In Washington ist man entsetzt. Selbst viele Parteifreunde nehmen Donald Trump seinen Umgang mit dem Mord am saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi übel. "Das Weiße Haus verkommt zur PR-Firma für den Kronprinz Saudi-Arabiens", schimpft etwa der oberste Außenpolitiker im Senat, der Republikaner Bob Corker. Einen "Verrat an lang etablierten amerikanischen Werten" beklagt der Chef der Washington Post, Fred Ryan.
Dabei kann man, aus etwas anderer Perspektive, Trumps Einlassung zu Saudi-Arabien und dem Mord an Jamal Khashoggi sogar begrüßen. Denn der US-Präsident macht darin deutlich, mit welchem Verständnis er Außenpolitik betreibt. So schwarz auf weiß gab es die Methode Trump für die Welt noch nie zu lesen.
Leiten lässt sich Trump auf internationaler Bühne nicht von den Erkenntnissen seines eigenen Regierungsapparats, und schon gar nicht von Werten wie Menschenrechten, sondern von seinen eng definierten Interessen, Befindlichkeiten und kurzfristigen Vorteilen.
Befunde, die diesen Interessen zuwiderlaufen, relativiert der US-Präsident. Oder er zieht sie in Zweifel. Wer ihm nützlich erscheint, dessen Wort hat mehr Gewicht als jenes der eigenen Institutionen. Wer ihn lobt, dem glaubt er noch lieber.
Es ist dieselbe Haltung, die auch Trumps Umgang mit Russland oder mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un prägt – und zum Teil auch den Umgang mit Deutschland und der Europäischen Union. Sie besteht aus drei Elementen.
Über den saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman sagt Trump: "Es kann sein, dass der Kronprinz von diesem tragischem Ereignis Kenntnis hatte – vielleicht hatte er sie, vielleicht hatte er sie nicht!" Gut möglich, so Trump, dass man "niemals alle Tatsachen zum Mord" kennen werde. Dass sein eigener Geheimdienst, die CIA, zu dem Schluss kam, dass Bin Salman höchstselbst den Mord angeordnet hat: ist ihm egal.
Er sät auch Zweifel an der Integrität Khashoggis, wenn er erwähnt, dieser habe als "Staatsfeind" und Mitglied der Muslimbruderschaft gegolten – auch wenn die Saudis öffentlich so etwas nie gesagt haben.
Trump versteckt sich hinter dem Dementi des saudischen Königs und Kronprinzen, die eine Verstrickung "energisch verneint" hätten. Das erinnert an Trumps Schutzbehauptung im Umgang mit Russlands Einmischung in die US-Wahlen. Dabei sagt Trump immer wieder, Putin habe ihm gegenüber diese Einmischung "hart dementiert". Trump nutzt das Dementi, um dem Urteil der US-Sicherheitsbehörden, wonach Putin direkt die Einflussnahme zugunsten Trumps befohlen habe, zu entkräften.
Wenn sie ihm nutzt, ist ihm die Aussage anderer Regenten wichtiger als die Einschätzungen des eigenen Regierungsapparats. Egal, wie unglaubwürdig die Dementis sind.
In Trumps Statement geht es lang und breit um den seiner Ansicht nach wahren Übeltäter Iran, auch wenn Teheran mit dem Fall Khashoggi direkt überhaupt nichts zu tun hat. Weil er die Saudis als enge Verbündeten behalten will, zeigt er auf andere. So versucht er, deren Gräueltaten zu relativieren. Um die Bedeutung der Menschenrechtsverletzung durch Riad zu relativieren, begann Trump mit diesem Satz: "Die Welt ist ein gefährlicher Ort". Ein Satz, den seit Dienstag sein Außenminister und Meinungsmacher von Fox News in vielen Varianten nachplappern.
Das ist die moralische Relativierung, die auch Trumps Umgang mit Wladimir Putin und Kim Jong Un zu beobachten ist. Auf eine Frage nach Putins Verantwortung für Auftragsmorde sagte Trump einst, die USA seien auch nicht ohne Makel. Nach der brutalen Gewaltherrschaft des nordkoreanischen Diktators gefragt, sagte Trump immer wieder ähnliche Sätze. Als ihn ein Interviewer zu Kims Menschenrechtsbilanz befragte, sagte Trump: "Ich könnte eine Menge Länder aufzählen, in denen schlimme Sachen passiert sind."
Darin zeigt sich Trumps radikale Absage an eine moralische Überlegenheit, die eigentlich zum Selbstverständnis der USA gehört. Sie dient dazu, zu Unrecht schweigen zu können, wenn seine Interessen bedroht sind.
Trump macht es ganz deutlich: Freund und Feind beurteilt er danach, mit wem sich kurzfristige Vorteile ergeben. Riad hilft, den Ölpreis zu stabilisieren und kauft viele US-Waffen (auch wenn das Volumen deutlich geringer ist, als Trump behauptet.). Also sagt Trump: "Wenn wir törichterweise diese Verträge auflösen, würden Russland und China enorm profitieren."
Kurzfristige Vorteile stellt Trump etwa auch im Handelsstreit mit den Verbündeten in Europa über den langfristigen Wert intakter Bündnisse. Hauptsache, es kommen schnell weniger deutsche Autos in die USA!
Ist das alles nur konsequente Realpolitik? Schließlich geht es in der Weltpolitik immer auch um das Durchsetzen eigener Interessen. Das wäre die wohlwollende Interpretation, nach der Trump eine neue Ehrlichkeit in die internationalen Beziehungen bringen würde. Er selbst versucht, diese Lesart an den Mann zu bringen, indem er sagt, das sei eben seine America-First-Politik.
Dass es immer auch um eigene Interessen geht, würden nur die wenigsten bestreiten. Auffällig ist in diesem Rahmen aber, wie eng Trump die amerikanischen Interessen auf Waffendeals und Ölpreis verdichtet und dass etwas wie die Beförderung von Menschenrechten nicht mehr Teil davon ist.
Da Trump für jedermann zu erkennen gibt, nach welchen Kriterien er Außenpolitik betreibt, ist sein Statement zum Fall Khashoggi potentiell ein folgenreiches Dokument. Schwarz auf weiß haben es nun auch Trumps Konkurrenten in der Weltpolitik.
Despoten und Autokraten wissen spätestens jetzt: Im Zweifel geht es dem US-Präsidenten allein um Jobs und Dollar. Wer Trump persönlich schmeichelt und gute Geschäfte in Aussicht stellt, darf mit Kritikern und Oppositionellen umspringen, wie es gefällt, ohne allzu harte Konsequenzen fürchten zu müssen. Er darf sie sogar in einem Konsulat ermorden und zerstückeln.
Ob die Vereinigten Staaten es wollen oder nicht, noch immer setzt ihr Verhalten Maßstäbe für einen großen Teil der Welt. Der amtierende Präsidenten hat jetzt die Botschaft gesendet: Macht, was ihr wollt, solange ihr bei uns einkauft.
Dieser Text erschien zuerst auf t-online.de