Wer an den Sudan denkt, dem kommen selten die atemberaubende Artenvielfalt und die Gastfreundschaft der Bevölkerung in den Sinn. Eigentlich hätte das Land, in dem Löwen, Elefanten und Antilopen leben und durch das der Nil fließt, viel zu bieten.
Doch der Sudan kommt nicht zur Ruhe. Seit Jahrzehnten wird das Land zerrissen von Machtkämpfen, Vernachlässigung und Gewalt.
Seit dem 15. April 2023 liefern sich die sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter General Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Dagalo, genannt "Hemedti", einen erbarmungslosen Krieg um Macht, Einfluss und Territorium.
Was als innerstaatlicher Konflikt begann, hat sich zur größten Vertreibungskrise der Welt ausgeweitet – und zum sichtbarsten Symbol des globalen Versagens humanitärer Prinzipien.
Über zwei Jahre nach Beginn der Kämpfe ist die Situation dramatisch: Infrastruktur wurde zerstört, Schulen geschlossen, ganze Städte entvölkert. Hunderttausende Menschen sind in Nachbarländer wie den Tschad, den Südsudan oder Ägypten geflohen und stoßen dort auf völlig überlastete Aufnahmelager und kaum staatliche Unterstützung.
Laut dem DTM Sudan Mobility Update sind inzwischen etwa 10 Millionen Menschen innerhalb des Sudan auf der Flucht, dazu kommen vier Millionen Geflüchtete in den Nachbarländern.
Die Zustände, denen Zivilist:innen ausgesetzt sind, beschreibt die Organisation als katastrophal: "Zivilist:innen werden bombardiert, ausgehungert und belagert, in eklatanter Missachtung des Völkerrechts", heißt es von NRC-Medienberater für Afrika, Karl Schembri, gegenüber watson.
Orte wie das überfüllte Flüchtlingslager Zamzam in Nord-Darfur, die Stadt El Fasher oder Viertel in Khartum und Wad Madani stehen unter dauerndem Beschuss. Hilfseinrichtungen werden gezielt angegriffen, Märkte geplündert, Kliniken zerbombt. Menschen in eingeschlossenen Gebieten müssen Blätter essen und aus Pfützen trinken, um zu überleben.
Besonders alarmierend ist die gezielte Behinderung humanitärer Hilfe: In einigen Regionen verweigern bewaffnete Gruppen den Zugang zu bereits vorab eingelagerten Hilfsgütern. Gleichzeitig steht der humanitäre Hilfsplan der Vereinten Nationen zur Jahresmitte bei nur 17 Prozent Finanzierung. Der NRC nennt das einen direkten Systemfehler und ein Versagen der internationalen Gemeinschaft auf ganzer Linie.
"Für Zivilisten im Sudan ist der Mangel an internationalem Handeln ein Todesurteil", warnt der NRC. "Die Welt sieht zu, wie sich eine Hungersnot entfaltet, wie Kriegsverbrechen geschehen – und tut fast nichts."
Auch operativ sei der Zugang zu notleidenden Menschen fast unmöglich geworden. "Wir werden an jeder Stelle blockiert – durch Bürokratie, durch Unsicherheit, und durch gezielte Behinderung", heißt es vom NRC. Selbst dort, wo Hilfslieferungen bereitstehen, fehlen sichere Korridore oder die politische Unterstützung, um sie zu verteilen.
Der Sudan-Experte Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild. Der UN-Sicherheitsrat, eigentlich für den internationalen Frieden zuständig, spiele bei diesem Krieg seit Langem "nur eine untergeordnete Rolle".
Ein Resolutionsentwurf, der zumindest den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern sollte, wurde 2024 von Russland blockiert – offenbar aus geopolitischem Kalkül: um westlichen Einfluss in der Region zu schwächen und die eigene Rolle als Schutzmacht einzelner Konfliktparteien zu wahren.
Sanktionen, Friedensmissionen und Mediationen sind alles Instrumente, die früher bei ähnlichen Konflikten auf UN-Ebene genutzt wurden. Heute seien sie kaum noch verfügbar. "Das ist Ausdruck einer massiven Krise multilateraler Konfliktbearbeitung", sagt Kurtz gegenüber watson.
Viele der Staaten, die heute entscheidend Einfluss nehmen könnten, hätten andere Interessen: strategische Allianzen, Rohstoffe, Migration etwa. Die Rettung der sudanesischen Bevölkerung hat keine Priorität.
Dass die multilateralen Strukturen der UN in einer tiefen Legitimationskrise stecken, zeigt sich auch daran, wie wenig sichtbar selbst drastische Eskalationen im Sudan auf der internationalen Bühne sind. In der öffentlichen Wahrnehmung steht der Sudan oft im Schatten anderer Großkonflikte.
Dabei ist die Lage vor Ort nicht nur humanitär verheerend, sondern birgt auch enorme geopolitische Risiken: etwa durch die Destabilisierung der gesamten Sahel-Region oder die zunehmende Einflussnahme externer Akteure wie Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägypten.
Und doch gibt es sie: Orte der Hoffnung, die jedoch weitgehend von der sudanesischen Zivilgesellschaft selbst getragen werden. Immer wieder gelingt es Aktivist:innen laut Kurtz, lokale Waffenstillstände auszuhandeln, Evakuierungen zu organisieren oder Schutzräume für besonders gefährdete Gruppen einzurichten.
Diese Initiativen sind nicht nur mutig, sondern oft effektiver als die Handlungen offizieller internationaler Institutionen. Dem Experten zufolge ließen sich solche lokalen Strukturen mit gezielter internationaler Unterstützung ausbauen und stärken, auch ohne formalen Waffenstillstand. "Gleichzeitig muss klar sein, dass nur ein effektives Ende des Krieges wirklich nachhaltigen Schutz bieten kann", sagt er.
Eine internationale Militärmission hingegen sei derzeit nicht realistisch. Es brauche vielmehr gezielten diplomatischen Druck, gezielte Finanzierung lokaler Partner und endlich eine handlungsfähige internationale Kontaktgruppe.
Ein solches Format war zuletzt im April 2025 bei einer Konferenz in London diskutiert worden. Doch die Gründung scheiterte – ausgerechnet an der Afrikanischen Union (AU), die zwar Vermittlungsformate etabliert hat, jedoch als ineffektiv gilt.
Ihre internen Widersprüche, mangelnde Ressourcen und die seit 2021 bestehende Suspendierung des Sudan aus der AU machen sie zu einem zahnlosen Akteur in einem blutigen Spiel.
Dass der Krieg im Sudan kein medialer Dauerbrenner ist, liegt nicht an mangelnder Kenntnis. "Die größte humanitäre Krise, die jemals gemessen wurde, ist kein 'blinder Fleck' der Weltpolitik", sagt Kurtz. "Alle relevanten Regierungen wissen, was im Sudan geschieht, und tun dennoch nicht genug – wenn sie nicht sogar dazu beitragen, ihn anzuheizen."
Kurtz warnt, dass internationale Normen "allenthalben von den mächtigsten Staaten der Welt ignoriert" würden: Der Trump-Regierung sei es beispielsweise augenscheinlich wichtiger, Migrant:innen "in Drittstaaten zu deportieren oder Rohstoffe zu extrahieren als sich um echte Diplomatie zu kümmern". Weiter sagt Kurtz:
Der Fall Sudan zeigt: Internationale Normen gelten nicht überall gleich. Und humanitäre Prinzipien sind nur so stark, wie der politische Wille, sie durchzusetzen.
"Die Glaubwürdigkeit der humanitären Grundsätze steht auf dem Spiel. Wenn eine Krise dieses Ausmaßes kein dringendes, gemeinsames Handeln auslöst, was dann?", fragt der NRC-Sprecher Karl Schembri.
Für Millionen Menschen im Sudan dürfte die Antwort längst klar sein. Denn die Nicht-Reaktion auf den Krieg im Sudan ist mehr als ein diplomatisches Versäumnis. Sie ist ein moralischer Offenbarungseid.