der Mehrheit der Bevölkerung dauerhaft zu ignorieren", kritisierte Merz SPD und Grüne.

"Es ist eher eine Viper, eine Giftschlange. Das Gift träufelt langsam ein."
Robert Habeck über die AfD

Darüber hinaus behauptete er, es gebe in Deutschland ein "massives Problem der Ausländerkriminalität", vor allem "unter den Asylbewerbern". Dennoch betonte er, dass Menschen mit Migrationsgeschichte "ohne die unser Land einfach nicht bestehen könnte" klar zur Gesellschaft in Deutschland gehören. Diese hätten ein Recht darauf, "nicht im gleichen Atemzug" mit straffälligen Asylbewerbern genannt zu werden und würden teils selbst eine striktere Migrationspolitik wollen.

Der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck appellierte wie Scholz an die politische Verantwortung von Merz. "Das, was hier heute diskutiert wird, ist: Stimmt die Union mit der AfD und der FDP in so einer wichtigen Frage?", sagt Habeck. Und daran schließe sich an: "Bei welcher Frage wollen sie dann nicht mehr gemeinsam mit der AfD abstimmen?" Merz habe damals gesagt, die AfD sei wie eine Natter, die sich um den Hals der Union lege. Habeck sagt: "Es ist eher eine Viper, eine Giftschlange. Das Gift träufelt langsam ein."

Über den Wortbeitrag von FDP-Chef Christian Lindner sagte Phönix-Kommentator Erhard Scherfer später, er habe "ein Bild der Sicherheitslage nach Gefühlen gezeichnet, nicht nach Fakten". Aschaffenburg reihe sich ein in eine Reihe "von schrecklichen Ereignissen" im Zusammenhang mit nicht vollstreckten Ausreisepflichten, sagte Lindner etwa.

Scholz' Ankündigung, "im großen Stil" abschieben zu wollen, sei nicht umgesetzt worden. "Aschaffenburg ist eine Form des Staatsversagens." Deutschland versage regelmäßig in seiner wichtigsten Funktion, die Menschen zu schützen.

Als Schuldige hat Lindner vor allem die Grünen ausgemacht, die mit ihrer Einstellung zur Migration "Steigbügelhalter der AfD" seien. Kurzer Schwenk auf die Zuschauertribüne. Jugendliche schauen gelangweilt bis fassungslos.

"Sie brechen Ihr Wort und Sie stoßen die Tür zur AfD auf."
Lars Klingbeil zu Friedrich Merz

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hielt die Rede, die Olaf Scholz gerne gehalten hätte. Klingbeil erklärte, er hätte sich gewünscht, dass es heute im Parlament einen "Moment des Zusammenrückens" gebe. Merz Vorhaben sei "eine tektonische Veränderung des Miteinanders" und ein "historischer Fehler".

Er betonte: "Sie brechen Ihr Wort und Sie stoßen die Tür zur AfD auf. Und Herr Merz, wer in diesem Land soll Ihnen künftig eigentlich noch glauben, wenn Sie sich hart von der AfD abgrenzen?"

Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD, erklärte in durchweg süffisantem Singsang: "Die sogenannte Brandmauer ist nichts anderes als eine antidemokratische Kartellabsprache, um den Wählerwillen auszuhebeln, um Millionen von Wählern auszuschließen."

Merz warf sie vor: "Ihren Fünf-Punkte-Plan, den Sie heute vorlegen, haben Sie von uns kopiert", sagt Weidel in Richtung Merz. Die Koalition aus SPD und Grünen bezeichnete sie als "ein Konzentrat all jener negativen Kräfte, die unser Land zugrunde richten". Der "politisch gewollte Kontrollverlust", den die Bundesregierung zu verantworten habe, koste Menschenleben.

Für den vielleicht bewegendsten Beitrag sorgte Niklas Wagner, Grünen-Abgeordneter im Wahlkreis Aschaffenburg. Er erzählte von Fatima, einer 12-jährigen Afghanin, die vor 3000 Trauernden gesagt habe: "Ich entschuldige mich bei allen. Ich wollte nur sagen, dass nicht alle Afghanen böse sind, nur manche."

Dazu sagte Wagner: "Dass ein 12-jähriges Mädchen glaubt, sich für das Verbrechen eines 28-jährigen psychisch erkrankten Asylbewerbers entschuldigen zu müssen, weil sie beide aus dem gleichen Land kommen, ist tragisch und vor allem grundfalsch."

Wie wurde abgestimmt?

Für den ersten Antrag fand sich eine Mehrheit: 348 Ja-Stimmen gegen 345 Nein-Stimmen. Knapp, obgleich es zehn Enthaltungen gab. Damit zeigt der Bundestag gegenüber mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen offen. Der zweite Antrag für weitere Asyl-Reformen stieß wiederum auf deutlich mehr Ablehnung. 190 stimmten mit Ja, 509 mit Nein. Die Abstimmung führte zu massiver Empörung bei SPD und Grünen. SPD-Politiker Mützenich sagte etwa, die Union sei aus der "politischen Mitte ausgebrochen".

Wie geht es weiter?

Weil Entschließungsanträge gesetzlich nicht bindend sind, folgt daraus keine direkte Konsequenz. Friedrich Merz ging es um Aktionismus und Symbolpolitik.

Am Freitag möchte die Union einen Gesetzesantrag zur Abstimmung geben, das sogenannte Strombegrenzungsgesetz. Darin heißt es unter anderem, dass ein Familiennachzug zu Personen mit subsidiärem Schutz "nicht mehr gewährt" wird.

Da das BSW, die FDP und die AfD im Vorfeld angekündigt haben, für das Gesetz stimmen zu wollen, könnte der Antrag tatsächlich eine Mehrheit erhalten. Dass das Gesetz umgesetzt wird, ist aber unwahrscheinlich.

Der Bundesrat dürfte es mit den Stimmen von SPD und Grünen blockieren, auch hatte Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther Widerstand angekündigt.

Robert Habeck (Grüne) im Porträt: Ehefrau, Kinder, Gehalt und Kanzler-Kandidatur

Robert Habeck ist wohl eine der einprägsamsten Figuren der Politiklandschaft Deutschlands. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler der Bundesrepublik. Als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat er sich einen Namen als pragmatischer und kommunikationsstarker Politiker gemacht.

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