Die CDU scheint in Euphorie zu sein. Seit Angela Merkel am Montag völlig überraschend ihren Ausstieg auf Raten verkündet und ihr Widersacher Friedrich Merz die Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt hat, ist es, als sei von größeren Teilen der Christdemokraten eine Art Lähmung abgefallen.
Keiner weiß das im Moment so genau, alles ist Spekulation. Fakten und mögliche Szenarien der kommenden Wochen:
Die Spitzen von CDU und SPD kommen am Sonntag und Montag zu getrennten Sitzungen in Berlin zusammen. Die Christdemokraten unter der scheidenden Chefin Merkel stehen vor der Mega-Aufgabe, einen transparenten, fairen und am Ende rechtlich unangreifbaren demokratischen Prozess zu organisieren, bei dem sich nicht nur die prominenten, sondern auch die eher unbekannten Kandidaten vorstellen können.
Gut möglich, dass es dafür Regionalkonferenzen gibt. Die Tücke liegt im Detail – die CDU-Spitze muss etwa entscheiden, ob es Fragerunden gibt und wer eingeladen wird: alle Parteimitglieder, Funktions- und Mandatsträger, oder doch nur die 1001 Delegierten, die am Ende beim Parteitag in Hamburg am 7. Dezember entscheiden? Eine Mitgliederbefragung, die laut Satzung möglich wäre und von manchen gefordert wurde, ist unwahrscheinlich: zu kurz die Frist, um ein solches Format noch zu organisieren.
Am 7. November läuft die Antragsfrist für den CDU-Parteitag aus - bis dahin müssen die Landesverbände auch ihre Kandidaten für die Wahlen zur CDU-Spitze benannt haben. Da geht es nicht nur um das Merkel-Erbe – die gesamte Führungsspitze wird neu gewählt, von den Stellvertretern über das Präsidium bis zum Vorstand.
Die Spitze des größten CDU-Landesverbands Nordrhein-Westfalen kommt am Dienstagabend zusammen, um über die Personalien zu entscheiden. Der Chef, Ministerpräsident Armin Laschet, dem auch Ambitionen auf das Merkel-Erbe nachgesagt wurden, hat bereits abgewunken, zumindest vorerst: In der aktuellen Konstellation mit der Trennung von Parteiamt und Kanzlerschaft werde er nicht antreten.
Das Treffen ist dennoch spannend: die beiden konservativen Kandidaten, Merz und Spahn, kommen beide aus NRW. Und auch einige der wichtigsten Merkel-Kritiker wie der Chef der Mittelstandsvereinigung MIT, Carsten Linnemann, und Junge-Union-Chef Paul Ziemiak. Eigentlich galten sie als Spahn-Unterstützer - nun dürften sie in der Zwickmühle stecken, ob sie sich nicht doch lieber hinter den wirtschaftsliberalen Merz stellen. Sie sind Vorsitzende wichtiger sozialer Gruppen in der CDU, ihr Wort hat Gewicht. Am Sonntag, vor der Vorstandsklausur, wollen die Gruppierungen ihr Vorgehen abstimmen.
Noch ist nichts entschieden. Doch mit jedem Namen verbinden sich Spekulationen darüber, wie die Zusammenarbeit mit Merkel klappen könnte. Und wie sich dies wieder auf die schlingernde GroKo auswirken könnte. Merkel hatte ja angekündigt, sie stehe für die volle Legislaturperiode als Kanzlerin bereit.
So glauben viele in der CDU, als neuer Parteichef würde Merz Merkel rasch drängen, auch das Kanzleramt zu räumen. Abgesehen davon, dass dies gar nicht so einfach wäre - Merkel müsste wollen und dann wohl eine Vertrauensfrage im Parlament absichtlich verlieren - glauben manche in der Partei auch, Merz müsse gar kein Interesse an einem solchen Schritt haben. Der Sauerländer könne ja eigentlich nicht wollen, dass es um ihn eine Art "Dolchstoß-Legende" gäbe. Er könne auch erstmal die wichtige Europawahl im Mai 2019 und die intern wohl noch wichtiger genommene Landtagswahl in Sachsen am 1. September abwarten, wo es vor allem um das Abschneiden der AfD gehen dürfte.
Allen drei Kandidaten werden in der CDU reelle Chancen eingeräumt – Spahn dürfte sich allerdings am meisten über Merz' überraschende Kandidatur ärgern. Beide fischen nun im selben Milieu - dem der besonders konservativen Christdemokraten, die von Merkels Migrationspolitik und ihrem Kurs der Mitte enttäuscht sind.
Annegret Kramp-Karrenbauer - parteiintern AKK genannt - will sich anders als Merz und Spahn erst in der kommenden Woche öffentlich zur Kandidatur äußern und könnte die lachende Dritte sein. Zumal sie nicht nur unter den Frauen und in der JU zahlreiche Anhänger hat. Gut möglich, dass etliche Delegierte am Ende auch deshalb ihr Kreuz bei AKK machen, weil sie die Aussicht auf einen möglichen Rechtsschwenk mit Merz oder Spahn an der Spitze schreckt. Merkel könnte wohl mit der Saarländerin als Parteichefin am längsten Kanzlerin bleiben.
Nicht unbedingt. Selbst wenn die SPD die ungeliebte schwarz-rote Regierung verlässt, liefe es nicht automatisch auf eine rasche Neuwahl zu. Alle drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz könnten sich um neue Gespräche für ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP bemühen - die Mehrheiten sind ja da. Die FDP wäre - sofern Merkel ganz weg wäre - sicher gesprächsbereit, und auch die Grünen würden wohl nicht von vornherein abwinken.
(pb/dpa)