Vor dem US-Senat sagen Supreme-Court-Kandidat Brett Kavanaugh und seine Anklägerin aus – und liefern ein denkwürdiges Spektakel.
Amerika wird diesen Tag lange nicht vergessen. Diese acht Stunden haben die Nation in ihren Bann gezogen, sie haben viele Amerikaner aufgerüttelt und am Ende aller Voraussicht nach noch wütender gemacht.
Die Anhörung im US-Senat zur Nominierung des Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh gerät zum Spektakel: Die Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford schildert in bewegenden Äußerungen, wie der Mann, den Donald Trump ans oberste US-Gericht schicken will, sie in Jugendzeiten beinahe vergewaltigt habe – und was diese Tat mit ihrem Leben angestellt habe.
Kavanaugh weist in einem wutentbrannten, tränenerstickten Auftritt all das zurück und wirft den Demokraten vor, sie hätten seine Familie und seinen Namen "dauerhaft zerstört".
Die Anhörung gerät zum Sinnbild für den Zustand der US-Demokratie und der gesellschaftlichen Spaltung im Land. Schließlich wird die Frage, was Kavanaugh Ford und anderen Frauen, die ebenfalls Vorwürfe erheben, angetan hat oder nicht, von vielem überlagert.
Sie wird vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Umbruchs, der unter dem Schlagwort #Metoo zu einer neuen Bewertung von sexueller Belästigung führt, ebenso verhandelt wie vor einem eiskalten politischen Machtkampf.
Deshalb ist der Kampf um seine Nominierung, die der Senat bestätigen muss, so erbittert. Noch dramatischer wird es dadurch, dass die Midterm-Wahlen im November die Mehrheit im Senat ändern könnten.
Vor dem Kapitol und in den Senatsgebäuden demonstrieren Hunderte für und gegen Kavanaugh, vor den Bildschirmen sitzen Millionen.
Zunächst sagt Christina Blasey Ford drei Stunden lang aus. Seit vergangenem Sonntag kennt Amerika ihren Namen, als die "Washington Post" ihre Vorwürfe gegen Kavanaugh detailliert beschrieb. Jetzt lernt das Land auch die Person kennen, die hinter dem Namen steckt.
Eine blonde Frau, die sichtlich nervös, ängstlich in das Blitzlichtgewitter im Sitzungssaal SD-226 tritt. Sie schildert für viele Beobachter glaubhaft, wie Kavanaugh und dessen enger Freund Mark Judge auf einer Privatparty zu Schulzeiten über sie hergefallen seien und Kavanaugh letztlich zu betrunken gewesen sei, um sie zu vergewaltigen.
Kavanaugh habe ihr den Mund zugehalten, als sie um Hilfe rief, sagt Ford.
Sie leide bis heute an Angstzuständen. Am besten in Erinnerung geblieben sei ihr das schallende Gelächter von Kavanaugh und dessen Freund. "Sie hatten Spaß auf meine Kosten."
Auf die Frage eines demokratischen Senators, ob sie sich sicher sei, dass es Kavanaugh gewesen sei, der sie in einem Schlafzimmer überfallen habe, sagt Ford: "Zu 100 Prozent." Das ist ein zentraler Moment, denn die Republikaner hatten vor der Anhörung die Theorie verbreitet, es müsse ein anderer Schüler gewesen sein.
Selbst im konservativen Nachrichtensender Fox News ist zwischen den Auftritten die Rede davon, dass es für die Republikaner katastrophal laufe. Fords Aussage löst bei vielen Frauen im Land etwas aus. Bei einer anonymen Hotline für Vergewaltigungsopfer etwa gehen am Donnerstag doppelt so viele Anrufe ein wie üblich.
Ford ist zurückhaltend, leise, korrigiert sich manchmal, kann einige Erinnerungslücken nicht füllen. Da die Republikaner nur Männer im Ausschuss sitzen haben, lassen sie ihre Fragen über eine Staatsanwältin stellen, auch das ist bislang ohne Vorbild. Kavanaugh hingegen befragen sie wieder selbst.
Der 53-Jährige referiert nicht das eingereichte Manuskript seiner Eingangsrede, sondern liest eine neue, verschärfte Version vor. Kavanaugh schnauft, er hält eine Wutrede. Er dementiert sämtliche Vorwürfe und schleudert den Demokraten im Ausschuss entgegen, dass "meine Familie und mein Name komplett und dauerhaft zerstört" worden seien. Immer wieder schaut er verächtlich in die Reihen der demokratischen Senatoren.
In der Befragung unterbricht er die Demokraten immer wieder, stellt gereizt Gegenfragen. Kavanaugh gibt sich entfesselt – er kämpft nicht nur um seinen Posten, sondern auch um seine Ehre als Vater und Mann, so wirkt es.
Kavanaugh stellt es so dar, dass Ford einen solchen Übergriff sicherlich erlitten haben könnte, nur eben nicht durch ihn. So äußern sich später auch viele republikanische Senatoren.
Als Beweis soll ihm ein wie ein Tagebuch geführter Kalender aus dem Jahr 1982 dienen. Darin findet sich kein Eintrag, der auf die fragliche Party deutet. Das überzeugt die Demokraten natürlich nicht. Auch andere Zeugen hatten zuvor Kavanaugh zu Schul- und Unizeiten enthemmtes Trinkverhalten unterstellt. Zwei weitere Frauen beschuldigen ihn sexueller Belästigung.
Kavanaugh beantwortet auch die zahlreichen Fragen der Demokraten nicht, ob er nicht um eine Untersuchung der Vorwürfe durch das FBI bitten wolle – oder warum er sich nicht für eine Vernehmung seines damals angeblich anwesenden Schulfreundes Judge ausspreche. Die Republikaner blockieren diese Anliegen der Demokraten mit ihrer Ausschussmehrheit.
Senator Lindsey Graham setzt mit einer offensichtlich kalkulierten Wutrede, die das Leid Kavanaughs und die angeblich finsteren Motive der Demokraten ins Zentrum rückt, einen neuen Ton. Die Republikaner entschuldigten sich einer nach dem anderen bei Kavanaugh für das, was dieser durchmachen muss.
Kritische Nachfragen stellen sie ihm nicht, wie zuvor die Demokraten auch Ford keine gestellt hatten. Die Demokraten wiederum beharren weiter eine Untersuchung der Vorwürfe durch das FBI – was die Republikaner blockieren.
Deren Senatoren stehen unter großem Druck, vor allem von Seiten ihres Präsidenten. Donald Trump will, dass ganz schnell über Kavanaugh abgestimmt wird. Direkt nach Ende der Befragung verschickt er einen Tweet, in dem er Kavanaughs Wutauftritt lobt.
Schon am Freitagvormittag (Ortszeit) soll der Justizausschuss die umstrittene Personalie zur Abstimmung in den Senat weiterleiten. Dort haben die Republikaner eine hauchdünne Mehrheit, allerdings auch mehrere Senatoren, die Klärungsbedarf wegen der Vorwürfe angemeldet haben.
Anfang kommender Woche könnte dort die Abstimmung stattfinden. Dabei wäre in Sachen Kavanaugh und Ford immer noch genauso viel zu klären wie vor diesem denkwürdigen Tag.