Noch Beifahrer, übernimmt er bald das Steuer? Friedrich Merz will die Führung der CDU übernehmen.Bild: imago
Deutschland
Platzt die Koalition? – Der Merz-Hype bringt die Regierung aus der Spur
02.11.2018, 09:4702.11.2018, 11:34
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Die CDU scheint in Euphorie zu sein. Seit Angela
Merkel am Montag völlig überraschend ihren Ausstieg auf Raten
verkündet und ihr Widersacher Friedrich Merz die Kandidatur für den
Parteivorsitz angekündigt hat, ist es, als sei von größeren Teilen
der Christdemokraten eine Art Lähmung abgefallen.
Würde Merz mit der früheren Kontrahentin Merkel auskommen oder sie schnell zum Rückzug auch aus dem Kanzleramt treiben?
Wie könnten die anderen ernstzunehmenden Kandidaten - Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn - mit der Kanzlerin auskommen?
Oder verliert die SPD doch die Nerven und sucht ihr Heil nach nicht einmal einem Jahr ungeliebter GroKo in der Opposition?
Keiner weiß das im Moment so genau, alles ist
Spekulation. Fakten und mögliche Szenarien der kommenden Wochen:
Wie sieht der Fahrplan für die nächsten Tage aus?
Die Spitzen von CDU und SPD kommen am Sonntag und
Montag zu getrennten Sitzungen in Berlin zusammen. Die
Christdemokraten unter der scheidenden Chefin Merkel stehen vor der
Mega-Aufgabe, einen transparenten, fairen und am Ende rechtlich
unangreifbaren demokratischen Prozess zu organisieren, bei dem sich
nicht nur die prominenten, sondern auch die eher unbekannten
Kandidaten vorstellen können.
Gut möglich, dass es dafür Regionalkonferenzen gibt. Die Tücke liegt
im Detail – die CDU-Spitze muss etwa entscheiden, ob es Fragerunden
gibt und wer eingeladen wird: alle Parteimitglieder, Funktions- und
Mandatsträger, oder doch nur die 1001 Delegierten, die am Ende beim
Parteitag in Hamburg am 7. Dezember entscheiden? Eine
Mitgliederbefragung, die laut Satzung möglich wäre und von manchen
gefordert wurde, ist unwahrscheinlich: zu kurz die Frist, um ein
solches Format noch zu organisieren.
Die AfD bejubelt das Aus von Angela Merkel – zu früh...
Video: watson/Max Biederbeck, Lia Haubner
Was macht der einflussreiche NRW-Landesverband?
Am 7. November läuft die
Antragsfrist für den CDU-Parteitag aus - bis dahin müssen die
Landesverbände auch ihre Kandidaten für die Wahlen zur CDU-Spitze
benannt haben. Da geht es nicht nur um das Merkel-Erbe – die gesamte
Führungsspitze wird neu gewählt, von den Stellvertretern über das
Präsidium bis zum Vorstand.
Die Spitze des größten CDU-Landesverbands Nordrhein-Westfalen kommt
am Dienstagabend zusammen, um über die Personalien zu entscheiden.
Der Chef, Ministerpräsident Armin Laschet, dem auch Ambitionen auf
das Merkel-Erbe nachgesagt wurden, hat bereits abgewunken, zumindest
vorerst: In der aktuellen Konstellation mit der Trennung von
Parteiamt und Kanzlerschaft werde er nicht antreten.
Das Treffen ist dennoch spannend: die beiden konservativen
Kandidaten, Merz und Spahn, kommen beide aus NRW. Und auch einige der
wichtigsten Merkel-Kritiker wie der Chef der Mittelstandsvereinigung
MIT, Carsten Linnemann, und Junge-Union-Chef Paul Ziemiak. Eigentlich
galten sie als Spahn-Unterstützer - nun dürften sie in der Zwickmühle
stecken, ob sie sich nicht doch lieber hinter den
wirtschaftsliberalen Merz stellen. Sie sind Vorsitzende wichtiger
sozialer Gruppen in der CDU, ihr Wort hat Gewicht. Am Sonntag, vor
der Vorstandsklausur, wollen die Gruppierungen ihr Vorgehen
abstimmen.
AKK, Spahn, Merz – wer setzt sich durch?
Noch ist nichts
entschieden. Doch mit jedem Namen verbinden sich Spekulationen
darüber, wie die Zusammenarbeit mit Merkel klappen könnte. Und wie
sich dies wieder auf die schlingernde GroKo auswirken könnte. Merkel
hatte ja angekündigt, sie stehe für die volle Legislaturperiode als
Kanzlerin bereit.
So glauben viele in der CDU, als neuer Parteichef würde Merz Merkel
rasch drängen, auch das Kanzleramt zu räumen. Abgesehen davon, dass
dies gar nicht so einfach wäre - Merkel müsste wollen und dann wohl
eine Vertrauensfrage im Parlament absichtlich verlieren - glauben
manche in der Partei auch, Merz müsse gar kein Interesse an einem
solchen Schritt haben. Der Sauerländer könne ja eigentlich nicht
wollen, dass es um ihn eine Art "Dolchstoß-Legende" gäbe. Er könne
auch erstmal die wichtige Europawahl im Mai 2019 und die intern wohl
noch wichtiger genommene Landtagswahl in Sachsen am 1. September
abwarten, wo es vor allem um das Abschneiden der AfD gehen dürfte.
Allen drei Kandidaten werden in der CDU reelle Chancen eingeräumt – Spahn dürfte sich allerdings am meisten über Merz' überraschende
Kandidatur ärgern. Beide fischen nun im selben Milieu - dem der
besonders konservativen Christdemokraten, die von Merkels
Migrationspolitik und ihrem Kurs der Mitte enttäuscht sind.
Annegret Kramp-Karrenbauer - parteiintern AKK genannt - will sich
anders als Merz und Spahn erst in der kommenden Woche öffentlich zur
Kandidatur äußern und könnte die lachende Dritte sein. Zumal sie
nicht nur unter den Frauen und in der JU zahlreiche Anhänger hat. Gut
möglich, dass etliche Delegierte am Ende auch deshalb ihr Kreuz bei
AKK machen, weil sie die Aussicht auf einen möglichen Rechtsschwenk
mit Merz oder Spahn an der Spitze schreckt. Merkel könnte wohl mit
der Saarländerin als Parteichefin am längsten Kanzlerin bleiben.
Platzt die Koalition?
Nicht unbedingt. Selbst wenn die SPD die
ungeliebte schwarz-rote Regierung verlässt, liefe es nicht
automatisch auf eine rasche Neuwahl zu. Alle drei Kandidaten für den
CDU-Vorsitz könnten sich um neue Gespräche für ein Jamaika-Bündnis
mit Grünen und FDP bemühen - die Mehrheiten sind ja da. Die FDP wäre
- sofern Merkel ganz weg wäre - sicher gesprächsbereit, und auch die
Grünen würden wohl nicht von vornherein abwinken.
Szenario 1: Eine Rebellion der SPD: An der Basis werden Stimmen laut, die einen Sonderparteitag fordern, den Rücktritt von Andrea Nahles, die Urwahl eines neuen Vorsitzenden durch die Mitglieder und den Ausstieg aus der großen Koalition. Ein Bündnis um den Bundestagsabgeordneten Marco Bülow, die Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange - die gegen Nahles die Wahl um den Vorsitz verlor - und den Sozialexperten Rudolf Dreßler betont: «Die Talfahrt der SPD wird zum freien Fall. Schluss mit Beschwichtigungen (...) und dem angeblich x-ten Neustart in der großen Koalition.» Unwahrscheinlich, dass der Druck der Basis im Vorstand zu Kurzschlussreaktionen führt. Aber Nahles ist schwer angeschlagen - und es fällt auf, wie führende Genossen wie Stephan Weil oder Manuela Schwesig auf Distanz sind.
Szenario 2: Die SPD will mehr: Dies gilt am wahrscheinlichsten - denn es fehlt ein Exit-Plan aus der ungeliebten Koalition. Bei der SPD-Klausur am Sonntag dürfte der von Nahles vorgeschlagene Arbeitsplan für ein besseres und verbindlicheres Regieren verschärft werden - so wird Klarheit für die von Fahrverboten bedrohten Dieselfahrer gefordert und ein härterer Kurs bei Waffenexporten. Eigentlich braucht es ein paar neue, über den Koalitionsvertrag hinausgehende Punkte. Zuletzt wurden zum Beispiel von Vizekanzler Olaf Scholz wieder 12 Euro Mindestlohn gefordert und eine Sicherung der Renten bis 2040. Blockiert die Union, könnte die SPD die Koalition verlassen – so wie 1982 die FDP, die von der SPD zur CDU wechselte.
Szenario 3: Die Genossen warten ab: Gespannt wird auf den CDU-Parteitag Anfang Dezember geblickt. Denn vom Merkel-Nachfolger an der Parteispitze hängt viel ab. Gewinnt ihr Gegner Merz, könnte es auch mit der Koalition ganz schnell vorbei sein. Mit der Klärung bei der CDU und einem weiteren Umfragetief bei der SPD könnte es auch zu personellen Veränderungen bei der SPD kommen, erst Recht sollte eine rasche Neuwahl drohen.
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