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Polizei Bochum: Experte erklärt Gründe für Schuss auf 12-Jährige

ARCHIV - 24.06.2021, Nordrhein-Westfalen, Bochum: Einsatzkräfte gehen bei einer Razzia zu einem Polizeiwagen. Bei einer Clan-Razzia im Ruhrgebiet haben Einsatzkräfte am frühen Donnerstagmorgen 21 Obje ...
Wer darf hier eigentlich was? (Archivbild)Bild: dpa / Justin Brosch
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12-Jährige in Bochum angeschossen: Setzt die Polizei zu leichtsinnig auf Schusswaffen?

In Bochum schoss ein Polizist während eines Einsatzes auf ein Mädchen, das offenbar mit zwei Messern bewaffnet war. Vielfach wird hier kritisiert, dass mildere Mittel anwendbar gewesen wären. Wie leichtfertig nutzen Polizist:innen in Deutschland ihre Schusswaffen also wirklich?
19.11.2025, 07:3019.11.2025, 07:30

Eine Zwölfjährige soll mit zwei Messern auf Polizeibeamt:innen losgegangen sein. Ein 22-Jähriger versprüht Reizgas und bedroht Passant:innen mit einem Messer. Ein junger Mann ist suizidal, richtet dann ebenfalls ein Messer gegen Polizeibeamt:innen.

Was diese drei Fälle auf den ersten Blick gemeinsam haben, ist offensichtlich: Alle Personen trugen ein Messer oder drohten mit einem. Doch es gibt noch eine Gemeinsamkeit: In allen Fällen griff ein anwesender Polizist zur Waffe und schoss auf die Person. Zwei von ihnen sind verstorben, das zwölfjährige Mädchen aus Bochum schwebt noch in Lebensgefahr.

Gerade in ihrem Fall stellt sich aktuell die Frage: Braucht ein erwachsener Mann zur vermeintlichen Verteidigung gegen ein junges, noch dazu gehörloses Mädchen wirklich eine Schusswaffe? Müsste man in solchen Fällen nicht bedachter mit der "Gefahrenquelle" umgehen?

Polizist schießt auf 12-Jährige in Bochum: Experte verteidigt Tat

"Ja, natürlich. Das ist auch in den gesetzlichen Regelungen für die Polizei so vorgesehen", sagt Markus Thiel, Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Polizeirecht an der Deutschen Hochschule der Polizei, im Gespräch mit watson. Er verweist jedoch auf unterschiedliche Dringlichkeitsgrade im Einsatz: "Irgendwann bleibt eben nichts anderes mehr übrig, als auf kurze Distanz zu schießen."

Alle Polizist:innen würden zwar in der Ausbildung auf entsprechende Situationen trainiert – theoretisch wie praktisch. Ein Fokus liegt dabei auf der sogenannten Eigensicherung. Um eine Gefahr für das eigene Leben abzuwenden, dürfen laut offiziellen Dienstvorschriften der Polizei auch Waffen zum Einsatz kommen.

Für den Ernstfall üben die Polizist:innen hierbei, auf Arme oder Beine zu zielen, um wiederum das Gegenüber nicht lebensgefährlich zu verletzen. Der tatsächliche Gebrauch der Schusswaffe in der konkreten Einsatzsituation aber sei auch für sie laut Thiel "eine absolute Ausnahmesituation". Entsprechend sieht die Realität oft anders aus: Die Zwölfjährige aus Bochum traf der Schuss aufgrund der kurzen Distanz im Bauch.

Laut einem Bericht der Innenministerkonferenz hat die deutsche Polizei im Jahr 2024 74 Mal eine Schusswaffe gegen Personen eingesetzt. Dabei wurden demnach 21 Menschen getötet und 36 verletzt. Diese Zahl wächst in den vergangenen Jahren an.

Schusswaffeneinsatz der Polizei: Was hinter dem Muster steckt

Die Wahrnehmung, dass solche Fälle sich in den vergangenen Jahren häufen, führt Thiel wiederum auf die steigende Anzahl an Messerangriffen in Deutschland zurück.

In der Folge häuften sich auch die Einsätze, in denen Beamt:innen sich zum Schusswaffengebrauch gezwungen sehen. Patrick Schlüter, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen, argumentierte hierzu im Gespräch mit dem WDR mit einer besonderen Gefahr im Falle einer Messerandrohung. "Man kann Messer nicht im Nahkampf abwehren", sagte er.

Laut PKS lag die Zahl der Straftaten der Kategorie "Messerangriff" 2024 bei 29.014 – und damit tatsächlich mehr als 10 Prozent höher als noch im Vorjahr. All diese Daten beruhen allerdings auf den Angaben der Polizei selbst. Immer wieder wird hier ein gewisser bias kritisiert, eine Voreingenommenheit gegenüber den eigenen Kolleg:innen und dem eigenen Berufsfeld, die dazu führt, dass Informationen und Entscheidungen nicht objektiv sind.

"Was in der Polizeimeldung steht, muss nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Es hat sich in unzähligen Fällen in der Vergangenheit bestätigt, sich nie auf Polizeimeldungen zu stützen", schreibt hierzu der Journalist Mohamed Amjahid in einem Instagram-Post zu dem Bochumer Fall. Der Autor recherchiert seit Längerem zu Fällen von Polizeigewalt.

Bei den eingangs erwähnten Fällen von Lorenz A. und Mouhamed Dramé ging die Polizei von einem Messerangriff aus, wurde aber selbst gar nicht tätlich angegriffen. Diese Fälle werden in der Statistik nicht als Messerangriff gewertet. Trotzdem feuerten Beamt:innen einen Schuss auf die Personen ab. Kriminologe Tobias Singelnstein argumentiert hierzu im ZDF, dass viele Polizist:innen in Notsituationen lediglich das Gelernte "abspulen" würden und meist nur schwer auf individuelle Situationen reagieren könnten.

Schuss gegen Minderjährige: Ab wann ist Gewalt Selbstschutz?

Im aktuellen Fall aus Bochum sorgt vor allem das Alter der Betroffenen für Unverständnis. "Gegen Personen, die dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt sind, dürfen Schusswaffen nicht gebraucht werden", heißt es schließlich auch im Paragraf 63 des Polizeigesetzes von Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es allerdings eine Ausnahme: "Wenn der Schusswaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ist".

"Auch der Dreijährige, der mit dem Messer auf sie zuläuft oder auf eine andere Person, kann ja eine Gefahrenlage darstellen", sagt Markus Thiel gegenüber watson. Als Muster dürfte ein solches Vorgehen entsprechend dennoch nicht gelten. "Hier ist es wichtig zu differenzieren: Es gibt auch andere Fälle, in denen der Schusswaffengebrauch klar rechtswidrig war", betont er.

In seinen Augen sei schließlich auch die Umgebung, in der die entsprechende Tat stattfinde, zu beachten. Auf einem großen öffentlichen Platz etwa seien Angreifer:innen leichter ohne Waffe zu stoppen als in einer geschlossenen Wohnung. Hier wäre eine Strategie oft aggressionsfreie Kommunikation mit den Betroffenen – auch das war im Fall aus Bochum aufgrund der Behinderung des Mädchens wohl nicht möglich.

Dennoch erntet das Vorgehen der Polizei auf Social Media ordentlich Gegenwind. "Für die Mitarbeiter:innen der Wohngruppe ist es übrigens Alltag, dass die Kinder und Jugendlichen mit Gewaltausbrüchen Ihnen gegenüber agieren ", schreibt eine Nutzerin etwa unter dem Beitrag von Amjahid. "Wenn wir jedes Mal auf die Kinder schießen würden, gäbe es keine mehr. Völlig unverhältnismäßig und absolut verwerflich."

Expert:innen wie Kriminologe Singelnstein fordern in diesem Zusammenhang auch eine bessere Ausbildung von Polizist:innen im Umgang mit Menschen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen – zum Wohle beider Seiten. Und Thiel betont seinerseits: "Polizeibeamtinnen und -beamte sind nicht irgendwelche schießwütigen Berserker, die nichts lieber wollen, als von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen."

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