Zwei aktuelle Gerichtsurteile zeigen, wann Meinungsfreiheit auch beim Thema NS-Verbrechen gilt – und wann nicht
03.08.2018, 18:5703.08.2018, 19:49
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Weil sie den Völkermord in den Gaskammern von Auschwitz bestreitet,
sitzt Ursula Haverbeck mit fast 90 Jahren im Gefängnis.
Zu Recht.
Sagt das Bundesverfassungsgericht. Die Leugnung des Holocaust ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ein zweiter Fall, der vor Gericht landete, zeigt allerdings auch: Nicht jede beschönigende
Darstellung des Nationalsozialismus ist für die Richter strafbar.
Der Fall Haverbeck
Das Landgericht Verden in Niedersachsen hatte Ursula Haverbeck wegen Volksverhetzung in acht Fällen zu zwei Jahren Haft verurteilt. Nun ist ist mit einer Beschwerde beim
Bundesverfassungsgericht gescheitert. Eine Bestrafung wegen Leugnung
des nationalsozialistischen Völkermordes sei grundsätzlich mit dem
Grundrecht auf Meinungsfreiheit vereinbar, teilte das Gericht am
Freitag in Karlsruhe mit. Die Verfassungsklage der 89-Jährigen wurde
deshalb nicht zur Entscheidung angenommen. (Az. 1 BvR 673/18)
Ursula HaverbeckBild: dpa
Haverbeck sitzt ihre Strafe seit Mai in einem Gefängnis in Bielefeld
ab. Außerdem hat das Landgericht Detmold Haverbeck
wegen Volksverhetzung rechtskräftig zu 14 Monaten Haft verurteilt.
Haverbeck hatte wiederholt behauptet, das deutsche
Konzentrationslager Auschwitz im besetzten Polen sei kein
Vernichtungs-, sondern ein Arbeitslager gewesen. In mehreren Artikeln
schrieb sie, die massenhafte Ermordung von Menschen jüdischen
Glaubens in den Gaskammern könne sich so nicht ereignet haben. In
Auschwitz-Birkenau starben Schätzungen zufolge etwa 1.1 Millionen
Menschen.
Ein zweiter Kläger hat Erfolg
Die Verfassungsbeschwerde eines zweiten Klägers, der wegen
Verharmlosung des NS-Völkermordes zu einer Geldstrafe verurteilt
worden war, hat dagegen Erfolg. Eine Verurteilung komme nur bei
Äußerungen in Betracht, die geeignet seien, den öffentlichen Frieden
zu gefährden, hieß es zur Begründung. (Az. 1 BvR 2083/15)
Der zweite Kläger ist ein Mann, der eine Internetseite namens "Netzradio Germania" betrieb. In einem dort veröffentlichten
Audio-Beitrag kritisiert ein anderer Sprecher die
Wehrmachtausstellung, die von 1995 bis 1999 in verschiedenen Städten
in Deutschland und Österreich zu sehen war. Unter anderem wirft er
den Ausstellungsmachern Fälschung und Manipulation vor.
Holocaust-Überlebenden unterstellt er, mit Vorträgen über die
Massenvernichtung Geld zu verdienen. Angaben über die Zahl der in Auschwitz oder Buchenwald vergasten Juden seien «erbärmlich gelogen». Das Landgericht Paderborn verurteilte den Betreiber von "Netzradio Germania" im Jahr 2015 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro.
#MeTwo zeigt den Alltagsrassismus in Deutschland:
Video: watson/Lia Haubner
Das allein begründet nach der Karlsruher Entscheidung keine
Strafbarkeit. Die Grenzen der Meinungsfreiheit seien nicht schon
überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die
Opfer nicht angemessen gewürdigt würden, heißt es in dem Beschluss.
Das Strafgesetzbuch stelle die Leugnung, Billigung oder Verharmlosung der NS-Verbrechen nur unter Strafe, wenn sie "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".
Das bedeute nicht, dass solche Meinungen gleichgültig hingenommen
werden müssten. Die freiheitliche Ordnung setze aber darauf, dass
solchen Äußerungen "grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der
öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird". Das
Landgericht Paderborn muss den Fall nun neu entscheiden.
Das Leugnen des Holocausts wie im Fall Haverbeck trägt für die
Verfassungsrichter dagegen "unmittelbar die Gefahr in sich, die
politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche
umkippen zu lassen". Sie mache mit ihren Artikeln gezielt und bewusst
Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung und den Zentralrat der Juden.
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