Immer mehr Menschen kommen aus anderen Ländern nach Deutschland. Das stellt die Bundesregierung vor ein massives Problem.Bild: IMAGO images / Funke Foto Services
Deutschland
Es ist eines der heißen Themen in der Politik: die Migration. Immer mehr Menschen kommen nach Europa. Die Klimakrise begünstigt diese Entwicklung. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab es etwa 220.000 offizielle Asylanträge bis einschließlich August 2023 in diesem Jahr in Deutschland.
Schon jetzt liegt die Zahl der Anträge damit bereits knapp hinter den Zahlen für das gesamte Vorjahr. 2022 waren es insgesamt 244.132. Die Tendenz ist also steigend: Seit 2020 wächst die Zahl kontinuierlich an.
Dieser Tage erhitzt die Diskussion um den Umgang mit Migrant:innen intensiv die Gemüter. Viele Vorschläge kursieren bei der Frage, wie das Problem in Deutschland gelöst werden könnte. Aktuell ist im Zuge dessen die Debatte um Sach- und Geldleistungen für Asylbewerber:innen entfacht.
Hitzige Debatten über Migration beherrschen derzeit die Politiklandschaft in Deutschland.Bild: dpa / Paul Zinken
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte in mehreren Interviews deutlich, dass er dringenden Handlungsbedarf in Sachen Migration sieht. Anfang Oktober forderte Justizminister Marco Buschmann, im Kampf gegen illegale Migration, Geldleistungen für bestimmte Asylbewerber:innen zu streichen. Sie sollten nur noch Sachleistungen erhalten. Der Bund fordert eine komplette Umstellung auf Sachleistungen.
Teilweise herrscht Verwirrung rund um das Thema. Populismus und Falschinformationen auf Social Media stehen bei dieser Debatte an der Tagesordnung, so wie immer bei emotionalen Debatten. Watson wirft einen klaren Blick auf die hitzige Diskussion rund um Geld- und Sachleistungen und erklärt, worin die Vor- und Nachteile liegen.
Worüber wird derzeit konkret diskutiert?
Weil die Anzahl der Asylbewerber:innen stetig steigt, will der Bund vermehrt auf Sach- statt Geldleistungen setzen. So forderte der FDP-Fraktionschef Christian Dürr von den Ministerpräsident:innen der 16 Bundesländer, auf Sachleistungen umzustellen. Als Stichtag nennt er den 6. November. Dann ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Scholz geplant.
Bei dieser Konferenz soll die finanzielle Regelung im Umgang mit Migration geklärt werden. Vertreter:innen der Ampelkoalition haben des Öfteren auf die Möglichkeit hingewiesen, Asylbewerbende mit Sachleistungen und nicht mehr pauschal zu versorgen. Doch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält das für "nicht zielführend". Die Länder hingegen sehen das anders. Sie fordern, angesichts der rasant steigenden Anzahl von Asylbewerber:innen, mehr Geld vom Bund.
Wie ist die Regelung derzeit?
Derzeit ist es so, dass eine alleinstehende Person monatlich 182 Euro erhält. Hinzu kommen Leistungen für Lebensmittel, Medikamente und Kleidung im Wert von 228 Euro pro Person. Diese können entweder als Geld oder als Sachleistung erbracht werden. Laut Miriam Marnich, Referatsleiterin für Asyl, Flüchtlinge und Migration, ist es in vielen Unterkünften bereits so, dass diese großteils als Sachleistungen an die Menschen weitergegeben werden. Dies sagte sie gegenüber der "tagesschau".
Ein großer Teil der Unterstützung für Migrant:innen besteht bereits aus Sachleistungen. Bild: Imago images / Funke Foto Service
Warum will man jetzt auf Sachleistungen setzen?
Vor allem die FDP und die Union argumentieren, dass die finanzielle Unterstützung von Migrant:innen einen sogenannten "Pull-Faktor" darstelle. Das ausgezahlte Geld animiere also Menschen aus anderen Ländern dazu, nach Deutschland zu kommen. Zudem würden die Asylbewerber:innen das Geld an die Menschen in ihrer Heimat schicken, an ihre Familien, Freunde und Bekannten.
Das könne in zweierlei Hinsicht ein Problem sein: So erklärte etwa Finanzminister Buschmann beim ZDF-Format "Markus Lanz", dass Bargeld in Händen von Migrant:innen auch Schlepper mitfinanziere. Er erklärt dieses Argument so:
"In der Heimat sammelt die Familie oder die Dorfgemeinschaft Geld. Davon werden Schlepper bezahlt. Die Schlepper bringen die Menschen illegal nach Deutschland. (...) Die Leute bekommen hier Bargeld, obwohl das Gesetz eigentlich Sachleistungen vorsieht. Davon knapsen sie sich dann Geld ab, das wird in die Heimat überwiesen."
Deshalb fordert er die Einstellung der Geldleistungen für illegale Migrant:innen.
Was sind Gründe gegen eine völlige Umstellung?
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält eine komplette Umstellung auf Sachleistungen für "absolut nicht" zielführend. Das habe schlicht "praktische Gründe". Und: Hier müsse man differenzieren.
Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze sieht einen kompromisslosen Ansatz äußerst kritisch: "Sachleistungen sind ein hoher bürokratischer Aufwand. Deshalb wird es so gut wie nicht gemacht", sagt die SPD-Politikerin der "Bild am Sonntag" kürzlich.
Dem stimmt Miriam Marnich, Referatsleiterin für Asyl, Flüchtlinge und Migration, zu. Denn bei einer völligen Umstellung fielen im Endeffekt sehr viel höhere Kosten für die Verwaltung an. Auch der Aufwand wäre ihrer Meinung nach viel zu groß. So müsste es etwa Absprachen mit dem Handel geben, sodass dieser statt Bargeld Gutscheine für Lebensmittel annehme.
Zudem betont Marnich, dass es zwar bestimmt vorkomme, dass Menschen das Geld zu ihren Familien in anderen Ländern schicken. "Allerdings wird in vielen Fällen nicht wahnsinnig viel übrig bleiben", sagt sie mit Blick auf die Regelsätze.
Kommen Asylbewerber:innen nach Deutschland, kümmern sich zunächst die Bundesländer um die Erstaufnahme und -versorgung der Menschen. Nach der Weiterverteilung stehen die Kommunen dann in der Verantwortung.
Welche möglichen Kompromisse gibt es?
Eine Möglichkeit könnte sein, zwar vermehrt, aber nicht gänzlich auf Sachleistungen zu setzen. Mögliche Ansätze sind zudem, nur bei abgelehnten beziehungsweise illegalen Einwanderern auf Sachleistungen zu setzen. Oder bei Menschen, die nicht mit den Behörden kooperieren. So seien zahlreiche Fälle bekannt, in denen Menschen vor der Einreise ihre Ausweisdokumente verschwinden lassen, um ihre Bleibechancen zu erhöhen. Das sagte die SPD-Landrätin Rita Röhrl bei "Markus Lanz". Die Beschaffung von neuen Dokumenten würde in diesen Fällen oftmals abgelehnt.
Im Falle einer Weigerung fordern Politiker:innen aus der CDU- und SPD-Fraktion ein schärferes Vorgehen. Etwa durch die komplette Streichung von Geldleistungen. Wenn der Staat irregulären Asybewerber:innen Leistungen streiche, müsse das "auch wehtun", sagt etwa Buschmann.
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Gleichzeitig müssten Abschiebungen beschleunigt werden. "Wir haben zum Beispiel viel zu lange Gerichtsverfahren in Deutschland. Das ist auch sehr unterschiedlich", sagt er. Andere Politiker:innen wollen vermehrt die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Fokus rücken.
Die aktuellen Maßnahmen reichen offenbar nicht aus, um die Anzahl von Flüchtenden einzudämmen.Bild: imago images / NurPhoto
Darauf setzt etwa Entwicklungsministerin Schulze: "Wir müssen Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge. Niemand flieht freiwillig." Die EU sollte deshalb nach den Worten der Ministerin nicht allein in den Grenzschutz investieren.
Nötig seien etwa auch Programme, die dafür sorgten, dass mehr Menschen ihr Land gar nicht erst verlassen müssten oder zu menschenwürdigen Bedingungen Zuflucht in einem Nachbarland finden könnten. In Hinblick auf den massiven Fachkräftemangel wird zudem nach Lösungen gesucht, Asylberwerber:innen so schnell wie möglich den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hier hapert es in Deutschland derzeit noch massiv.
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