Das hat es so noch nicht gegeben: Die "New York Times" hat in ihrer Donnerstagsausgabe einen anonymen Gastbeitrag veröffentlicht, in dem ein ranghoher Regierungsmitarbeiter von einer Widerstandsbewegung inmitten des Apparats berichtet. Diese sei bemüht, die schlimmsten Vorhaben Donald Trumps zu verhindern.
Er – oder sie, auch das weiß man nicht – macht dabei deutlich, dass man im Regierungsalltag die Werte der US-Demokratie verteidigen wolle, während "der Präsident weiterhin so handelt, dass es Gesundheit unserer Republik entgegenläuft". Man tue, was man könne, um die Regierung in die richtige Richtung zu bewegen, "bis es – auf die ein oder andere Weise –vorbei ist".
Der Beitrag, der bereits am späten Mittwochnachmittag (Ortszeit) vorab im Internet veröffentlicht wurde, ist in der US-Hauptstadt wie die sprichwörtliche Bombe eingeschlagen. Denn an eine solche Begebenheit kann sich gerade niemand erinnern: Dass ein hohes Regierungsmitglied derart dem Präsidenten Kompetenz und Willen zum guten Regieren abspricht und dies dann auch noch anonym in einem eigenen Beitrag in der "New York Times" tut.
Für Trump ist es bereits die zweite Veröffentlichung binnen zwei Tagen, die ein verheerendes Bild seiner Führungsfähigkeiten zeichnet.Form und Umstände sind spektakulär, dabei ist der Inhalt gar nicht einmal weit entfernt von dem, was viele US-Medien immer wieder einmal über das chaotische Innenleben im Weißen Haus berichten. Und tatsächlich ist etwa in der Russland-Politik immer wieder erkennbar, dass der Regierungsapparat eine andere Linie verfolgt, als es die Äußerungen des Präsidenten nahelegen.
Zusätzliche Wucht entfaltet der Text, weil er perfekt zu dem Enthüllungsbuch "Fear" von Watergate-Reporter Bob Woodward passt. Laut am Dienstag bekannt gewordenen Auszügen berichtet Woodward ebenfalls anhand mehrerer Beispiele, wie Mitarbeiter im Weißen Haus aktiv die Agenda ihres Präsidenten hintertrieben, um Schaden vom Land abzuwenden. Dort heißt es etwa, dass Mitarbeiter Dokumente von Trumps Schreibtisch entwendet hätten, bevor der Präsident diese unterschreiben konnte, oder seine Anweisungen missachteten.
In Washington hat direkt nach der Veröffentlichung eine hektische Spurensuche nach dem Autor eingesetzt. Die Zeitung verweist darauf, dass der Mitarbeiter seine Arbeit verlieren würde, wenn man seine Identität preisgäbe.
Ein CNN-Journalist veröffentlichte eine Liste mit 12 Verdächtigen, solchen Ministern und Beratern, die ein Motiv hätten. Im Weißen Haus wurden nach der Veröffentlichung kurzfristig Termine am Mittwochabend abgesagt, um die Reaktion auf den Gastbeitrag zu koordinieren.
Laut "Washington Post" machten sich Mitarbeiter sogleich daran, Spracheigenheiten des Beitrags daraufhin zu untersuchen, ob sie Rückschlüsse darauf erlauben, wer die Person sei oder in welchem Bereich sie arbeite.
Tatsächlich gibt es allerdings Hunderte mögliche Verfasser, auf die die Beschreibung als "ranghoher Regierungsmitarbeiter" oder auf Englisch "senior administration official" zutreffen würde. Der Begriff ist eine Formel, die das Weiße Haus auch selbst verwendet, vor allem dann, wenn es Journalisten Hintergrundgespräche mit Regierungsmitarbeitern ermöglicht, diese dann aber nicht namentlich genannt werden sollen. Der Urheber muss auch nicht zwangsläufig im Weißen Haus sitzen.
Auf jeden Fall hat sich Mr. oder Mrs. X für diesen Text ausgerechnet die Zeitung ausgesucht, für die Trump die größte Hassliebe empfindet. Und er erwähnt im Beitrag bewusst das Vorbild John McCain – der Präsident sah den verstorbenen Senator aus Arizona als Erzfeind. Beide Umstände dürften den Präsidenten zusätzlich provoziert haben.
Trump selbst hat ungehalten auf den Artikel reagiert. Er nahm bereits das Wort "Hochverrat" in den Mund, nannte den Autor "feige". Per Tweet forderte er die Herausgabe der Identität des Autors mit Verweis auf die nationale Sicherheit.
Auf dieses Manöver wird sich die "New York Times" gewiss nicht einlassen. Der außergewöhnliche Schritt der anonymen Veröffentlichung sei notwendig, schreibt das Blatt, um den Lesern eine "wichtige Perspektive" auf den Präsidenten zu liefern.
Dieser Text erschien zuerst auf t-online.de