Mit dem Verzicht von Angela Merkel auf den CDU-Vorsitz sieht sich die AfD ihrem Ziel näher gekommen, Regierungsverantwortung zu übernehmen.
"Unser Land erfährt weiterhin eine jährliche ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock", schrieb er in einem Gastbeitrag für die FAZ. Zudem konstatierte er: "Die fromme Bitte, über den September 2015 einfach nicht mehr zu sprechen, läuft ins Leere." Diese Sichtweise wird in der AfD geteilt.
Gebetsmühlenartig wiederholen ihre Funktionäre, die Ereignisse des Jahres 2015 – der Zuzug von rund einer Million Flüchtlingen und Migranten – sei ein Sündenfall gewesen. Verantwortlich dafür sei Kanzlerin Merkel.
Der ehemalige Unionsfraktionschef Merz hat sich zwar in der Flüchtlingspolitik nicht so eindeutig wie Spahn positioniert. Als Verfechter einer deutschen Leitkultur, der sich Zugezogene anzupassen hätten, verfechtet schlägt auch er Kernthemen der AfD an.
Die dritte Kandidatin für die Merkel-Nachfolge, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, gilt in der AfD dagegen als Merkel-Getreue, die deren Politik fortsetzen werde. Gauland hütet sich davor, einen der Bewerber zu empfehlen: "Das ist Sache der CDU. Je früher sie das Erbe von Merkel los wird, umso besser ist es für ganz Deutschland."
Spitzenpolitiker der AfD lösen sich dagegen schon seit einiger Zeit von einem kompromisslosen Oppositionskurs, der Regierungsverantwortung nur zulässt, wenn die Rechtspopulisten uneingeschränkt das Sagen haben.
Vor allem Vertreter des nationalistisch-konservativen Flügels um den Thüringer Parteichef Björn Höcke lehnen eine Zusammenarbeit mit der Union, SPD, FDP, Grüne oder Linkspartei ab. Bereits Ende September hatte jedoch Gauland – der einflussreichste AfD-Politiker – öffentlich eine Koalition ins Spiel gebracht und als Partner eine "ins Vernünftige gewendete CDU" anvisiert.
Im Oktober legte der stellvertretende Bundeschef Georg Pazderski nach und forderte seine Partei auf: "Sie muss ihre Regierungsfähigkeit möglichst bald herstellen und ihre Regierungswilligkeit deutlich machen."
Der Parteienforscher Oskar Niedermayer glaubt, dass die CDU womöglich schon im kommenden Jahr ihre Beziehung zur AfD überdenken könnte, wenn die Rechtspopulisten bei Landtagswahlen in Ostdeutschland wieder stark abschneiden. "Spätestens dann wird die Diskussion anfangen, wie man das Verhältnis zur AfD weiterhin definiert", sagte er Reuters.
Im Herbst 2019 wird in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt. Nach einigen Umfragen könnte die CDU in Sachsen derzeit in einem Viererbündnis mit SPD, Grüne und FDP an der Regierung bleiben. Rechnerisch ist auch ein Zweierbündnis mit AfD oder Linkspartei möglich. Ein Bündnis mit der Linken schließt Spahn aber aus, denn dann mache sich die Union beliebig und profillos. "Wenn einige nun sogar Koalitionen mit der Linkspartei erwägen, ist das symptomatisch", erklärte er vor dem Hintergrund von Überlegungen von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU).
Nach Einschätzung von AfD-Kenner Niedermayer birgt ein Bündnis mit der Union auf Bundesebene Risiken für die Rechtspopulisten. Denn Bedingung für eine Koalition sei eine eindeutige Abgrenzung von rechtsextremen Tendenzen. "Und das tut sie nicht", sagt der Parteienforscher. Grund sei ein Dilemma: "Je weiter die AfD nach rechts geht, umso eher verliert sie bürgerlich-konservative Protestwähler, und umgekehrt verliert sie den Rest."
(ds/aj/rtr)