Die Ergebnisse der Landtagswahlen im Osten bedeuten eine tiefe Erschütterung der politischen Verhältnisse in Deutschland. Was wochenlang befürchtet worden war, trat vor allem in Thüringen am Sonntag ein. Die AfD geht als Wahlsiegerin aus der Abstimmung hervor. Dabei sorgt vor allem eine Wählergruppe bei demokratischen Kräften für graue Haare.
Ausgerechnet die Jüngsten pilgerten massenhaft zu der gesichert rechtsextremen Partei. Die Generation, die einst stark mit den Grünen, mit progressiven Ideen und Inklusion in Verbindung gebracht wurden, bildet an der Urne mittlerweile den harten Kern der radikalen Ränder. Das hat mehrere Gründe – doch eine Lösung ist offenbar weit entfernt.
Den gewaltigen Anstieg an Jungwähler:innen für die AfD bezeichnet Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin als "besorgniserregend". Bis auf 36 Prozent kletterte die Zustimmung für den wahrscheinlich radikalsten Landesverband der AfD in Thüringen bei den unter 30-Jährigen. Die Wahl markiere deshalb einen "tiefen Einschnitt" in der politischen Statik der Bundesrepublik.
Nach den Entwicklungen der vergangenen Jahre stellt die Migration der jungen Wähler:innen aber keine Überraschung mehr dar. Darauf weist Faas etwa mit Blick auf die Europawahl im vergangenen Juni auf watson-Anfrage hin: "Wir haben ja auch bei anderen früheren Wahlen schon erlebt, dass die AfD gerade bei jüngeren Wählern stark zugelegt hat."
Seiner Analyse zufolge ist das "Wahlverhalten junger Menschen insgesamt noch weniger festgelegt als bei Älteren." Insofern interpretiert Faas die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen zunächst einmal als "Warnsignal". Es gebe aber "keinen Automatismus, dass sich das genauso auch für die Zukunft fortschreiben wird."
Besorgt zeigte sich Sanem Kleff, die der NGO "Schule ohne Rassimus – Schule mit Courage" vorsteht, im Gespräch mit dem Online-Portal "Bildungsklick" im Hinblick auf die Jungwähler: "Wir erleben den größten Rechtsruck seit 1949. Die Demokratie ist in ihren Grundfesten erschüttert."
Sie beobachte gerade bei jungen Menschen eine gefährliche "Banalisierung sowie Normalisierung des Rechtsextremismus". Doch wie man frustrierte Jugendliche wieder in die Mitte der demokratischen Gesellschaft zurückholen kann, dafür hat nach Kleffs Ansicht "niemand Patentrezepte".
Viele junge Ostdeutsche, die sich für die AfD entschieden haben, fühlten sich abgehängt und von der Politik im Stich gelassen, erläuterte Axel Salheiser dem "Merkur". Der Soziologe vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena beobachtet, dass die etablierten Parteien und "vermeintlichen Eliten, die hinter ihnen stehen, sich nicht mehr um sie kümmern."
Das bestätigt auch eine Untersuchung des Instituts für Generationenforschung. Der Erhebung der Augsburger Einrichtung zufolge glauben 41 Prozent der 16- bis 25-Jährigen, dass der Regierung einfache Menschen egal seien. Knapp ein Drittel stimmte der Aussage zu, dass die Regierung gegen die Bevölkerung arbeite.
Beobachten lässt sich das nach Salheisers Einschätzung an "Angstmacher-Themen wie die angebliche Überfremdung, die angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit und eine unsichere Zukunft". Vor allem in den sozialen Medien inszeniert sich die AfD dabei als Verteidigerin der kleinen Leute, etwa gegen die "Verbotspartei" Grüne oder gegen unkontrollierte Zuwanderung.
Zudem neigen junge Menschen laut Salheiser tendenziell dazu, "radikaler" zu wählen. Ein Grund dafür sei, dass sie im Vergleich mit älteren Generationen den "größten Drang nach Konsumchancen und Freiheit" hätten. Auf Einschränkungen, wie sie etwa in der Corona-Pandemie oder im Zuge des Klimawandels auftraten, reagierten junge Wähler:innen daher "empfindlich".
So begründe sich auch der Erfolg des BSW bei den unter 24-Jährigen, das aus dem Stand in Sachsen und Thüringen auf ein zweistelliges Ergebnis sprang. "Im BSW finden sie im wahrsten Sinne etwas Neues, eine Alternative ohne Rechtsextremismus."