Annegret Kramp-Karrenbauer
wollte es nicht Wahlkampf nennen. Die CDU-interne Auseinandersetzung um die Nachfolge Angela Merkels im doppelten Sinne: Erst um den Parteivorsitz, dann um die Kanzlerkandidatur. AKK verwortspielte
den Machtkampf schließlich als einen Wettbewerb um die besten Ideen. Wohl auch, um von vornherein Schärfe aus der Auseinandersetzung zu nehmen.
Die ist allerdings längst da.
Erst befeuerte Jens
Spahn Halbwissen um den mit allerhand Mythen beladenen Migrationspakt. Dann sprang auch Friedrich Merz auf
den Migrationszug auf. Bei Anne Will erzählte er die Legende von der "Grenzöffnung" 2015 (im Schengenraum gab es allerdings gar keine Grenzen, die man hätte öffnen können) und ließ eine zweite anklingen: Bis heute sei nicht geklärt, "auf welcher Rechtsgrundlage die Grenzen eigentlich geöffnet wurden". Es ist die Erzählung eines vermeintlichen Rechtsbruchs durch Merkels Flüchtlingspolitik. Den es so allerdings nie gegeben hat. Deutschland hat sich 2015 dafür entschieden, europäisches Recht gerade nicht zu brechen. Die rechtliche Grundlage war das Dublin-III-Abkommen. Das bestätigte eine Entscheidung des EuGH 2017.
Egal. Einer geht noch, dachte sich Merz, um am Mittwoch dann im thüringischen Seebach bei der dritten CDU-Regionalkonferenz das Asylrecht erst in Frage zu stellen, um einen Tag später dann zu erklären, dass er das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage stelle.
Und zwar hier:
Dabei ist die ursprüngliche Aussage, die Merz missverstanden wissen will, eigentlich sehr eindeutig:
"Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, in dem ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung verankert ist"
Merz meinte den Artikel 16a des Grundgesetzes. Er sei seit langem der Meinung, dass offen darüber geredet werden müsse, ob dieses Asylgrundrecht "in dieser Form fortbestehen" könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt sei.
Aber: Ist das so?
Die
Aussage sei vor allem eines, sagt der Anwalt und Asylrechtsexperte Thomas
Oberhäuser watson: "Unsinn und von völliger Unkenntnis getragen." Diese
Diskussion, die Friedrich Merz da anzustoßen versucht, würde am Ergebnis nichts
ändern. Selbst, wenn es so wäre, das Deutschland das einzige Land auf der
Welt sei, in dem ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung verankert sei,
würde eine Streichung die Situation von Schutzberechtigten nicht
verändern. Auch ohne Artikel 16a Grundgesetz stünde all diesen Menschen ein
Recht auf Schutz zu. Es gelte die Genfer Flüchtlingskonvention, die das nahezu
identische Individualrecht auf Schutz verbürgt.
Auch Bernd
Mesovic, Leiter der Rechtspolitik bei Pro-Asyl, widerspricht. Der Hinweis auf das Grundgesetz wirke so, als sei
Deutschland der einzige Staat, der sich per Verfassung selbst verpflichtet
habe, eine einzelfallbezogene Prüfung von Asylanträgen durchzuführen, sagte er watson. Dadurch entstünde der Eindruck, andere Länder täten dies nur "gnadenhalber" oder
nach Ermessen. Mesovic sagt:
"Dem ist nicht so. Alle Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention haben sich mit ihrer Unterschrift verpflichtet, niemanden, dem Verfolgung droht, zurückzuweisen. Es handelt sich um eine völkerrechtliche Verpflichtung."
In der
EU ist das Asylrecht in Art.18 der Grundrechtecharta geregelt. Die wiederum bezieht sich auf die Genfer Konvention. Hieße, das individuelle Prüfungsverfahren hätte auch dann Geltung, wenn es Art. 16a des Grundgesetzes gar nicht gebe.
Kurzum: Artikel 16a steht keiner europäischen Lösung im Weg, wie Merz durch seine Aussage suggeriert. Es wurde in der Praxis längst von europäischen und internationalen Regelungen überholt. Die Debatte, die Friedrich Merz anzustoßen vorgibt, ist eine klassische Phantomdebatte. Und er führt sie sehr wahrscheinlich, um die Rechtskonservativen wieder einzufangen.
Mit einem Satz hatte Merz übrigens dann doch Recht:
"Für mich steht aber fest, dass wir die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext lösen können."
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