Politik
International

Sudan-Experte: Bürgerkrieg löst schlimmste humanitäre Krise jemals aus

250628 -- TINE, June 28, 2025 -- Sudanese refugees relocated from the eastern Chadian city of Tine, set up a makeshift tent in Iridimi, Chad, June 25, 2025. According to the United Nations, one in thr ...
Vertriebene im Sudan sind auf sich allein gestellt – ohne Wasser, Nahrung oder medizinische Versorgung.Bild: imago images / Xinhua
International

Krieg im Sudan: Kinder trinken aus Pfützen und die Welt schaut weg

Gewalt, 15.000.000 Vertriebene und systematisches Aushungern ganzer Städte: Der Sudan ist längst zur Blaupause eines globalen Desinteresses geworden. Und zum Prüfstein für das, was von humanitären Prinzipien übrig ist.
09.07.2025, 19:0810.07.2025, 09:32
Mehr «Politik»

Wer an den Sudan denkt, dem kommen selten die atemberaubende Artenvielfalt und die Gastfreundschaft der Bevölkerung in den Sinn. Eigentlich hätte das Land, in dem Löwen, Elefanten und Antilopen leben und durch das der Nil fließt, viel zu bieten.

Doch der Sudan kommt nicht zur Ruhe. Seit Jahrzehnten wird das Land zerrissen von Machtkämpfen, Vernachlässigung und Gewalt.

Seit dem 15. April 2023 liefern sich die sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter General Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Dagalo, genannt "Hemedti", einen erbarmungslosen Krieg um Macht, Einfluss und Territorium.

Was als innerstaatlicher Konflikt begann, hat sich zur größten Vertreibungskrise der Welt ausgeweitet – und zum sichtbarsten Symbol des globalen Versagens humanitärer Prinzipien.

In this video frame, displaced Sudanese sit next to a bullet-riddled wall, taking shelter in a school after being evacuated by the Sudanese army from areas once controlled by the paramilitary Rapid Su ...
Vertriebene Sudanesen sitzen neben einer von Kugeln durchlöcherten Wand.Bild: AP

Sudan: Eine humanitäre Katastrophe historischen Ausmaßes

Über zwei Jahre nach Beginn der Kämpfe ist die Situation dramatisch: Infrastruktur wurde zerstört, Schulen geschlossen, ganze Städte entvölkert. Hunderttausende Menschen sind in Nachbarländer wie den Tschad, den Südsudan oder Ägypten geflohen und stoßen dort auf völlig überlastete Aufnahmelager und kaum staatliche Unterstützung.

Laut dem DTM Sudan Mobility Update sind inzwischen etwa 10 Millionen Menschen innerhalb des Sudan auf der Flucht, dazu kommen vier Millionen Geflüchtete in den Nachbarländern.

Die Zustände, denen Zivilist:innen ausgesetzt sind, beschreibt die Organisation als katastrophal: "Zivilist:innen werden bombardiert, ausgehungert und belagert, in eklatanter Missachtung des Völkerrechts", heißt es von NRC-Medienberater für Afrika, Karl Schembri, gegenüber watson.

ARCHIV - 19.03.2024, S
Millionen Menschen sind innerhalb des Sudan auf der Flucht.Bild: dpa / Eva-Maria Krafczyk

Orte wie das überfüllte Flüchtlingslager Zamzam in Nord-Darfur, die Stadt El Fasher oder Viertel in Khartum und Wad Madani stehen unter dauerndem Beschuss. Hilfseinrichtungen werden gezielt angegriffen, Märkte geplündert, Kliniken zerbombt. Menschen in eingeschlossenen Gebieten müssen Blätter essen und aus Pfützen trinken, um zu überleben.

Besonders alarmierend ist die gezielte Behinderung humanitärer Hilfe: In einigen Regionen verweigern bewaffnete Gruppen den Zugang zu bereits vorab eingelagerten Hilfsgütern. Gleichzeitig steht der humanitäre Hilfsplan der Vereinten Nationen zur Jahresmitte bei nur 17 Prozent Finanzierung. Der NRC nennt das einen direkten Systemfehler und ein Versagen der internationalen Gemeinschaft auf ganzer Linie.

"Für Zivilisten im Sudan ist der Mangel an internationalem Handeln ein Todesurteil", warnt der NRC. "Die Welt sieht zu, wie sich eine Hungersnot entfaltet, wie Kriegsverbrechen geschehen – und tut fast nichts."

250628 -- TINE, June 28, 2025 -- This photo taken on June 26, 2025 shows newly arrived Sudanese refugees at the border in the eastern Chadian city of Tine. According to the United Nations, one in thre ...
Neu angekommene sudanesische Flüchtlinge an der Grenze in der osttschadischen Stadt Tine. Bild: imago images / Xinhua

Auch operativ sei der Zugang zu notleidenden Menschen fast unmöglich geworden. "Wir werden an jeder Stelle blockiert – durch Bürokratie, durch Unsicherheit, und durch gezielte Behinderung", heißt es vom NRC. Selbst dort, wo Hilfslieferungen bereitstehen, fehlen sichere Korridore oder die politische Unterstützung, um sie zu verteilen.

Symbol globaler Ohnmacht: das Versagen des Sicherheitsrats

Der Sudan-Experte Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild. Der UN-Sicherheitsrat, eigentlich für den internationalen Frieden zuständig, spiele bei diesem Krieg seit Langem "nur eine untergeordnete Rolle".

Ein Resolutionsentwurf, der zumindest den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern sollte, wurde 2024 von Russland blockiert – offenbar aus geopolitischem Kalkül: um westlichen Einfluss in der Region zu schwächen und die eigene Rolle als Schutzmacht einzelner Konfliktparteien zu wahren.

Sanktionen, Friedensmissionen und Mediationen sind alles Instrumente, die früher bei ähnlichen Konflikten auf UN-Ebene genutzt wurden. Heute seien sie kaum noch verfügbar. "Das ist Ausdruck einer massiven Krise multilateraler Konfliktbearbeitung", sagt Kurtz gegenüber watson.

Viele der Staaten, die heute entscheidend Einfluss nehmen könnten, hätten andere Interessen: strategische Allianzen, Rohstoffe, Migration etwa. Die Rettung der sudanesischen Bevölkerung hat keine Priorität.

Dass die multilateralen Strukturen der UN in einer tiefen Legitimationskrise stecken, zeigt sich auch daran, wie wenig sichtbar selbst drastische Eskalationen im Sudan auf der internationalen Bühne sind. In der öffentlichen Wahrnehmung steht der Sudan oft im Schatten anderer Großkonflikte.

Dabei ist die Lage vor Ort nicht nur humanitär verheerend, sondern birgt auch enorme geopolitische Risiken: etwa durch die Destabilisierung der gesamten Sahel-Region oder die zunehmende Einflussnahme externer Akteure wie Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägypten.

Lokaler Widerstand im Sudan: Die Hoffnung kommt von innen

Und doch gibt es sie: Orte der Hoffnung, die jedoch weitgehend von der sudanesischen Zivilgesellschaft selbst getragen werden. Immer wieder gelingt es Aktivist:innen laut Kurtz, lokale Waffenstillstände auszuhandeln, Evakuierungen zu organisieren oder Schutzräume für besonders gefährdete Gruppen einzurichten.

250629 -- BEIJING, June 29, 2025 -- Relocated Sudanese refugees set up a makeshift tent in the eastern Chadian city of Iridimi, on June 27, 2025. According to the United Nations, one in three Sudanese ...
Ein Großteil der Bevölkerung in Sudan ist auf sich selbst gestellt.Bild: imago images / Xinhua

Diese Initiativen sind nicht nur mutig, sondern oft effektiver als die Handlungen offizieller internationaler Institutionen. Dem Experten zufolge ließen sich solche lokalen Strukturen mit gezielter internationaler Unterstützung ausbauen und stärken, auch ohne formalen Waffenstillstand. "Gleichzeitig muss klar sein, dass nur ein effektives Ende des Krieges wirklich nachhaltigen Schutz bieten kann", sagt er.

Eine internationale Militärmission hingegen sei derzeit nicht realistisch. Es brauche vielmehr gezielten diplomatischen Druck, gezielte Finanzierung lokaler Partner und endlich eine handlungsfähige internationale Kontaktgruppe.

Ein solches Format war zuletzt im April 2025 bei einer Konferenz in London diskutiert worden. Doch die Gründung scheiterte – ausgerechnet an der Afrikanischen Union (AU), die zwar Vermittlungsformate etabliert hat, jedoch als ineffektiv gilt.

Ihre internen Widersprüche, mangelnde Ressourcen und die seit 2021 bestehende Suspendierung des Sudan aus der AU machen sie zu einem zahnlosen Akteur in einem blutigen Spiel.

Dass der Krieg im Sudan kein medialer Dauerbrenner ist, liegt nicht an mangelnder Kenntnis. "Die größte humanitäre Krise, die jemals gemessen wurde, ist kein 'blinder Fleck' der Weltpolitik", sagt Kurtz. "Alle relevanten Regierungen wissen, was im Sudan geschieht, und tun dennoch nicht genug – wenn sie nicht sogar dazu beitragen, ihn anzuheizen."

Kurtz warnt, dass internationale Normen "allenthalben von den mächtigsten Staaten der Welt ignoriert" würden: Der Trump-Regierung sei es beispielsweise augenscheinlich wichtiger, Migrant:innen "in Drittstaaten zu deportieren oder Rohstoffe zu extrahieren als sich um echte Diplomatie zu kümmern". Weiter sagt Kurtz:

"Für andere, wie die Bundesregierung, sind die bilateralen Beziehungen zu einflussreichen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägypten offensichtlich deutlich wichtiger als deren Einfluss in Sudan einzudämmen."

Der Fall Sudan zeigt: Internationale Normen gelten nicht überall gleich. Und humanitäre Prinzipien sind nur so stark, wie der politische Wille, sie durchzusetzen.

"Die Glaubwürdigkeit der humanitären Grundsätze steht auf dem Spiel. Wenn eine Krise dieses Ausmaßes kein dringendes, gemeinsames Handeln auslöst, was dann?", fragt der NRC-Sprecher Karl Schembri.

Für Millionen Menschen im Sudan dürfte die Antwort längst klar sein. Denn die Nicht-Reaktion auf den Krieg im Sudan ist mehr als ein diplomatisches Versäumnis. Sie ist ein moralischer Offenbarungseid.

Trump blamiert sich mit Englisch-Kommentar bei Besuch von Staatsgästen
Donald Trump hat bei einem Besuch afrikanischer Präsidenten im Weißen Haus für Aufregung gesorgt. Er lobte – nicht zum ersten Mal – seinen Besuch für die Englischkenntnisse.

Schon vor seiner ersten Amtszeit als US-Präsident war erkennbar, dass Donald Trump ein Fanatiker beim Thema Sprache ist – für die englische Sprache. Obwohl ein nicht unerheblicher Teil der Wähler:innen Spanisch spricht, weigerte sich Trump, Wahlkampfauftritte oder Websites auf Spanisch anzubieten. "Dies ist ein Land, in dem wir Englisch sprechen, nicht Spanisch", sagte er einst.

Zur Story