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Polizei, Verfassungsschutz, Verwaltung: AfD-Pläne für den Umbau im Osten

24.08.2024, Thüringen, Sömmerda: AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke spricht auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung hinter einer Deutschlandfahne mit dem Eisernen Kreuz. Am 01. September finden in Thüringen ...
Björn Höcke gilt als Vordenker der AfD. Er träumt von einer Regierungsbeteiligung in Thüringen.Bild: dpa / Hannes P Albert
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Schicksalswahl Ost: Wie die AfD Polizei, Verfassungsschutz und Beamtenapparat umbauen will

31.08.2024, 14:34
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Zu Weihnachten 2021 schnürte Friedrich Merz der Demokratie ein Geschenk. Der CDU-Vorsitzende erteilte der AfD damals eine klare Absage. Wer mit denen kooperiere, fliege hochkant aus seiner Partei. Seine Wortschöpfung ist seitdem in aller Munde: "Brandmauer".

Seit ihrer Errichtung hat diese aber viele Risse bekommen. Wer nach Osten blickt, kann sie derzeit bedenklich wanken sehen. Dort, wo besonders viele Deutsche unzufrieden sind, steuert die Demokratie auf die härteste Probe seit Gründung der Bundesrepublik zu.

Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September und Brandenburg am 22. September sorgen bundesweit für Sorgen. 30 Prozent Zustimmung in einem Bundesland könnten der AfD bereits genügen, um die Demokratie im Osten ernsthaft herauszufordern. In Thüringen und Sachsen gilt sie als gesichert rechtsextrem.

AfD: In Thüringen droht die Regierungsblockade

Besonders in Thüringen geht das Schreckgespenst um. Der Landtag in Erfurt dient Björn Höcke schon lange als Experimentierfeld. Das Ziel: Die Demokratie mit legalen Mitteln abzuschaffen.

Bei der Wahl peilt er die Regierungsbildung und ein Drittel der Sitze im Parlament an. Sollten Parteien wie die SPD, die FDP und die Grünen aus dem Landtag fliegen, könnten sogar weniger als die prognostizierten 30 Prozent der Stimmen reichen.

Mit der daraus resultierenden Sperrminorität hätte die AfD ein "Druckmittel in der Hand, um bestimmte Sachen zu erpressen", erklärt Juliana Talg von der Polit-Plattform Verfassungsblog im MDR. Möglich wird das, weil wichtige Entscheidungen in Justiz, Finanzwesen und der Parlamentsordnung nur mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden können.

06.08.2024, Thüringen, Erfurt: "Thüringer Landtag" steht an der Fassade des Landtags. Die Polizei hat das Büro eines Linke-Abgeordneten im Thüringer Landtag durchsucht. Nach dpa-Informatione ...
Noch in der Hand von Demokraten: Im Thüringer Landtag könnte die AfD stärkste Kraft werden.Bild: dpa / Hannes P Albert

Mit dieser passiven Macht könnte sich die AfD auch in der Opposition Einfluss verschaffen. Höcke dürfte versuchen, loyale Ja-Sager in Schlüsselpositionen zu hieven. Einen Hebel findet sich bei anstehenden Personalentscheidungen im Landesverfassungsgericht. Hier stehen bis 2029 alle neun Richter:innenposten zur Disposition.

Die höchsten Landesrichter würden im Falle einer Blockade zwar kommissarisch weiterarbeiten, langfristig wäre das aber zum Scheitern verurteilt. Nach ein paar Jahren, erklärt Talg, "hätte man ein Gericht, das einfach nicht mehr funktioniert."

Brandmauer wankt: Hilft die CDU Höcke bei der Machtübernahme?

Die offen zugegebene Kooperation der Ost-CDU auf kommunaler Ebene war 2022 der erste Riss in der Brandmauer. Merz hatte damals kleinlaut die Ankündigung geschluckt, jede Kooperation mit Rausschmiss zu sanktionieren.

"Mithilfe des Verfassungsschutzes und der Polizei könnten sie den Spieß natürlich umdrehen."
Klaus Schroeder, Politikwissenschaftler

Im Osten könnten sich laut einer Forsa-Umfrage 68 Prozent der CDU-Mitglieder eine Kooperation mit der AfD vorstellen. Auch das BSW könnte sich zum Königsmacher aufschwingen. Mit 18 Prozent liegt die Wagenknecht-Partei in den Umfragen auf Rang drei. Trotz bisheriger Dementis sehen Expert:innen bei den beiden Parteien auch Schnittmengen.

10.05.2024, Brandenburg, Grünheide: Polizisten nehmen einen Aktivisten bei einer Protestaktion gegen Tesla in Gewahrsam. Aktivisten haben am Freitag versucht, auf das Werksgelände von Tesla in Grünhei ...
Brandenburgs Polizei (hier in Grünheide) soll nach AfD-Wünschen stark aufgestockt werden.Bild: tnn / Michael Ukas

Daher blickt der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder der FU Berlin in ein Zukunftsszenario mit einem AfD-geführten Innenministerium in Erfurt: "Mithilfe des Verfassungsschutzes und der Polizei könnten sie den Spieß natürlich umdrehen", sagt er im Gespräch mit watson. Ins Visier gerieten dann linke Aktivist:innen und Ehrenamtliche. Die AfD "könnte die Polizei viel stärker gegen – aus ihrer Sicht Verfassungsfeinde – einsetzen".

In den Wahlprogrammen zeigen die AfD-Landesverbände, wo sie Prioritäten setzen. So soll das Volk deutlich stärker überwacht werden. In Sachsen steht etwa die Beobachtung von Moscheen im Papier, in Brandenburg sollen Grenzschützer auf automatische Gesichtserkennung zurückgreifen dürfen und in Thüringen sind vollautomatische Kameras in Innenstädten geplant.

Polizei und Verfassungsschutz: AfD mit großem Plan und Dilemma

Die Sicherheitspolitik ist ein wesentlicher Bestandteil der rechten Ideologie – und so inszeniert sich die AfD als Unterstützerin der Landespolizeien. Ein Mittel, um die Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen, ist der Plan, Beschwerdestellen für Bürger:innen und Beamt:innen abzuschaffen. Damit soll die "Vorverurteilung" der Polizei gestoppt werden.

Zudem soll die Polizeipräsenz massiv erhöht werden. Allein in Brandenburg sollen rund 1500 neue Polizist:innen eingestellt werden. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die anderen Parteien werben für eine Erhöhung der Zahlen. Dabei sucht man händeringend nach neuem Personal.

Um das anzulocken, will die AfD in Potsdam eine höhere Besoldung durchdrücken und dazu das Pensionsalter auf 60 Jahre absenken. Brandenburgs GdP-Vorsitzende Anita Kirsten hält das für "nicht realistisch", ihrer Meinung nach spielen die AfD-Pläne an einem "Ort der Glückseligen".

Wie die AfD mehr Sicherheit schaffen will, zeigt ein Vorschlag aus Frankfurt an der Oder. Dort soll das Ordnungsamt – deren Mitarbeitenden deutlich schlechter ausgebildet sind als Landespolizist:innen – zur "Stadtpolizei" aufgewertet werden. Dabei sollen die Ordnungshüter:innen nicht nur mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden, sondern auch mit "Schlagstöcken und Tasern".

Auch wenn Schroeder "keinen neuen NS-Staat" sieht, fürchtet er im Falle eine AfD-Regierungsbeteiligung "schlimme Zeiten" aufziehen. Widersprüchliche Aussagen gibt es zum Verfassungsschutz. In den Wahlprogrammen ist die Rede von einer Abschaffung.

Höcke selbst sprach im Wahlkampf davon, dass es ohne ihn nicht gehe. Medienberichten zufolge sollen die Landesämter im Falle einer AfD-Regierung aber vom Informationsfluss abgeschnitten werden.

Polizeigewerkschaft warnt vor Umbau nach AfD-Wünschen

Gefahrenpotenzial geht laut Schroeder zum Großteil von den Landespolizeien aus. Diese könnten in der Spitze personell "im Rahmen der Gesetze" nach den Parteiwünschen umgebaut werden. Dann könnten etwa linke Demos bald unter starken Polizeirepressionen leiden.

Die Polizei fürchtet daher den Umschwung. Der Vorsitzende der Bundes-GdP, Jochen Kopelke, klagte mit Blick auf den Osten gegenüber der "Funke Mediengruppe" über zunehmende "Anfragen unserer Mitglieder zum Wechsel in andere Bundesländer oder Kündigung".

ARCHIV - 05.02.2020, Thüringen, Erfurt: Björn Höcke (r), Landespartei- und Fraktionschef der AfD Thüringen, gratuliert dem damals neugewählten Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP). (zu ...
2020 ließ sich FDP-Mann Kemmerich kurzfristig von der AfD zum Ministerpräsident Thüringens wählen.Bild: dpa / Bodo Schackow

Die GdP machte darauf aufmerksam, dass bei "bestimmten Wahlausgängen geheime Informationen in die falschen Hände geraten", könnten. In den Innenministerien der Länder herrsche große "Nervosität".

Knackpunkt Verwaltung: AfD baut in Sachsen einen Schattenapparat

Wichtig für die Einflussnahme ist aber auch der Verwaltungsapparat. Nach Willen der AfD sollen Schlüsselpositionen mit treuen Anhängern besetzt werden, die die AfD einem MDR-Bericht zufolge in Sachsen bereits ausgewählt hat.

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Demnach stehen 120 Funktionäre bereit, die in einer Art Schattenverwaltung auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Das AfD-loyale Personal könnte schnell Einfluss nehmen, wenn sie in Spitzenpositionen als Staatssekretäre und Verwaltungschefs installiert werden.

Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam sieht das mit Sorge, weil "der Rechtsstaat auf verfassungstreues und professionelles Personal angewiesen ist." Schafft es die AfD, Verwaltungsposten mit Loyalisten zu besetzen, könne sie "den Rechtsstaat – wenn man ehrlich ist – aushöhlen."

Experte: "Bund wird eingreifen" – Wird die AfD entmachtet?

Doch welche Handlungsmöglichkeiten hätte der Bund bei einem AfD-Sieg? Klaus Schroeder glaubt nicht, dass der Bund eine AfD-Regierung akzeptieren würde: "Wenn es dazu kommt, wird der Bund eingreifen und einen Staatskommissar einsetzen."

Im Klartext: Der Staat würde die Regierungsgeschäfte im Bundesland übernehmen und die gewählte Regierung absetzen. Man würde "eine Möglichkeit finden, die AfD im Notfall als verfassungsfeindlich zu definieren", glaubt Schroeder. Ein rabiates Mittel, "und mit Demokratie hat das nicht viel zu tun", gibt Schroeder zu. Und doch könnte es die letzte Chance sein, Merz' Brandmauer zu retten.

Wie Taylor Swift Hunderttausende mit nur einem Post zur Wahl mobilisiert

Die USA sind nicht nur die älteste durchgehend bestehende Demokratie der Welt, auch ihr Wahlsystem ist kompliziert. Ein verworrenes Geflecht von Gesetzen, Vorschriften und Traditionen prägt das sogenannte "Electoral College". Und am Ende des Tages wird die Wahl in sieben "Swing States" entschieden, wo die Wechselwähler:innen den Ausschlag geben.

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