"Erdoğan hier, hallo?" Abuzar Erdoğan meldet sich mit seinem Nachnamen am Telefon, dabei spricht er das eigentlich weiche, türkische "ğ" eingedeutscht direkt mit aus.
"Erdogahn" und "Erdoan"
Im Türkischen spricht man das "ğ" eigentlich nicht mit aus, Erdoğan wird "Erdoan" ausgesprochen, in Deutschland sagen viele Menschen "Erdogahn" und sprechen ein hartes "g".
Abuzar Erdoğan sitzt gerade bei Sonnenschein in seinem Garten in Rosenheim, 60 Kilometer von München entfernt. Der 24-Jährige ist im Süden Deutschlands geboren und aufgewachsen, Referendar am Landgericht Traunstein und hat bis vor zwei Jahren Jura in München studiert. Außerdem ist Abuzar Stadtrat von Rosenheim, SPD-Mitglied und seit über zehn Jahren politisch aktiv.
watson erzählt er, wie es ist, in Deutschland wie der türkische Präsident zu heißen.
"Ich heiße Abuzar Can Erdoğan, meine Eltern kommen beide aus der Nähe von Malatya, dem
zentralen Osten der Türkei. Meine Mutter ist 1977 als Gastarbeiterkind nach Deutschland gekommen, hat nach der Schule in einer Textilfabrik gearbeitet, mein Vater kam wenige Jahre später nach. Meine neun Jahre ältere Schwester ist Patentsachbearbeiterin.
"Mein Nachname kann nur ein Produkt des Zufalls sein"
Wir sind kurdische Aleviten, das kommt erschwerend
zum Namen hinzu. Kurden und Aleviten sind in der Türkei eine Minderheit,
die beide auf ihre Art und Weise eine gewisse Härte durch die Staatsgewalt oder
andere Gruppierungen erleben. Die Regierung Erdoğan geht nicht wirklich
zimperlich mit diesen Gruppen um. Daher
kann mein Nachname eigentlich nur ein Produkt des Zufalls sein.
Aleviten in der Türkei
Aleviten sind in der Türkei eine religiöse Minderheit und bilden circa 15-25 % der Muslime. Es herrscht außerhalb und innerhalb der Community Uneinigkeit darüber, ob sie Muslime sind oder nicht. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Syrienkonflikt: Nachdem sich der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan im Zuge der Eskalation der Gewalt in Syrien vom dortigen Herrscher Baschar al-Assad abgewandt hatte, bezeichnet er ihn nun als Terroristen und Diktator, vergleicht ihn gar mit Hitler. Bei ihrer "Anti-Assad-Polemik" verweisen Erdoğan und andere türkische Regierungsmitglieder auch des Öfteren auf den Religionsaspekt und suggerieren, dass türkische Aleviten sich aus religiösen Gründen mit den syrischen Machthabern solidarisierten, die der alawitischen Religionsgemeinschaft angehören. Dabei haben die arabischen Alawiten, auch diejenigen die im Südosten der Türkei leben, faktisch äußerst wenig mit den türkischen und kurdischen Aleviten gemein.
Das erste Mal wurde mein Name mir auf gewisse Weise zum Verhängnis, als ich 2013 für den Bundestag kandidierte. Da wurde ich sehr oft auf meinen Namen angesprochen, Menschen wollten mit mir über die Politik in der Türkei sprechen, sagten mir: 'Wie geht denn das? Das kann ja nicht sein, was in der Türkei vorgeht. Da kann man ja nicht zuschauen!'
Wie Mitmenschen reagieren:
Wenn ich Menschen außerhalb meiner gewohnten Umgebung kennen lerne, kommt bei meinem Nachnamen zuerst ein Schmunzeln oder leichtes Erschrecken. Oft werde ich komisch angeguckt. Je länger ich mich dann mit jemandem unterhalte, desto deutlicher wird dem Gegenüber: Ich trage zwar denselben
Nachnamen wie der türkische Staatspräsident, könnte aber kaum gegensätzlicher sein.
Mittlerweile ist es bei mir schon zu einem Reflex geworden,
dass ich direkt zu Beginn, wenn jemand meinen Namen aufschreiben muss,
hinterherschicke:
'Wie der türkische Präsident – aber nicht verwandt und nicht verschwägert und auch sonst nicht in Verbindung.'
Es ist mir wichtig, mich nie zu irgendetwas drängen zu lassen. Deswegen versuche ich auch immer öfter diesen Nachsatz wegzulassen, weil ich mich ja nicht erklären muss. Aber es passiert dann einfach.
Wahlplakatschmierereien und Terrorismus-Vorwürfe
Extrem ist es auch in Wahlkampfzeiten, wenn ich als
Kommunalpolitiker der SPD unterwegs bin. Da gibt es viele Menschen, die genau wissen, dass ich nichts mit Herrn Erdogan und seinen Ansichten gemein habe und mich trotzdem versuchen, in diese Ecke zu stellen. Gerade Rechtspopulisten versuchen dann mit dem Nachnamen zu arbeiten.
Meine Wahlplakate wurden schon mit Worten wie "Islamist" beschmiert, in der "SZ" gab es mal einen Artikel zum Wahlkampf in Bayern und irgendein CSU-ler hat kommentiert, dass es gewagt sei, sich mit so einem Namen zur Wahl zu stellen. Wenn ich am Wahlstand stehe, kommen Menschen auf mich zu und sagen in bayerischem Dialekt: "Na, an Erdogan wählen wir nicht!" Wenn jemand meint, er ist so witzig, dass er den Namen zum Anlass nehmen muss, mir Missachtung deutlich zu machen, kann ich darüber nur lachen. Von vielen fanatischen Türken hier bekomme ich hingegen oft Rückmeldungen, was ich mich in die türkische Politik einmische, dass ich ein Verräter oder Terrorist sei.
Abuzar beim Oktoberfestfacebook
In der Türkei gibt es mit meinem Namen keine Vorteile
Übrigens: In der Türkei habe ich durch den Namen keinerlei Vorteile. Im Gegenteil. Mein Vater wurde schon zwei Mal am Flughafen ohne Grund angehalten, sein Handy vom Personal durchleuchtet. Warum, wissen wir bis heute nicht. Deswegen vermeide ich Reisen in das Land momentan, das letzte Mal war ich 2015 in der Türkei.
Ich bin verwundert, wie sehr sich die Bundesregierung von
ihm einspannen lässt. Klar, einen Staatsbesuch kann man machen, aber muss man ihn
gleich so empfangen? Militärische Ehrungen, Bankett-das muss wirklich nicht
sein. Er torpediert ja alles, was man hier versucht politisch zu vertreten.
Ob es die freie Presse ist, seine Außenpolitik die darauf abzielt, immer
weitere Fluchtursachen zu schaffen, seine verbalen Ausreißer. Ich weiß nicht,
inwiefern das rechtfertigt, ihm hier den roten Teppich auszurollen und in
dieser pompösen Weise zu empfangen.
Ins Deutsche übersetzt bedeutet mein Nachname übrigens so etwas wie "Der Erborene" und kommt in der Türkei sehr häufig vor. Erdoğan ist so geläufig wie Müller oder Schmidt hierzulande. Es ist aber ausgeschlossen, dass der türkische Präsident und ich über irgendeine Ecke verwandt sind.
Deshalb ist mein Nachname mal Fluch, mal Segen. Fluch deshalb,
weil man in Verbindung gebracht wird mit einer Politik, zu der man keinerlei
Bezug hat. Segen, weil es auch ein Gesprächsöffner sein kann. Er stört mich im nicht, aber mit so einem Nachnamen muss man momentan auf jeden Fall selbstbewusst sein.
Ich würde meinen Nachnamen aber niemals tauschen wollen, weil ich damit meine eigene Familie verbinde.
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