Bei der Europawahl im Juni ist laut Expert:innen mit einem Rechtsruck zu rechnen. Auch in Deutschland könnte die AfD – so die Umfragen – zweitstärkste Kraft werden. Das Europawahl-Programm hat die Rechtsaußenpartei bereits 2023 beschlossen, ebenso, wer sie als Spitzenkandidat vertreten soll.
Andere rechte Parteien Europas distanzieren sich mittlerweile von der AfD. Die prominente Rechtspopulistin Marine Le Pen aus Frankreich hat sich nach den Enthüllungen über die Deportations-Pläne abgewendet. Und auch Matteo Salvini, Chef der rechten italienischen Partei Lega, will von der AfD wohl nichts mehr wissen.
Die deutschen Rechtspopulist:innen gehen also so weit, dass ihre Schwesternparteien ihnen den Rücken kehren. In Deutschland aber hat die Partei einen entscheidenden Vorteil.
Erstmals darf bei der Europawahl ab 16 Jahren gewählt werden – und gerade bei jungen Menschen hat die Rechtsaußenpartei einen Stein im Brett. Dabei sind die Pläne der AfD für Europa gerade für junge Menschen gravierend.
Denn: Eine EU, wie wir sie heute kennen, würde es mit der AfD nicht mehr geben. Als "undemokratisches" Konstrukt lehnt die AfD die EU in ihrer jetzigen Form ab. Im Europawahlprogramm wird bemängelt, dass entscheidende Gremien der Union nicht demokratisch gewählt würden. Etwa die Kommission oder auch der Rat, in dem sich Regierungschefs der einzelnen Staaten befinden. Eine stichfeste Kritik also.
Und dann kommt das aber: Die AfD kommt in ihrer Analyse nicht zu dem Schluss, dass diese Prozesse demokratisiert werden sollten. Denn die Partei lehnt laut Wahlprogramm eine EU ab, "die sich zu einem Staat mit Gesetzgebungskompetenz und einer eigenen Regierung aufschwingen will".
Die Partei will Europa also nicht demokratisieren – die Rechten wollen den Staatenbund zurückbauen. Ein Europa der Vaterländer und Nationalstaaten. Am Ende soll es nach den Plänen der AfD eine Neugründung einer "europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft" geben.
Was heißt das konkret? Die AfD will, dass sich die EU (wie auch immer sich der Staatenbund dann nennen würde) nicht in die Souveränität und Belange der Nationalstaaten einmischt. Der EU-Binnenmarkt soll beibehalten werden, beim Euro sieht das Ganze schon anders aus: Hier sollen nur "strukturgleiche" Länder eine Gemeinschaftswährung schaffen.
Dass die Außengrenzen der EU gemeinsam geschützt werden, findet die AfD wiederum prima. Sie will ausdrücklich die Festung Europa. Kurz: Die Partei will sich die Rosinen rauspicken.
Das bislang einzig demokratisch gewählte Gremium, das EU-Parlament, will die AfD hingegen abschaffen – stattdessen sollen vorerst alle Geschicke beim Rat liegen. Wir erinnern uns: Im Europäischen Rat befinden sich die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Die sind, wie etwa im Fall von Olaf Scholz (SPD), durch das jeweilige Wahlrecht in den Mitgliedsländern nicht zwingend direkt gewählt.
Hinzu kommt, dass die deutsche Bevölkerung so viel mit der Wahl des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán zu tun hat, wie die irische Bevölkerung mit der Wahl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Im Gegensatz dazu wird das Europäische Parlament in seiner Zusammensetzung in allen europäischen Staaten gewählt. Dafür, dass die EU der AfD zu undemokratisch ist, setzt sie bei ihrer Umstrukturierung also aufs falsche Pferd.
Aber es geht der Partei offensichtlich um die Nationalstaaten, die sich aus wirtschaftlichen Interessen zusammenschließen sollen: Einfacher Marktzugang für deutsche Firmen und on top halten die EU-Außenstaaten Geflüchtete aus Deutschland fern. Schutzsuchende will die AfD hier nämlich überhaupt nicht haben.
Meint: Die AfD will sich wählen lassen, um dann alles abzureißen. Für junge Menschen würde eine Umsetzung dieses Plans auch bedeuten: Das Europa, in das sie hineingeboren wurden, gäbe es nicht mehr. Ist die Währungsrechnerei im Sommerurlaub aktuell auf einzelne EU-Mitgliedsstaaten beschränkt, könnte es dann wieder die Normalität sein.
Auch an das Schengen-Abkommen will die Partei ran: Einfach so von Deutschland nach Frankreich oder von Österreich nach Deutschland fahren, könnte dann wieder durch Grenzkontrollen erschwert werden. An Flughäfen sollen Einreisekontrollen verschärft werden. Auch wenn das für Menschen mit deutschem Pass erstmal alles nicht so wild klingt: Auch sie dürfte das zumindest Zeit kosten.
Und auch die eigene Freizügigkeit soll eingeschränkt werden, ginge es nach der Rechtsaußenpartei: Ist es heute möglich, von einem EU-Land ungehindert in das nächste zu ziehen, und überall leben zu können, könnte sich das ändern. Denn die Rechtspopulist:innen wollen keinen Austausch. Sie wollen nicht, dass "arme" Europäer:innen nach Deutschland kommen und dieses EU-Privileg daher abschaffen.
Konkret schlägt die AfD vor, dass Nationalstaaten eine vereinfachte Möglichkeit bekommen sollen, EU-Bürger:innen aus anderen Staaten auszuweisen, sollten diese das Sozialsicherungssystem beanspruchen. Das heißt auch: Zieht ein:e Deutsche:r ins Ausland, um dort zu arbeiten und sich ein Leben aufzubauen, heißt es Adieu, sollte doch irgendwann etwas schiefgehen.
In ihrem Wahlkampf setzt die AfD nach wie vor auf die Macht von Social Media. Mittlerweile ist bekannt, wie stark die Partei etwa auf Tiktok ist. Der AfD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Maximilian Krah, hat das Social-Media-Game verstanden. Seine Tiktoks waren so prominent, so rechts, so fordernd, dass die Plattform die Reichweite nun gedrosselt hat.
User:innen können Krahs Inhalte aktuell nur sehen, wenn sie gezielt seinen Account aufrufen. Auf die Reichweite des AfD-Politikers hat das massive Auswirkungen. Statt Hunderttausende Male aufgerufen zu werden, haben seine Videos nun nur noch wenige tausend Klicks. Zu den Gründen hielt sich Tiktok bedeckt.
Der Spitzenkandidat, der in den vergangenen Jahren ungehindert in deutsche Kinderzimmer senden konnte, gilt als rechtsextremer Hardliner. Schon heute sitzt er für die AfD im Europaparlament – und will auch im Sommer wieder einziehen. Doch Krah ist nicht der einzige problematische Kandidat, den die Partei ins Rennen schickt.
Neben dem Social-Media-Wunder tritt Petr Bystron auf Listenplatz zwei an. Bystron wurde im Januar wegen des mutmaßlichen Zeigens des Hitlergrußes angezeigt. Laut "Zeit" hat der Politiker Einspruch eingelegt, weshalb es zu einem Gerichtsprozess kommen dürfte. Mittelpunkt des Hitlergruß-Verdachts: eine Fotomontage.
Bystron hatte kurz nach der Abberufung des früheren ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk einen Abschiedspost auf X veröffentlicht. Wie die "Zeit" berichtet, habe er in dem mittlerweile gelöschten Post geschrieben: "Bye, bye Melnyk! Deutsche Politiker winken zum Abschied." Darunter sechs kleine Fotos mit Politiker:innen wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) oder Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die den rechten Arm heben.
Eine mögliche Anspielung auf den Hitlergruß, so zumindest haben viele Kommentator:innen das Bild interpretiert – und womöglich die Reproduktion des russischen Narrativs in der Ukraine würden Nazis kämpfen.
Schon bei seiner Bewerbungsrede auf dem Europa-Parteitag der AfD 2023 ist Bystron mit Aussagen aufgefallen, die verdeutlichen, wie rechts der Kandidat wirklich ist. So sprach er etwa davon, dass aus Brüssel "das Gift" komme. Dort würden "von den Globalisten" still und heimlich Vorgaben gemacht, wie die Welt zu laufen habe.
Der Begriff "Globalisten" ist ein antisemitischer Code. Gemeint ist damit eine ominöse, internationale jüdische Elite, die die vermeintlichen Strippenzieher des "Deep State" sind. Also eines Staates im Staate, der heimlich die Geschicke lenkt, ohne dass die Bevölkerung etwas davon mitbekommt. Kurz: Es handelt sich um antisemitische Verschwörungstheorien.