Durch das neue Polizeiaufgabengesetz hat die bayerische Polizei seit Mai so viele Befugnisse, wie noch nie. Sie darf Menschen überwachen, deren Post sicherstellen und sie festnehmen, die noch gar keine Straftat begangen haben. Dagegen haben im Mai Zehntausende Menschen in München demonstriert. Auch andere Bundesländer wollen ihre Polizeigesetze verschärfen und treffen dabei auf breiten Protest.
Gegen solche Gesetzesverschärfungen wenden sich die Aktivisten des Berliner "Peng! Kollektiv" jetzt mit einer kontroversen Aktion: Sie haben eine Online-Karte erstellt, auf der Streifenwagen, Polizeikontrollen und sogar verdeckte Zivilpolizisten öffentlich gemeldet werden können: Die "Cop Map".
"Die Idee ist, ein Tool anzubieten, das Menschen nutzen können, die aus Gründen die Polizei meiden wollen", sagt die Peng-Aktivistin Nina Los. (Was das für Gründe sind, dazu später mehr.) Die "Cop Map" ist in Zusammenarbeit mit dem Münchener Künstlerkollektiv "Polizeiklasse" entstanden.
Nutzer können etwa Polizeikontrollen auf der Karte eintragen – entweder indem sie ihren Standort am Smartphone eintippen, oder indem sie der "Cop Map" Zugriff auf ihre GPS-Standortdaten geben. Nina Los gibt ein Beispiel für so eine Meldung:
Auf der Karte bleibt die Meldung dann für eine gewisse Zeit öffentlich sichtbar. Auch vorbeifahrende Streifenwagen und sogar verdeckt arbeitende Zivilpolizisten können gemeldet werden.
Soll die Karte Kriminelle vor der Polizei warnen? Nina Los verneint das. "Kriminalität funktioniert in Deutschland auch ohne unser Tool ganz gut", sagt sie. Die Kriminellen würden nicht auf die "Cop Map" der Aktivisten warten, sondern seien bereits organisiert.
Stattdessen wollen die Aktionskünstler etwa potentiellen Betroffenen von "Racial Profiling" die Möglichkeit geben, die Polizei zu meiden. Unter dem Begriff versteht man Polizeikontrollen, die aufgrund äußerer Merkmale wie Haut- und Haarfarbe stattfinden. Polizeibehörden in Deutschland bestreiten zwar immer wieder, "Racial Profiling" zu betreiben.
Betroffene, Menschenrechtler und teilweise auch Gerichte kommen jedoch zu einem anderen Schluss:
So schrieb die Journalistin Sandhya Kambhampati im Januar 2017 für das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv ihre Erfahrung mit "Racial Profiling" in Berlin auf. In neun Monaten sei sie ganze 23 Mal von der Berliner Polizei kontrolliert worden. (Correctiv)
Im August 2018 gab das Oberverwaltungsgericht einem schwarzen Deutschen recht, der gegen die Bundespolizei klagte. Das Gericht kam zu dem Schluss: Beamte haben den Mann fünf Jahre zuvor am Bochumer Hauptbahnhof auch aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert. Eine zulässige Begründung hätten die Polizisten dafür nicht gehabt. (Zeit Online)
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert aufgrund solcher Fälle die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen, an die sich Betroffener unrechtmäßiger Polizeimaßnahmen wenden können. (Amnesty-Positionspapier)
Es gebe Schichten, die überproportional von "Polizeibrutalität, Gewalt und Willkür" betroffen seien, erklärt die Aktivistin ihre Sicht. Darüber werde jedoch nur selten geredet, "weil die Mehrheit der Gesellschaft diese Erfahrungen nicht macht."
Für Nina Los ist die Debatte um neue Polizeigesetze deshalb auch eine Chance. Bis zu 30.000 Menschen haben im Mai in München gegen die Verschärfung protestiert. "Durch das neue Polizeiaufgabengesetz denken sich jetzt auch immer mehr Menschen, die sonst nicht davon betroffen sind: ‚Moment mal, das geht mir jetzt aber zu weit",sagt die Peng-Aktivistin.
Einer der umstrittensten Punkte im neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz ist der Begriff der "Drohenden Gefahr". Mutmaßliche "Gefährder" können demnach auch dann überwacht, oder sogar vorsorglich eingesperrt werden, wenn sie noch gar keine Straftat begangen haben. Viele Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Auch Nina Los sagt: "Das stellt einen Eingriff in eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft dar."
Für die Aktionskünstler stellt die Polizei mit ihren neuen Befugnissen die eigentliche "Drohende Gefahr" für die Gesellschaft dar, der Begriff prangt groß auf der Website der "Cop Map".
Die Aktivisten vom "Peng! Kollektiv" und der Münchner "Polizeiklasse" wollen mit der "Cop Map" ein Zeichen setzen. Peng-Aktionen haben in der Vergangenheit vor allem eines geschafft: öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken.
Wenn es nach Nina Los geht, soll die "Cop Map" aber noch mehr bezwecken. Zwar würden keinerlei personenbezogene Daten der Melder aufgezeichnet. "Die geografischen Daten werden aber gespeichert", sagt Los.
Dafür müsse die Karte jedoch genug genutzt werden. Ob das wirklich passieren wird, oder ob die Aktion nur kurzzeitig für mediale Aufmerksamkeit sorgen wird, steht jedoch in den Sternen.
Die größte deutsche Polizeigewerkschaft hält erwartungsgemäß nichts von der Kritik, die die "Cop Map" an der deutschen Polizei anbringt. Auf watson-Anfrage nutzt die Gewerkschaft den Anlass allerdings, um indirekt mehr Polizeikräfte auf den Straßen zu fordern.
Wir haben auch die Polizei München gefragt, was sie von der Aktion hält. Sobald wir eine Antwort bekommen, wird die hier ergänzt.