Die Verhaftung von Pawel Durow, dem Gründer und CEO von Telegram, sorgt für massive Unruhe in Russland. Denn der beliebte Messaging-Dienst, der dort besonders weit verbreitet ist, spielt eine zentrale Rolle im aktuellen Ukraine-Konflikt. Zwar ist Durow in Frankreich mittlerweile unter Auflagen wieder auf freien Fuß gekommen – dennoch wächst die Sorge unter vielen Blogger:innen.
Die App Telegram wurde laut World Population Review in Russland über 34,4 Millionen Mal heruntergeladen und wird von zahlreichen Russ:innen genutzt – darunter auch vom russischen Militär. "Sie haben praktisch den Kommunikationschef der russischen Armee festgenommen", schrieb etwa der Militärblogger Turned on Z War auf Telegram.
Doch wie genau wird die App im Krieg eingesetzt, und welche Konsequenzen hat die Verhaftung Durows? Eines steht fest: Die Inhaftierung des Telegram-Gründers in einem europäischen Land könnte weitreichende Folgen für Russlands militärische Aktivitäten in der Ukraine haben. Gleichzeitig versucht Russland, Spuren zu verwischen.
Telegram hat sich während des Krieges als ein zentrales russisches Kommunikationsmittel etabliert, laut dem russischen Exilmedium "Meduza" vor allem auf taktischer Ebene. Zu Beginn des Konflikts verdrängte der Dienst Konkurrenten wie Whatsapp. Insbesondere aufgrund von Sicherheitsbedenken gegenüber der amerikanischen Muttergesellschaft Meta und deren angeblicher Kooperation mit US-Geheimdiensten.
Der Messenger hat sich als unverzichtbares Werkzeug erwiesen, sowohl für die militärische Kommunikation als auch für die Verbreitung von Propaganda. Laut dem Institute for the Study of War ist der Dienst die "wichtigste Alternative zur offiziellen Kommunikation für das russische Militärpersonal in der Ukraine".
Innerhalb der Streitkräfte nutzen viele Einheiten Telegram-Chats, um etwa logistische Fragen zu klären oder wirtschaftliche Bedürfnisse zu organisieren.
Der russische Telegram-Kanal Rybar von einem früheren Mitarbeiter des russischen Verteidigungsministeriums, betont: Der Messenger sei "inzwischen nahezu das bedeutendste Mittel zur Kontrolle der Einheiten im Kriegsgebiet geworden". Laut "Meduza" wird der Messenger gelegentlich aber auch auf höheren Ebenen der Armeehierarchie genutzt.
Eine der wichtigsten Funktionen von Telegram ist "Meduza" zufolge jedoch die Verbindung zwischen Militär und Militärblogger:innen. Diese liefern exklusive Inhalte, die ihre Popularität auf der Plattform steigern.
Der Vorteil liegt jedoch nicht nur auf Seiten der Blogger:innen: Mit ihrer Reichweite können sie Spenden für militärische Ausrüstung sammeln. Ohne diese öffentlichen Kanäle wäre die Finanzierung und Ausstattung der Truppen erheblich schwieriger. Daher haben Militärblogger:innen ein starkes Interesse daran, den Zugang des Militärs zu Telegram aufrechtzuerhalten.
Obwohl Telegram als verschlüsselter Chat-Dienst bekannt ist und sich 2018 erfolgreich der Kontrolle durch die russische Regierung entziehen konnte, bleibt die Plattform nicht frei von staatlichem Einfluss. Expert:innen vermuten, dass der Kreml Wege gefunden hat, den Dienst zu manipulieren und strengere Gesetze durchzusetzen.
Christine Dugoin-Clément, Wissenschaftlerin an der Sorbonne Business School, betont bei "euronews": "Es gibt eine Menge Kanäle, die mehr oder weniger direkt mit dem Kreml oder dem russischen Verteidigungsministerium verbunden sind."
Dugoin-Clément erläutert die gesetzliche Lage in Russland: "Die Besitzer von Kanälen, die mehr als 10.000 Follower haben, müssen die Informationen an Roskomnadsor weitergeben, das ist mehr oder weniger die Organisation, die für die Kontrolle aller Medien und sozialen Netzwerke zuständig ist."
In demselben Gesetz werde geregelt, dass Kanäle mit mehr als 500.000 Follower:innen alle Informationen über seine User:innen zur Verfügung stellen muss, wenn Roskomnadsor oder der russische Geheimdienst FSB danach fragen. "Es gibt also keine Kontrolle, sondern, sagen wir, eine Art von mehr oder weniger Zusammenarbeit mit dem Kanal", erklärt sie.
Dennoch: Die Nutzung von Telegram bleibt für Russland auf höchster Ebene problematisch, da es erhebliche Datenschutzrisiken für Russland birgt. Die Möglichkeit, dass westliche Staaten Zugang zu Telegram erhalten könnten, stellt ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar.
Durch Durows Verhaftung offenbar einmal mehr.
Mitarbeiter:innen der russischen Präsidialverwaltung und Regierungsstellen sowie bestimmter Sicherheitsbehörden wurden angewiesen, ihre beruflichen Chats auf Telegram zu löschen. Dies berichtete der russische Telegram-Kanal Baza, der als gut vernetzt in Sicherheitskreisen gilt. Derartige Anordnungen sollen auch hochrangige Vertreter:innen des Verteidigungsministeriums sowie einige einflussreiche Unternehmer:innen erhalten haben.
Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass französische Behörden direkt auf die verschlüsselten Chats zugreifen können, bleibt das Thema heikel. Axel Legay, Professor an der Technischen Hochschule Louvain, gibt bei "euronews" zu bedenken:
So oder so: Mit Durow hinter Gittern stellt sich die Frage, wie die russischen Streitkräfte reagieren werden. Es besteht laut "euronews" die Möglichkeit, dass sie gezwungen sind, Telegram zu verlassen. Oder aber eine komplette Blockierung der Plattform.
Die Spekulationen darüber nehmen jedenfalls Fahrt auf.
In der vergangenen Woche kam es zu Störungen bei der Nutzung des Messengers, was von Expert:innen auf eine Feinabstimmung des Blockadesystems zurückgeführt wurde. Über VPN-Dienste konnte der Messenger jedoch weiterhin normal genutzt werden.
Wie genau sich die Situation entwickelt, bleibt abzuwarten. Klar ist aber, dass das Militär alternative Wege beschreiten wird.
Seit Jahren versucht das russische Verteidigungsministerium "Meduza" zufolge, ein eigenes Kommunikationssystem zu entwickeln. Es soll die Nutzung von zivilen Messengern wie Telegram ersetzen können. Bereits in der Sowjetunion wurden erste Ansätze für ein einheitliches Kontrollsystem entwickelt, das in den 2000er- und 2010er-Jahren weiter verfeinert wurde. Ein bedeutendes Element dieses Systems sollte das taktische Kontrollsystem Sozvezdie-M2 (ESU TK) sein, das in Verbindung mit einem "militärischen" Messenger eingesetzt werden sollte.
Bisher ist das offenbar noch nicht gelungen. Trotz umfassender Übungen und sogar Kampfeinsätzen in Syrien hat das System bis heute nicht die erhoffte Funktionalität erreicht. Insbesondere die Integration in die Luftstreitkräfte blieb erfolglos. Auch bei den Bodentruppen gibt es keine Berichte über einen erfolgreichen Einsatz des Systems.
Ein möglicher Grund für das Scheitern ist die Abhängigkeit von westlicher Technologie. Teile des Systems wurden offenbar von zivilen Herstellern in Deutschland und Taiwan bezogen. Angesichts der verschärften Sanktionen gegen Russland sind auch sie problematisch für das Land.