Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat Zweifel an den Informationen über Hetzjagden während der Demonstrationen in Chemnitz geäußert. Die SPD will in der Angelegenheit das parlamentarische Kontrollgremium einschalten. "Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt", sagte Maaßen der "Bild"-Zeitung (Freitagsausgabe). Dem Verfassungsschutz lägen "keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben".
Die Bundesregierung hat diese Informationen direkt von Maaßen noch gar nicht erhalten. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag in Berlin: "Es hat dazu kein Gespräch der Bundeskanzlerin mit Herrn Maaßen in den letzten Tagen gegeben."
Die Behörde teilte am Freitagabend mit, sie werte das Material noch aus. In der Erklärung heißt es wörtlich:
Die Behörde überprüft also die Aufnahmen. Und damit auch die Aussagen des eigenen Präsidenten, der sich in der Zeitung "Bild" schon mal festgelegt hatte.
Zu einem Video, das Jagdszenen auf ausländische Menschen in Chemnitz zeigen soll, hatte Maaßen gesagt:
Nach seiner vorsichtigen Bewertung sprächen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelte, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken, sagte der Verfassungsschutz-Präsident weiter.
Die SPD will wegen der Äußerungen des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zu den Übergriffen in Chemnitz das Parlamentarische Kontrollgremium anrufen. Dort werde Maaßen in der kommenden Woche Gelegenheit haben, "seine Behauptungen zu hinterlegen", sagte die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles am Freitag nach einer Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin.
Nach der Tötung eines 35-Jährigen in Chemnitz hatte es dort in den vergangenen Tagen mehrfach Kundgebungen rechter Gruppen gegeben. Dabei wurden auch Ausländer und Journalisten angegriffen. Zwei mutmaßlich aus Syrien und dem Irak stammende Männer sitzen wegen des Tötungsdelikts in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen wird seit Dienstag gefahndet.
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann sagte dem Deutschlandfunk, er habe kein Verständnis für diese Äußerungen:
Auch eine Gruppe von Sozialdemokraten sei auf dem Weg zum Bus von rechten Hooligans angegriffen worden. Oppermann forderte, dass der Staat bei solchen Zustände gegenhalten müsse.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin:
Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka sagte dem "Handelsblatt", er halte Maaßens Äußerungen angesichts der zahlreichen Medien- und Augenzeugenberichte sowie 120 Ermittlungsverfahren für eine "ziemlich steile These".
Am Freitag (18.30 Uhr) will die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz wieder am Karl-Marx-Monument in der Stadt demonstrieren. Dazu habe der Veranstalter rund 1000 Teilnehmer angemeldet, teilte die Stadtverwaltung mit. Eine Gegenkundgebung sei noch nicht angemeldet worden. Allerdings laden die Chemnitzer Theater zur gleichen Zeit und nur wenige hundert Meter von der Demonstration entfernt zu einem Gratiskonzert mit klassischer Musik gegen Fremdenfeindlichkeit ein.
AfD-Chef Alexander Gauland betrachtet die Aussagen von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen in der Diskussion über das Ausmaß der fremdenfeindlichen Übergriffe in Chemnitz als Klarstellungen. Maaßen habe "klargestellt", "dass es anders als von der Bundesregierung behauptet keine Beweise für Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz gibt", sagte Gauland am Freitag in Berlin.
Er forderte in diesem Zusammenhang den Rücktritt von Regierungssprecher Steffen Seibert, der ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von "Hetzjagden" in Chemnitz gesprochen hatte. "Es ist ein unerhörter Vorgang, dass Regierungssprecher Seibert offenbar regierungsamtliche Falschinformationen verbreitet hat", sagte Gauland. Seibert habe damit "maßgeblich zur aufgeheizten Stimmung in Chemnitz beigetragen" und "das Vertrauen in die Bundesregierung und den Staat weiter erschüttert".
Bundesinnenminister Horst Seehofer steht nach Ministeriumsangaben hinter dem in die Kritik geratenen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen. Auf die Frage, ob Maaßen noch das Vertrauen Seehofers genieße, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums am Freitag in Berlin: "Selbstverständlich."
Regierungssprecher Steffen Seibert vermied allerdings eine direkte Antwort auf die Frage, ob Kanzlerin Angela Merkel Maaßen ihr Vertrauen ausspreche und sagte: "Herr Maaßen hat eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe." Die Ministeriums-Sprecherin sagte, der Verfassungsschutz habe dem Innenressort mitgeteilt, dass es Zweifel an der These von Hetzjagden gebe.
(pbl/sg/afp/dpa)